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Oberster Richter nach Sexismus-Eklat
«Kein Mensch ist ohne Fehler, auch ich nicht»
Dass der Bundesgerichtspräsident über eine Richterin ablästerte, ist für die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen «skandalös». Ulrich Meyer selbst zeigt sich reuig.
Was war geschehen?
Gemäss einer Audiodatei, die der «Rundschau» vorliegt, nannte Meyer die Richterin «so eine Magersüchtige».
Der Bundesgerichtspräsident entschuldigt sich umgehend:
«Das Unrecht, das ich ihr damit zugefügt habe, bedauere ich zutiefst.»
Ein
Richter, der zwei Gerichtsschreiberinnen bittet, angesichts der
Arbeitslast bloss nicht schwanger zu werden. Ein zweiter Richter, der im
Rahmen einer – Zitat Bundesgericht – «unwürdigen Fasnachtsaktion»
teilweise sexistische Plakate von Kollegen aufhängen lässt. Das
Bundesstrafgericht in Bellinzona sorgte mit Berichten über Sexismus,
angebliches Mobbing und Affären für Schlagzeilen – und rief damit das
Bundesgericht auf den Plan.
Dieses
leitete dazu ein aufsichtsrechtliches Verfahren ein und untersuchte die
Vorfälle am Bundesstrafgericht in einem Bericht. Mitglied der
Untersuchungskommission ist auch der Präsident des Bundesgerichts,
Ulrich Meyer. Ausgerechnet
am Rande einer Einvernahme zog dieser selbst über eine
Bundesstrafrichterin her, wie die SRF-«Rundschau» publik macht. So
sagte er über die Frau, sie sei «so eine Magersüchtige», sie «quassle»,
habe «einen bösen Blick». Und: «Ich kann sie nicht länger als zwei
Sekunden anschauen.»
Die
Äusserungen, für die sich Meyer inzwischen entschuldigt hat, wurden im
Anschluss an die Einvernahme eines anderen Bundesstrafrichters gemacht,
während dieser kurz den Saal verlassen hatte. Es handelte sich um ein
privates Gespräch mit einer weiteren Person, aber nicht der betroffenen.
«Eine Vorbildfunktion»
Empört
reagiert Bettina Fredrich, Geschäftsleiterin der Eidgenössischen
Kommission für Frauenfragen (EKF) und wie Meyer SP-Mitglied: «Aus
unserer Perspektive sind diese Aussagen absolut skandalös. So ein Umgang
hat am Bundesgericht nichts verloren. Als Bundesgerichtspräsident hat
man eine Vorbildfunktion, die muss man wahrnehmen. Es ist wichtig, dass
diese Verfehlung an die Öffentlichkeit gekommen ist.»
Dass
sich Ulrich Meyer entschuldigt hat, sei gut und recht, sagt Fredrich.
Aber das reiche nicht. «Die EKF ist stark der Meinung, dass solche
Äusserungen eine gewisse Kultur voraussetzen. Unter der Führung des
Bundesgerichtspräsidenten scheint im Gremium kein guter Umgang
untereinander gepflegt zu werden.»
Die
betroffene Bundesstrafrichterin könnte vielleicht rechtliche Schritte
gegen Meyer einleiten. «Auf jeden Fall braucht es eine öffentliche
Debatte darüber, wie es möglich ist, dass an einem Bundesgericht solche
Worte fallen. Und wie sich das künftig verhindern lässt.»
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«Menschliche Züge»
Weniger
tragisch findet die Vorkommnisse SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann:
«Die Äusserungen sind unschön. Ich kenne aber die betroffene Richterin.
Sie ist hart im Nehmen und wird das überleben.»
Für
Steinemann ist Meyer nicht untragbar geworden für sein Amt: «Auch ein
höchster Richter darf menschliche Züge zeigen. Er ist seit Urzeiten
Richter und sehr erfahren. Ich traue ihm zu, dass er auch die
Sexismusvorwürfe am Bundesstrafgericht seriös und korrekt untersucht
hat.»
Auch FDP-Ständerat Andrea Caroni
sagt: «Meyers Bemerkungen sind in seiner Rolle maximal unsensibel, aber
ich will ihn nicht daran aufhängen.» In intimer Runde werde mancherorts
gelästert. Die Posse passe aber dazu, dass das Bundesgericht unter der
Leitung Meyers derzeit keine gute Falle mache, obschon er bislang einen
guten Eindruck von Meyer gehabt habe.
Mehrfach entschuldigt
Meyer
selbst bedauert das Vorgefallene. Er sagt: «Es gibt keinen Grund, sich
so zu äussern. Meine Äusserungen waren ein Fehler, sie entsprechen auch
nicht meinem Bild über diese Kollegin, die ich sehr schätze. Wir haben
in der Sache zweimal telefoniert, und ich habe mich bei ihr in aller
Form entschuldigt. Am Telefon und noch einmal in einem persönlichen
Brief. Kein Mensch ist ohne Fehler, das gilt auch für mich.»
KOMMENTAR: Dieser Vorfall macht einmal mehr bewusst, dass alle
Führungspersönlichkeiten zusätzlich in prozessorientierten Zusatzmodulen fit
gemacht werden müssen im Umgang mit Medien. Es dürfte nicht geschehen,
dass ein Bundesgerichtspräsident ins Fettnäpfchen tritt und sich
mehrfach entschuldigen muss. Auch Bundesrichtern muss immer wieder bewusst gemacht werden, dass jedes
ausgesprochene Wort bedacht werden muss und veröffentlichte Worte nicht
mehr zurückgenommen werden können. Gesagt ist gesagt. Solche Pannen
können nicht nur der Reputation einer Person schaden, sie schädigen auch
das Image einer Institution. Deshalb zahlt sich die Investition in
fachgerechte regelmässige Medienausbildung aus.