Bei
Richterinnen und Richtern kommt die Forderung der SVP nach einer
Streichung der Härtefallklausel schlecht an. Stellvertretend sagt
Felicitas Lenzinger, Präsidentin des Strafgerichts des Kantons
Basel-Stadt und Mitglied der Richtervereinigung, die Härtefallklausel
sei für die Gerichte ein sehr wichtiges Instrument. «Sie hat sich als
tauglich erwiesen.» Die Ergebnisse würden durchaus dem Volkswillen
entsprechen. Sie verweist dabei auf die Ausweisungsquote bei schweren
Delikten: 100 Prozent bei Mord, fast 90 Prozent bei Diebstahl.
Und
der Berner Staatsrechtsprofessor Markus Müller betont, dass eine
automatische Landesverweisung gemäss einem Deliktekatalog in einem
Rechtsstaat eine Illusion sei: Jeder einzelne Fall müsse geprüft werden.
Zwar könne man den Ermessensspielraum weiter verengen. «Aber man kann
ihn nicht eliminieren.» Das Prinzip, dass ein Urteil verhältnismässig
sein müsse, lasse sich nicht umstossen, so Müller.
(srf)
NACHTRAG im Blick:
ALLES NOCH VIEL SCHLIMMER
Es ist alles noch viel schlimmer – aber das soll keiner wissen:
2019 haben nur 58 Prozent der kriminellen Ausländer einen Landesverweis kassiert.
Diese Zahl, die das Bundesamt für Statistik jüngst bekannt gab, sorgt
nicht nur bei der SVP für Empörung. Das heisst allerdings noch lange
nicht, dass diese Straftäter die Schweiz auch wirklich verlassen. Denn
die offizielle Statistik des Bundes zeigt nur, wie viele Landesverweise
Schweizer Richter ausgesprochen haben. Wie gross die Zahl derjenigen
ist, die dennoch im Land bleiben – darüber gibt sie keine Auskunft.
Wie
bei abgewiesenen Asylbewerbern ist auch bei kriminellen Ausländern mit
Landesverweis eine Ausschaffung nicht immer möglich. Zum Beispiel dann
nicht, wenn im Heimatstaat Krieg herrscht oder das Herkunftsland
Personen einfach nicht zurücknimmt.
Die Daten sind da ...
Wer
beim Bund nachfragt, wie viele kriminelle Ausländer die Schweiz
tatsächlich verlassen haben, erhält seit Jahren die Antwort, dass man
dazu keine Daten habe. Der Bund wolle die Antwort auf diese Frage gar
nicht wissen,
warf alt SVP-Nationalrat Adrian Amstutz (66) dem Bundesrat an der gestrigen Medienkonferenz vor. Aus der Luft gegriffen ist dieser Vorwurf nicht – er greift aber zu kurz.
BLICK
fragte bei verschiedenen Bundesstellen nach. Diese reichten die Anfrage
wie eine heisse Kartoffel von Amt zu Amt weiter. Niemand wollte
zuständig sein.
Letztlich
räumt das Staatssekretariat für Migration (SEM) nach beharrlichem
Nachfragen ein: Ja, der Bund hat die Daten! BLICK-Recherchen zeigen,
dass die Bundesverwaltung die Daten zum Landesverweis-Vollzug schon seit
drei Jahren erfasst.
... aber der Bund gibt die Zahlen nicht heraus
Der
Bund macht dennoch keine Angaben über die Zahl der tatsächlich
erfolgten Ausschaffungen von ausländischen Straftätern. Das SEM hat
dafür folgende Ausrede parat: Man habe derzeit noch nicht die nötigen
«technischen Voraussetzungen», um eine Statistik zu erstellen.
Wie
sich der Bund herausredet, um seiner Informationspflicht nicht
nachkommen zu müssen, klingt wenig glaubwürdig. Auch das
Staatssekretariat für Migration dürfte über ein brauchbares
Tabellenkalkulationsprogramm wie Excel verfügen.
Zudem
ist der Bund – wie er jetzt gezeigt hat – ja auch in der Lage,
verlässliche Zahlen zur Ausschaffungsquote zu liefern. Und diese Daten
zieht das Bundesamt für Statistik aus derselben Datenbank, in der auch
erfasst wird, wann und unter welchen Umständen jemand das Land wirklich
verlassen hat: nämlich aus dem Strafregister-Informationssystem Vostra.
Besonders
brisant ist der Zeitpunkt, zu dem der Bund versucht, der Öffentlichkeit
wichtige Informationen vorzuenthalten: In zwei Monaten stimmt die
Schweiz über die Kündigungs-Initiative der SVP ab. Dabei geht es um die
Abschaffung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Wie aber soll die
Bevölkerung über die Begrenzungs-Initiative befinden, wenn verheimlicht
wird, ob Vergewaltiger ohne Schweizer Pass tatsächlich das Land
verlassen müssen?
Keller-Sutter kommuniziert via Twitter
Das
SEM verweist auf eine laufende Gesetzesänderung. Erst wenn diese
umgesetzt sei, könne man tatsächlich sagen, wie viele verurteilte
Ausländer wirklich ausgeschafft worden seien. Tatsache aber ist, dass
die Revision nichts daran ändert, dass der Bund die Daten schon längst
hat, auf welche die SVP seit nunmehr sieben Jahren pocht.
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (41) wirft dem Bundesrat vor, auf Zeit
zu spielen.
Was man
konstatieren muss: Offene Kommunikation sieht anders aus. Ein Beleg
dafür ist die neue Kommunikationsstrategie des Justizdepartements von
Karin Keller-Sutter (56), zu der das SEM gehört. Ihr Departement schwieg
bis gestern auf Medienanfragen zu den Ausschaffungszahlen.
Gestern
räumte das Justizdepartement dann plötzlich Handlungsbedarf ein.
Keller-Sutter werde im Herbst Massnahmen mit den Kantonen besprechen.
Das teilte das Departement per Twitter mit. So hatte man das zwar in die
Welt gesetzt, aber die Medien umgangen.
Das meint BLICK zu den Ausschaffungsquoten
Schon 2018 stimmten die Zahlen nicht:
Der Bund versinkt im Zahlenchaos.
Nur 58 Prozent der kriminellen Ausländer kassierten einen Landesverweis,
hat eine kürzlich veröffentlichte Statistik des Bundesamts für
Statistik (BFS) ergeben. Jetzt kommt heraus, dass auch diese Zahl nicht
stimmen dürfte. Das BFS bestätigt gegenüber BLICK: Bei der Statistik ist
es zu Fehlern gekommen – schon wieder.
Bereits vor zwei Jahren hatte ein Zahlen-Wirrwarr beim Bund für Schlagzeilen gesorgt.
Kommt
hinzu: Keiner weiss, wie viele Landesverweise tatsächlich vollzogen
werden. Und das, obwohl die Daten dazu seit Jahren erfasst werden,
wie BLICK gestern aufdeckte.
Keiner will verantwortlich sein
Schuld
am Zahlensalat will niemand haben. Das Bundesamt für Justiz (BJ)
schiebt das Debakel dem Staatssekretariat für Migration (SEM) in die
Schuhe. Das SEM besteht darauf, die notwendigen Informationen nicht zu
haben. Und die Statistiker des Bundes schieben die Schuld auf die
Kantone.
Bei den Angaben,
wie viele vom Gericht verhängte Ausschaffungen tatsächlich durchgeführt
wurden, wird nun klar: Der Bund hat Angst, falsche Zahlen zu
veröffentlichen. Also lässt er es vorerst sein.
Veröffentlichung wurde gestoppt
Man
hatte die sogenannte Vollzugsstatistik ursprünglich bereits 2018
publizieren wollen, erklärt das Bundesamt für Statistik (BFS). Dann
wurde in jenem Sommer aber bekannt, dass die BFS-Daten zu den
richterlichen Ausschaffungsentscheiden kreuzfalsch waren. Eine Schmach
fürs BFS.
Aus Furcht,
einen weiteren Bock zu schiessen, zog der Bund bei der zweiten
Statistik, also jener zu den tatsächlich erfolgten Ausschaffungen, die
Notbremse. Die Vollzugszahlen verschwanden in den Schubladen der
Amtsstuben.
KOMMENTAR: Der Volkswillen wurde offensichtlich nicht umgesetzt (Es geht um die Ausschaffung krimineller Ausländer). Deshalb kann bei diesem Problem die SVP mit dem Support aus allen Parteien rechnen.
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