Rhetorik.ch Blog
Persönliche Gedanken von Marcus Knill
zu Aktuellem.
Mittwoch, 22. Juli 2020
Ausbauen oder Verfallen lassen?
Ferienwohnung im Stall - Sanfter Tourismus oder Etikettenschwindel?
Die Maiensässe sind Zeugen einer Landwirtschaft, die es so nicht mehr
gibt. Etwa 600'000 Gebäude stehen in der Schweiz ausserhalb der Bauzone.
Sie werden oft zu Ferienwohnungen umgebaut. Unternehmer hoffen auf
Aufträge, die Landschaftsschützer fürchten um ein Stück ursprüngliche
Bergwelt.
Von weitem sieht man am grünen Hang
eigentlich nur den Stall. Gebaut irgendwann vor vielen Jahren. Die
dicken runden Hölzer sind von der Sonne dunkelbraun gefärbt.
Gian
Derungs zeigt auf einen kleinen Anbau auf der rechten Seite des Stalls:
«Da drin hatte der Bauer seine Feuerstelle und das Käselager». Der
34-jährige Bündner CVP-Kantonsparlamentarier vermietet und verkauft hier
in der Val Lumnezia im romanischsprachigen Bündner Oberland
Ferienhäuser und -wohnungen.
Ställe und Hütten ohne Funktion
Jede
Region hat seine eigene Maiensäss-Architektur – das kann wie hier ein
Stall sein mit einem winzigen Wohnanbau oder aber ein kleines Häuschen
mit einem freistehenden Stall dazu.
Die Bauten können aus Holz
sein, wie hier, oder aus Stein wie zum Beispiel im Tessin. Was die
Gebäude alle gemeinsam haben: Sie werden von den Bauern nicht mehr
gebraucht.
Seit der Bauer
Maschinen zur Verfügung hat, mit Traktoren und Heuladern unterwegs ist,
weiden zwar noch die Kühe hier auf dem Maiensäss auf etwa 1800 Metern
über Meer, aber den Stall für das Heu und den Wohnanbau stehen leer.
Einige Bauten, vor allem die Ställe ohne Wohnanbau, sind denn auch
bereits am Verfallen, haben ein eingestürztes Dach oder sind nur noch
ein Trümmerhaufen.
Touristisches Potential
Gian Derungs kennt nicht nur die Geschichte dieser Bauten, er sieht in ihnen ein wirtschaftliches Potential.
Wenn
hier in den verfallenden Ställen Ferienwohnungen entstehen könnten und
man die kleinen Hüttchen, wo früher die Bauern wohnten, mehr erweitern
könnte, den angrenzenden Stall dafür mehr nutzen dürfte, wäre das
touristisch sehr attraktiv, ist Derungs überzeugt.
«Das würde dem Tal
viel Wertschöpfung bringen. Unsere Wirtschaft leidet unter der Annahme
der Zweitwohnungsinitiative vor acht Jahren. Würde man die Bestimmungen
für Maiensäss-Bauten lockern bekäme unsere Bauwirtschaft wieder mehr
Aufträge und die neuen Besitzer zahlten auch Steuern und Gebühren», sagt
er.
Warteliste für Maiensässe
An
der Nachfrage der Feriengäste zweifelt Derungs nicht. Er führt eine
Warteliste von Leuten, die sich für ein Maiensäss interessieren. Nur ist
das Angebot sehr begrenzt und die Ausbauvorschriften im
Raumplanungsgesetz des Bundes sind relativ streng.
Im
Falle eines Maiensässes in der Val Lumnezia bedeuten sie: Man darf den
kleinen Anbau zur Ferienwohnung umnutzen und die Wohnfläche um maximal
60 Prozent in den Stall hinein erweitern, so dass man von aussen nichts
sieht.
Derungs findet
diese Vorschrift übertrieben strikt: «Ich verstehe nicht, warum man den
Stall nicht noch mehr umnutzen kann. Man könnte hinter die Holzbalken
des Stalles eine Glasfront montieren so bliebe das Bild des Stalles von
aussen erhalten und man hätte trotzdem Licht in der neuen
Ferienwohnung.»
Umnutzungen: «Ein Etikettenschwindel»
Es
sind solche Ideen, an die Raimund Rodewald denkt, wenn er in
Zusammenhang mit diesen Umnutzungen von «Etikettenschwindel» redet.
Rodewald ist schon sein halbes Leben, seit 30 Jahren, Geschäftsführer
der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und kämpft für ein strenges
Raumplanungsrecht das strikte trennt zwischen Bauzone und Nicht-Bauzone.
«Man gaukelt bei
solchen Umnutzungen vor, alles beim Alten zu belassen, aber das Gebäude
verliert durch die neue Nutzung jeden Bezug zur bäuerlichen Umgebung»,
argumentiert er. Und zu diesem «Etikettenschwindel» kämen weitere
Probleme, würde man die Vorschriften lockern: Es gäbe Mehrverkehr,
vielleicht müsste man neu im Winter die Strässchen räumen, die zu den
Maiensässen führten.
Es wird immer mehr Ansprüche geben. Der Appetit kommt mit dem Essen.
Es
stellten sich Fragen wie der Anschluss an die Kanalisation oder ans
Stromnetz. «Diese Ansprüche würden entstehen», ist Rodewald überzeugt.
«Der Appetit kommt mit dem Essen.»
Und noch etwas will Rodewald
beobachtet haben. Die Landliebe der neuen Besitzer dieser Ferienhäuschen
stosse schnell an ihre Grenzen. «Nicht selten kommt es zu Konflikten
mit den Bauern. Die Städter, die im Sommer während der Heuzeit
Bergferien machen, stören sich am Lärm der Bauern mit ihren Mähmaschinen
und Traktoren.»
Rodewald
findet darum, dass Umnutzen nach strengen Regeln wie heute in Ordnung
sei, aber nicht mehr. Und es dürfe allenfalls dann mal eine Ausnahme
geben, wenn es darum gehe einem brachliegenden Bauerngebäude eine neue
Bestimmung für die Allgemeinheit zu geben.
Die Unterländer sehen uns am liebsten als Grossväter, die den ganzen Tag auf dem Bänkli vor der Hütte sitzen.
Seine
Stiftung fördert zum Beispiel Projekte, wo Räume für Schullager oder
Ausstellungen entstehen. Die rein private Nutzung findet Rodewald aber
immer die schlechteste Variante. «Dann ist es besser, man lässt einen
Stall verfallen. Der Verfall, der gehört seit je zu unserer
Siedlungsgeschichte.»
Gian Derungs hat da eine ganz andere
Perspektive. In seiner Masterarbeit hat er sich bemüht auszurechnen, was
lockerere Vorschriften für Maiensässe und Ställe dem Tal an
Wertschöpfung bringen würden: Das wären einmalige Einnahmen zwischen
vier und gut acht Millionen Franken. Dazu kämen wiederkehrend noch
einmal jedes Jahr bis zu einer halben Million. Das sei viel für ein Tal
wie die Lumnezia, findet Derungs.
Aber er hat das
Gefühl, dass viele Menschen im Mittelland es den Leuten in den Bergen
krumm nehmen, wenn sie auch ans Geschäft dächten: «Die sehen uns am
liebsten als Alpöhis mit einer Pfeife im Mund, die den ganzen Tag auf
dem Bänkli vor einer Hütte sitzen.» Wenn sich dagegen ein Basler für
gute Rahmenbedingungen für die chemische Industrie einsetze, störe das
niemanden.
Kampf auf politischer Ebene
Sowohl
Derungs als auch Rodewald haben sich mit politischen Vorstössen für
ihre Sache stark gemacht. Rodewalds Stiftung Landschaftsschutz Schweiz
hat zusammen mit anderen Umweltorganisationen eine Initiative lanciert,
die in der Bundesverfassung ein für allemal die Umnutzung von Ställen
und Maiensässen im grösseren Stil verbieten will (siehe Box). Die
Unterschriften sind beisammen, im September soll sie eingereicht werden.
Die Landschaftsinitiative
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Derungs
hat vor einigen Jahren zusammen mit anderen Bündner Politikern eine
Standesinitiative eingereicht, die nach Bern weitergeleitet wurde und
Schützenhilfe von den Wallisern bekam. National- und Ständerat haben die
Forderung zwar abgewiesen. Allerdings soll nun das Raumplanungsgesetz
angepasst werden und zwar so, dass die Kantone mehr Spielraum bekommen,
wenn es um die Umnutzung solcher ehemals landwirtschaftlichen Gebäude
geht (siehe Box).
Revision Raumplanungsgesetz
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Ob
das den Durchbruch im Sinne von Gian Derungs bringt? Er klingt nicht
gerade zuversichtlich, wenn er sagt: «Seit ich mich mit dem Thema
befasse, sind die Vorschriften immer nur strenger und die behördlichen
Hürden höher geworden. Von der Erfahrung her würde ich darum sagen, es
gibt keine Lockerung, aber ich hoffe es natürlich.»
Kommentar: Unser Refugium SALMENFEE ein Alphaus auf einer Maiensäss war seit je bewohnt. Wir haben es sanft renoviert und nicht verfremdet. LINK:
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