Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundesrats?Am
Anfang, als der Bundesrat den Notstand ausrief, hatte Alain Berset eine
klare Botschaft, was jetzt zu tun ist. Die Schweizer folgten dieser
Botschaft, weil sie klar und nachvollziehbar war, auch wenn es
schmerzte. Eine Woche später kam Ueli Maurer ebenfalls mit einer klaren
Botschaft, wie den Unternehmen in dieser Notsituation geholfen wird.
Auch dies wirkte überzeugend und selbstbewusst.
Und jetzt, bei den Lockerungen?Katastrophal.
Bei der Pressekonferenz zu den Lockerungen spürte man vor allem Angst
und Unsicherheit der teilnehmenden Bundesräte. Bundespräsidentin
Sommaruga überbrachte als Kernbotschaft, nachdem sie uns alle wegen
Ostern gelobt hatte, etwas völlig Irrelevantes: dass wir einen Monat
lang gratis Schweizer Fernsehen sehen dürfen. Danach gab sie das Wort an
Alain Berset weiter, der über die Lockerungsmassnahmen informierte. Bei
all seinen Ausführungen war klar eine Verunsicherung und Angst vor der
schrittweisen Öffnung spürbar. Was sich auch an den vielen
widersprüchlichen Aussagen gezeigt hat. Hier hätte es eine Botschaft
gebraucht, die Aufbruchstimmung auslöst.
Wie hätte denn die Botschaft lauten sollen?Schickt
eure Kinder in die Kitas und habt keine Angst, wir übernehmen die
Kosten, egal, ob die Kantone oder der Bund zuständig sind. Damit werden
die Eltern entlastet und können sich wieder in Ruhe auf den Neustart
vorbereiten. Das wäre ein Aufbruchsignal, das die Bundespräsidentin
hätte überbringen können. Und was die Lockerungen betrifft, hätte man
alle Verbände dazu aufrufen sollen, mit klaren Vorschlägen und Konzepten
für eine schnelle Öffnung zu sorgen, egal ob Coiffeur, Restaurant oder
Detailhandel. Damit hätte der Bundesrat die Verbände und alle
Beteiligten dazu motiviert, die Initiative zu ergreifen.
Sie wollen wie andere Unternehmer einfach Ihre Geschäfte schneller öffnen!Alle
wollen wieder so schnell wie möglich in eine gewisse Normalität
zurückkehren, Sie auch, hoffe ich. Aber es geht mir nicht um den
Zeitpunkt, sondern darum, dass dies nicht in einem Klima der Angst und
Verunsicherung passieren soll.
Der Bundesrat hat ehrlich informiert, indem er sagte, dass er nicht weiss, wie sich die Infektionsrate entwickelt.Ehrlichkeit
und Authentizität sind wichtig. Ein Chef muss aber auch mutig sein und
Verantwortung übernehmen. Der Bundesrat wollte sicher nicht Unsicherheit
schüren, aber die Botschaft war und ist anders herübergekommen.
Warum handelte der Bundesrat klarer beim Lockdown als jetzt bei der Öffnung?Beim
Lockdown ging es um eine Reaktion auf eine Notsituation. Bei der
Lockerung hingegen muss der Bundesrat nicht reagieren, sondern agieren.
Er muss mutig und selbstbewusst führen und vor allem pragmatisch
vorgehen. Das schafft Vertrauen und kreiert die Aufbruchstimmung, die
wir jetzt brauchen.
Welches Land macht das am besten?Ich
schaue keine Pressekonferenzen der Regierungen anderer Länder. Ich
glaube aber, dass es anderen Ländern besser gelungen ist,
Aufbruchstimmung zu schaffen.
Im
Moment sind alle unzufrieden, jeder Verband stellt Forderungen. Was
muss passieren, damit die Lockerungen wieder in geordnete Bahnen kommen?Klare Führung, und wenn es die Situation erlaubt, auch über seinen Schatten springen und frühere Entscheidungen neu beurteilen.
Der Bundesrat handelt deshalb vorsichtig, damit sich das Virus nicht plötzlich wieder schneller verbreitet.Nicht
nur der Bundesrat, wir alle handeln vorsichtig. Wir schütteln uns die
Hände nicht mehr, halten Abstand, knutschen nicht mehr herum, aber es
gibt einen Unterschied zwischen vorsichtig sein und unsicher oder
ängstlich.
Wie sorgen Sie in Ihrem Unternehmen für Aufbruchstimmung?Meine
Schwester und ich haben bei Ausbruch der Krise sofort allen unseren
Mitarbeitenden weltweit eine Videobotschaft geschickt: Wir sorgen für
euch – schaut ihr bitte, dass ihr gesund bleibt, und folgt den Regeln
der Regierungen. Wir sind alle in einer schwierigen Situation, aber eure
Unternehmung, die Swatch Gruppe, ist stark. Wir haben Liquidität, wir
sind unabhängig, wir haben keine Schulden bei den Banken, wir haben
super Produkte.
Warum konnten Sie bereits am Anfang der Krise sagen, dass niemand entlassen würde?Weil
das schon immer die Kultur der Swatch Gruppe war und ist. Wegen
kurzfristigen Krisen werden wir keine Leute entlassen, nur weil das
vielleicht der Börse gefallen würde.
Was haben Sie eigentlich gegen die Börse?Die
Börse ist ein Casino. Oft reine Spekulation. Dort ist gar nichts
langfristig. Man will mit Geld Geld machen, und das ist nicht das Ziel
eines Industriellen. Ein Unternehmer will neue Produkte und
Arbeitsplätze schaffen. Gewinn allein ist nicht die Motivation.
Ihnen ist es auch wichtig, nicht verschuldet zu sein. Warum trauen Sie den Banken nicht?Es
ist nicht so, dass ich den Banken nicht traue. Aber unabhängig
Entscheidungen zu treffen, ohne bei Banken zuerst anklopfen zu müssen,
ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil. Im Zweifelsfall geben wir lieber
etwas weniger aus, als Schulden zu machen. Diese Philosophie hatte
bereits mein Vater. Ein Sprichwort besagt, dass eine Bank Ihnen
problemlos Geld gibt, wenn Sie es nicht brauchen. Aber wenn Sie es
brauchen, erhalten Sie nichts.
Vom Regisseur zum Konzernlenker
Nick
Hayek (65) ist seit 2003 CEO der Swatch Group (u.a. Tissot, Omega,
Longines) mit Sitz in Biel BE. 2019 beschäftigte das Unternehmen mehr
als 36'000 Angestellte in über 50 Ländern und machte einen Umsatz von
8,2 Milliarden Franken. Seine Schwester Nayla Hayek (69) ist seit dem
Tod des Vaters und Firmengründers Nicolas G. Hayek (1928–2010)
Präsidentin des Verwaltungsrates der Swatch Group. Nick Hayek studierte
an der Universität St. Gallen. In Paris absolvierte er eine Filmschule,
war Produzent und Regisseur von zwei Spielfilmen. Er ist verheiratet und
wohnt in Zug.
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