Wenn Frauen Eizellen einfrieren lassen können, damit sie beruflich ein paar Jahre unabhängig bleiben können, klingt dies nach Freiheit. Doch die biologische Tatsache holt die Frauen leider rasch ein.
Ich zitiere Liline Minor:
Kein Thema ist unter Frauen seit Jahren so präsent wie dieses: Wie bringt man Kinder und Beruf unter einen Hut?
Und obwohl sich viel getan hat – Krippen, Horte, Tagesschulen werden
immer mehr – bleibt die Sache schwierig. Oder, wie es die «NZZ am
Sonntag» kürzlich formuliert hat: Kinder und Beruf lassen sich in der
Schweiz nicht vereinbaren. Nur addieren.
Da scheint der medizinische Fortschritt wie gerufen zu kommen: Frauen
können sich Eizellen entnehmen und fünf Jahre lang einfrieren lassen,
um Kinder auf später zu verschieben. Das, so die
Hoffnung, befreie vom Dilemma, sich zwischen Karriere und unerbittlichen
biologischen Tatsachen entscheiden zu müssen. Aber auch vom Druck, den
Freunde und Familie unbeabsichtigt ausüben, wenn sie fragen, warum ein
Paar Mitte dreissig denn noch keine Kinder habe.
Da klingt das Freezing, wie es so schön heisst, wie ein weiterer
Schritt Richtung Freiheit. Ein Fortschritt wie seinerzeit die Pille.
Doch jede Frau, die in einer festen Partnerschaft ist und verhütet,
kennt die Kehrseite der Medaille: Irgendwann muss sie sich entscheiden. Mit der Verhütung aufhören. Das war der Preis für eine nie gekannte sexuelle Freiheit für Frauen. Ein Preis, der sich lohnte.
Beim Freezing aber ist der Preis ungleich höher. Wohlverstanden: Die
Technik ist ein Segen für Frauen, die sich beispielsweise einer
Krebsbehandlung unterziehen müssen und nicht wissen, ob sie danach
überhaupt noch auf natürlichem Weg Kinder bekommen können. Alle anderen aber befreit die neue Technik nur scheinbar
– denn schon nach drei, vier Jahren ist der Druck zurück, und das
unerbittlicher denn je. Dann droht den eingefrorenen Zellen die
Vernichtung. Und nun stellt sich nicht nur die Frage: Lassen wir die
Zellen nun befruchten? Sondern es lastet auch das Wissen schwer: Wenn es
damit nicht klappt, ist es mit dem Kinderhaben möglicherweise ein für
allemal vorbei. Sich noch einmal fünf Jahre zu erkaufen, dürfte für die
meisten Frauen unrealistisch sein. Und die Chance auf eine
Schwangerschaft auf natürlichem Weg ist zu dem Zeitpunkt für die meisten
Frauen nur noch gering.
Hinzu kommt der Druck, sich in den paar Jahren, in denen die Eizellen
gelagert bleiben, beruflich zu etablieren. Was, wenn das nicht klappt?
Und, fast noch schwieriger: Was, wenn es klappt mit der Karriere? Wenn
dann gerade der nächste Karriereschritt ansteht? Es wird nicht einfacher, Kinder zu haben, je weiter oben man auf Leiter steht.
Und wenn ein Chef schon bei einer einfachen Angestellten Mühe hat,
Kinder zu akzeptieren, dann wird er bei Kadermitarbeiterinnen eher noch
untoleranter werden.
Mag sein, dass es Frauen gibt, die mit einer solchen Situation
umgehen können. Aber genau diese bräuchten das Freezing nicht. Weil sie
selbstbewusst genug sind, sich zu entscheiden. Sei es für Kinder und
Beruf, für Kinder ohne Beruf oder für Beruf ohne Kinder. Für alle
anderen kann aus der vermeintlichen Versicherung für später rasch ein Alptraum werden.
Machen wir uns nichts vor: Den idealen Zeitpunkt für Kinder gibt es ohnehin nie.
Jede Frau, die Mutter geworden ist, weiss das. Mal ist es im Job
ungünstig, mal passt die Wohnung nicht. Zudem weiss wohl keine Frau im
Voraus, wie es sich wirklich anfühlt, ein Kind zu haben. Das
verunsichert, klar. Aber wenn das Baby dann da ist, geht es irgendwie.
Und nicht nur das: Es macht Spass.
In diesem Sinne, liebe Frauen: Werdet doch einfach schwanger.
Voller Stolz und Selbstbewusstsein. Dann, wenn es euch passt und nicht
dem Chef. Das wird auf Dauer mehr Einfluss auf die gesellschaftliche
Situation haben, als wenn ihr Kinderkriegen vor lauter Karriere
verschiebt. Denn so signalisiert ihr: Kinder sind kein Störfaktor.
* Liliane Minor ist Redaktorin beim «Tages-Anzeiger». Sie hat zwei Kinder und wohnt im Zürcher Unterland.
Freitag, 31. Oktober 2014
Eine Replik auf das düstere Bild über die Qualität der heutigen Medien
Ich fragte mich nach der Lektüre, wie die Medien vor zehn Jahren waren. Besser? Schlechter? Informativer? Klüger?
von Christian Lüscher
Da kam mir ein Erlebnis aus dem Jahr 2005 in den Sinn.
Im Sommer 2005 sass ich als junger Journalistenschüler in einer Vorlesung an der damaligen Zürcher Hochschule der Wissenschaften (ZHW). Es ging um die Krise der Zeitungen. Der Dozent gab seiner Vorlesung den Titel: «Printmedien und Verlage – Der Selbstmord der Branche». Er zeigte uns eindrücklich, dass die auflagenstarken Zeitungen überkonfektioniert und verlayoutet seien. Schonungslos führte er uns vor Augen, dass sie Plantagen dünner Meinungen, ja, dass viele Redaktionen im Prinzip kriminelle Vereinigungen zur Verhinderung von Substanz seien. Ich war schockiert. Am Schluss dachte ich: Was machen eigentlich die vielen kompetenten Menschen in den Redaktionen den ganzen Tag?
Das war vor fast zehn Jahren. Seither hat die Branche so einiges erlebt. Mehrere Abbauschlachten in den Redaktionen, einige Zeitungen und Magazine verschwanden, Onlineredaktionen entstanden massenhaft, iPad und Facebook kamen auf. Alles Dinge, die Imhof in seinem Befund kritisiert. Die Folgen: Die Medien sind nicht schlimmer geworden. Im Gegenteil: Ich lese heute deutlich mehr und ausgewählter. Und auch mein Umfeld liest deutlich mehr und ausgewählter. Der Journalismus ist in vielen Bereichen überraschender und tiefgründiger geworden. Er findet überall statt. Nicht allein in Zeitungen, sondern auch im Netz.
Die Informationsdichte hat zwar durch die sogenannten «qualitätsniedrigen» Medien zugenommen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass dadurch noch mehr Zusammenhangslosigkeit und Konfusion entstanden ist. Gerade durch Facebook und Twitter stehen mir heute als Leser hervorragende Dienste zur Verfügung, die mir dabei helfen, zu sortieren, auf der ganzen Welt journalistische Perlen zu finden. Und so halten es viele in meinem Umfeld. Es sind keineswegs nur die lustigen Viralhits, die in meinem Newsfeed auftauchen. Freunde empfehlen mir grossartige Reportagen, kluge Meinungsstücke oder lesenswerte Berichte. Speziell bei Abstimmungen zeigt sich, dass die Medien nicht einfältig, sondern nach wie vor vielfältig sind. Meine Freunde auf Facebook machen mich auf Inhalte einer Lokalzeitung aufmerksam, die ich eigentlich nicht lese. Es wird diskutiert. 2005 war das überhaupt nicht der Fall.
Gerade die Verbreitung von Social Media zeigt, dass es nicht reicht, einfach nur die Front- und Einstiegsseiten der Zeitungen zu messen und dann Aussagen darüber zu machen, wie es um die Qualität der Medien steht. Online finden viele tolle Inhalte nicht auf der Frontseite einer Onlineausgabe statt. Oft sind die Perlen versteckt, aber wunderbar abrufbar. Der meistgeteilte Artikel in der Deutschschweiz war ein über 20'000 Zeichen langer Hintergrundartikel von Constantin Seibt zur politischen Lage in Island. Der Artikel war nicht auf der Front von Tagesanzeiger.ch.
Auch die Dauerkritik an «20 Minuten» finde ich öde. Dass die Forscher von «qualitätsniedrigem Journalismus» reden, empfinde ich gar als Beleidigung. Die Kollegen von «20 Minuten» haben zwar einen ausgeprägten Hang zum Erregungsjournalismus. Aber die Branche kann auch dankbar sein, dass es «20 Minuten» gibt. Schon als ich 2005 in der erwähnten Medienvorlesungen sass, sagte man uns, dass die reine, herkömmliche Information an Wert verliere, dass sie, genau besehen, schon gratis sei. In diesem Markt gewinne der, der am meisten Masse erreiche, also über die grösste Reichweite verfüge, und auf allen Stufen der Herstellung ein wenig abschöpfen könne (der Ökonom spricht von Skalenerträgen). «20 Minuten» ist heute Leader im Massenmarkt, aber dank des Gratistitels gibt es heute auch einen grösseren Mehrwertmarkt. Viele Redaktionen setzen, um gegen «20 Minuten» zu bestehen, einen Kontrapunkt, fokussieren sich auf Eigenleistungen. Dank «20 Minuten» haben sich sämtliche Medienmarken im Lande neu erfunden. Dank «20 Minuten» haben viele Journalisten begriffen, dass in einer von Technik bestimmten Welt Informationen ein Problem, nicht eine Lösung sind.
Gehts wirklich abwärts mit den Medien? Ich glaube einfach nicht daran.
KOMMENTAR:
Es ist immer gut, Sachverhalte von verschiedensten Seiten zu beleuchten.