spalten sich die Geister darüber, ob dieser angeschlagene Politiker noch tragbar ist,
nachdem er das Vertrauen verloren hat.
Bei den Umfragen ist die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, dass Geri Müller nicht mehr tragbar ist.
Blick zitierte die nächste Mitarbeiterin, die immer noch zu Geri Müller steht:
Susanne Slavicek (51), die mit Müller die Kantonsschule besuchte, ist heute seine engste und wichtigste Mitarbeiterin, assistiert ihm bei der Ausübung seiner Ämter im Badener Stadthaus und im Nationalrat und führt mit ihm die Kulturvermittlung Gibellina Arts.
Dass Müller als Stadtammann während der Arbeitszeit anzügliche Nachrichten samt Nacktselfie an seine Chat-Geliebte schrieb, findet Slavicek nicht schlimm: «Die Chats passierten schliesslich in gegenseitigem Einverständnis.» Aus dem Stadthausbüro hatte Müller geschrieben: «Die Sekretärin ist weg.» Wenn sie ins Büro komme, werde er sie fragen, «ob sie sich bedienen will».
Dafür erntete er von Feministinnen böse Kritik. Susanne Slavicek aber kann den moralischen Vorwürfen nichts abgewinnen. «Geri ist ein guter Chef.»
Als Vorgesetzter sei er jemand, der «sehr respektvoll mit seinen Mitarbeitern umgeht, sie ernst nimmt, ihnen Vertrauen entgegenbringt und sie fördert».
Slavicek: «Ich wünsche mir, dass man ihm die Offenheit und Toleranz entgegenbringt, die auch er für seine Mitmenschen zeigt.» Baden sei schliesslich eine offene Kulturstadt.
Aber eine Weggefährtin von Geri möchte mit so einem Chef nicht mehr arbeiten:
Ich zitiere 20 min:
Politisch verstehen sie sich gut: Die SP-Politikerin Yvonne Feri und der Grüne Nationalrat und Badener Stadtammann Geri Müller
haben oft dieselben Voten abgegeben. Doch bei der Geri-Gate-Affäre
könnten die Auffassungen der beiden verschiedener nicht sein.
SP-Gemeinderätin und Nationalrätin Yvonne Feri aus Wettingen AG kann sich die Zusammenarbeit mit einem Chef wie Geri Müller kaum vorstellen. (Bild: Keystone/Gaetan Bally)
Feri möchte nicht länger schweigen. Die Nationalrätin und
Gemeinderätin in Wettingen AG sagt in der «Aargauer Zeitung», warum sie
von Geri Müller enttäuscht ist: Sie findet «die Aussagen über seine
Sekretärin und die syrische Sozialministerin nicht akzeptabel». Müller,
das hatte die «Schweiz am Sonntag»
publik gemacht, schrieb seiner Chat-Partnerin aus dem Büro Nachrichten
wie: «Die Sekretärin ist weg.» Wenn sie jetzt, wo er ohne Hosen dastehe,
reinkommen sollte, würde er sie fragen, «ob sie sich bedienen will».
Zudem schrieb er seiner Chat-Partnerin aus Syrien fragwürdige SMS über
die Ministerin Kinda al-Shamat, etwa, dass ihre Augen «lasziv
leuchteten».
Feri dazu: «Wenn ich seine Sekretärin wäre, dann wäre für mich klar: Mit einem solchen Chef möchte ich nicht zusammenarbeiten.» Sie fordert in der «Aargauer Zeitung», dass zumindest ein Vermittler eingeschaltet werden müsse, der die Situation zwischen der Arbeitnehmerin und ihrem Chef klären hilft: «Zusammen mit einem Mediator muss dann geklärt werden, wie eine weitere Zusammenarbeit möglich ist.»
Geri-Gate wurde längst eine Gender-Debatte
Feri kämpft für die Gleichstellung von Mann und Frau und gegen Sexismus. Erst kürzlich kritisierte sie den «Blick am Abend» auf Twitter, weil die Zeitung die Story «So sehen Business-Frauen heute aus» mit Jessica Alba im Bikini bebilderte. «Was soll DAS genau bedeuten, bitte schön?», fragte die Politikerin, die lange Zeit im Finanzbereich tätig war und diverse Führungsfunktionen innehatte.
Aber Geri-Gate ist nicht erst durch das Votum von Yvonne Feri zur Gender-Debatte geworden. Dafür hat am deutlichsten wohl «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel mit seinem jüngsten Kommentar gesorgt, der auf sozialen Medien vor allem Spott und Häme kassierte. Kurz zusammengefasst schrieb Köppel, das Zusammenleben zwischen Mann und Frau sei reines «Naturgesetz», Männer könnten fast gar nicht anders wie Geri Müller, ein begehrender Mann sei «nicht mehr zurechnungsfähig» – man müsse darum nachsichtig sein. Umgekehrt definierten sich Frauen darüber, von Männern begehrt zu werden. Köppel: «Das weibliche Selbstvertrauen ist die Summe des männlichen Begehrens im Quadrat.»
Der Geri-Gate-Erguss des «Weltwoche»-Chefs sorgte weit über die Landesgrenzen hinaus für Aufregung. Stefan Plöchinger, Chef des grossen Online-Portals Sueddeutsche.de, führte den Text auf seinem Blog unter dem Titel «die Weltwöchin» ad absurdum, indem er einfach Männlein und Weiblein vertauschte. Auch dieser Beitrag sorgte auf sozialen Medien für Diskussionsstoff – und Heiterkeit.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang mit der Gender Debatte Regula Sämpfli:
Gerigate hat mehr Schlagzeilen provoziert als das Freihandelsabkommen Schweiz-China. Gerigate wurde vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen per Livestream und mit eigens dafür einberufener Talkshow zugänglich gemacht während das Freihandelsabkommen nicht einmal in der Arena diskutiert wurde. Gerigate produziert mehr Posts, Kommentare, Livestreams und Diskusionen als die gegenwärtige Diskussion um TTIP.
Dabei wird Geri Müllers Penis keinen einzigen Zukunftsbereich Ihrer und meiner Politik betreffen. Null, zero, nichts. Und doch hänge auch ich an jedem Click, der Neues zur Story produziert. Denn endlich habe ich eine Geschichte, die nicht mehr runtergebrochen werden kann. Denn es gibt Niveaus, die können nun nicht mehr unterschritten werden. Würden im Jahr 2094 Historikerinnen nur anhand der Schweizer Medienberichte und Online-Medien indessen die wichtigsten politischen Debatten im Jahr 2014 recherchieren, müssten sie erschüttert feststellen: Ein Penis bewegt die Nation.
Der Wirklichkeitsverlust der Medien betreffend lebendiger Politikdebatten ist in der totalitären Versachlichung alles Lebens zu verorten. Diese drückt sich in einem Kategorien-, Umfrage- und biopolitischen Mainstream aus. Der Körper einer Politikerin erhält mehr Aufmerksamkeit als ihr Wahlprogramm. Forschungsfragen des Schweizerischen Nationalfonds werden nach Alterskategorien vergeben. Relevante gesellschaftspolitische Anerkennungen erfolgen gemäss Vernetzungsgrad der Akteure. Seit Jahren verschieben sich die politischen Argumente hin zum Körper, zu Smartvote, zu Statistiken, zu abstrakten, immergleichwährenden Gewinn hin. Diese Ignoranz und all die fehlenden öffentlichen Diskussionen konstruieren ein Klima, in dem mehr über einen völlig irrelevanten Penis geredet wird als über die Wichtigkeit, ein Freihandelsabkommen an die demokratischen Grund- und Menschenrechte zu binden. Diese politische Kultur prägt auch die Akteure, die ihrem Penis mehr Aufmerksamkeit schenken als grossen Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Gerigate wäre nur dann relevant, wenn sich Amtsmissbrauch feststellen liesse. Apropos: Wie war es nun schon wieder mit dem Seco? Interessieren irgendwen die 36 Millionen veruntreuter Steuergelder noch, oder ist der Sozialbetrug eines Carlos (mit einem im Vergleich läppischen Betrag) doch spannender?
In der Demokratie geht es - anders als in jeder anderen Regierungsform - um den Prozess, um Gestaltungsmacht und um den Diskurs. Dieser ist in der Mediendemokratie, die sich im Bade der biopolitischen Verwissenschaftlichung und in der entpolitisierten Identitätspolitik von jung, alt, schwarz, weiss, Aussen und Innen eingerichtet hat, zur Hofberichterstattung der Toilettengänge von Louis XIV verkommen.
2007 schrieb ich, dass sich das Cogito ergo sum zum In media ergo sum transformiert hat. Seit zwei Jahren beobachten wir Coitus ergo sum und nun Penis ergo sum. Die Auswirkungen? «Ein grundlegender philosophische Wandel. Die Verschiebungen sind markant: Von öffentlich zu privat, von Argument zu Körper, von repräsentativ zu identitär, von relevant zu irrelevant, von Diskussion zu Propaganda, von Kompetenz zu Prominenz, von Wahrhaftigkeit zum Image, von weise zu unverantwortlich, von langfristig zu Jetztzeit, von Komplexität zur Plakatierung, von Politik zu Demoskopie, vom Denken zum Zählen.» (Die Macht des richtigen Friseurs, Stämpfli).
Was tun? Nun ja. Man könnte beispielsweise mit einem der hier oder in anderen Kolumnen zitierten Bücher beginnen...Talkthemen über der Gürtellinie gäbe es dann zuhauf.
(Regula Stämpfli/news.ch)
Feri dazu: «Wenn ich seine Sekretärin wäre, dann wäre für mich klar: Mit einem solchen Chef möchte ich nicht zusammenarbeiten.» Sie fordert in der «Aargauer Zeitung», dass zumindest ein Vermittler eingeschaltet werden müsse, der die Situation zwischen der Arbeitnehmerin und ihrem Chef klären hilft: «Zusammen mit einem Mediator muss dann geklärt werden, wie eine weitere Zusammenarbeit möglich ist.»
Geri-Gate wurde längst eine Gender-Debatte
Feri kämpft für die Gleichstellung von Mann und Frau und gegen Sexismus. Erst kürzlich kritisierte sie den «Blick am Abend» auf Twitter, weil die Zeitung die Story «So sehen Business-Frauen heute aus» mit Jessica Alba im Bikini bebilderte. «Was soll DAS genau bedeuten, bitte schön?», fragte die Politikerin, die lange Zeit im Finanzbereich tätig war und diverse Führungsfunktionen innehatte.
Aber Geri-Gate ist nicht erst durch das Votum von Yvonne Feri zur Gender-Debatte geworden. Dafür hat am deutlichsten wohl «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel mit seinem jüngsten Kommentar gesorgt, der auf sozialen Medien vor allem Spott und Häme kassierte. Kurz zusammengefasst schrieb Köppel, das Zusammenleben zwischen Mann und Frau sei reines «Naturgesetz», Männer könnten fast gar nicht anders wie Geri Müller, ein begehrender Mann sei «nicht mehr zurechnungsfähig» – man müsse darum nachsichtig sein. Umgekehrt definierten sich Frauen darüber, von Männern begehrt zu werden. Köppel: «Das weibliche Selbstvertrauen ist die Summe des männlichen Begehrens im Quadrat.»
Der Geri-Gate-Erguss des «Weltwoche»-Chefs sorgte weit über die Landesgrenzen hinaus für Aufregung. Stefan Plöchinger, Chef des grossen Online-Portals Sueddeutsche.de, führte den Text auf seinem Blog unter dem Titel «die Weltwöchin» ad absurdum, indem er einfach Männlein und Weiblein vertauschte. Auch dieser Beitrag sorgte auf sozialen Medien für Diskussionsstoff – und Heiterkeit.
Ich zitiere in diesem Zusammenhang mit der Gender Debatte Regula Sämpfli:
Gerigate hat mehr Schlagzeilen provoziert als das Freihandelsabkommen Schweiz-China. Gerigate wurde vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen per Livestream und mit eigens dafür einberufener Talkshow zugänglich gemacht während das Freihandelsabkommen nicht einmal in der Arena diskutiert wurde. Gerigate produziert mehr Posts, Kommentare, Livestreams und Diskusionen als die gegenwärtige Diskussion um TTIP.
Dabei wird Geri Müllers Penis keinen einzigen Zukunftsbereich Ihrer und meiner Politik betreffen. Null, zero, nichts. Und doch hänge auch ich an jedem Click, der Neues zur Story produziert. Denn endlich habe ich eine Geschichte, die nicht mehr runtergebrochen werden kann. Denn es gibt Niveaus, die können nun nicht mehr unterschritten werden. Würden im Jahr 2094 Historikerinnen nur anhand der Schweizer Medienberichte und Online-Medien indessen die wichtigsten politischen Debatten im Jahr 2014 recherchieren, müssten sie erschüttert feststellen: Ein Penis bewegt die Nation.
Der Wirklichkeitsverlust der Medien betreffend lebendiger Politikdebatten ist in der totalitären Versachlichung alles Lebens zu verorten. Diese drückt sich in einem Kategorien-, Umfrage- und biopolitischen Mainstream aus. Der Körper einer Politikerin erhält mehr Aufmerksamkeit als ihr Wahlprogramm. Forschungsfragen des Schweizerischen Nationalfonds werden nach Alterskategorien vergeben. Relevante gesellschaftspolitische Anerkennungen erfolgen gemäss Vernetzungsgrad der Akteure. Seit Jahren verschieben sich die politischen Argumente hin zum Körper, zu Smartvote, zu Statistiken, zu abstrakten, immergleichwährenden Gewinn hin. Diese Ignoranz und all die fehlenden öffentlichen Diskussionen konstruieren ein Klima, in dem mehr über einen völlig irrelevanten Penis geredet wird als über die Wichtigkeit, ein Freihandelsabkommen an die demokratischen Grund- und Menschenrechte zu binden. Diese politische Kultur prägt auch die Akteure, die ihrem Penis mehr Aufmerksamkeit schenken als grossen Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Gerigate wäre nur dann relevant, wenn sich Amtsmissbrauch feststellen liesse. Apropos: Wie war es nun schon wieder mit dem Seco? Interessieren irgendwen die 36 Millionen veruntreuter Steuergelder noch, oder ist der Sozialbetrug eines Carlos (mit einem im Vergleich läppischen Betrag) doch spannender?
In der Demokratie geht es - anders als in jeder anderen Regierungsform - um den Prozess, um Gestaltungsmacht und um den Diskurs. Dieser ist in der Mediendemokratie, die sich im Bade der biopolitischen Verwissenschaftlichung und in der entpolitisierten Identitätspolitik von jung, alt, schwarz, weiss, Aussen und Innen eingerichtet hat, zur Hofberichterstattung der Toilettengänge von Louis XIV verkommen.
2007 schrieb ich, dass sich das Cogito ergo sum zum In media ergo sum transformiert hat. Seit zwei Jahren beobachten wir Coitus ergo sum und nun Penis ergo sum. Die Auswirkungen? «Ein grundlegender philosophische Wandel. Die Verschiebungen sind markant: Von öffentlich zu privat, von Argument zu Körper, von repräsentativ zu identitär, von relevant zu irrelevant, von Diskussion zu Propaganda, von Kompetenz zu Prominenz, von Wahrhaftigkeit zum Image, von weise zu unverantwortlich, von langfristig zu Jetztzeit, von Komplexität zur Plakatierung, von Politik zu Demoskopie, vom Denken zum Zählen.» (Die Macht des richtigen Friseurs, Stämpfli).
Was tun? Nun ja. Man könnte beispielsweise mit einem der hier oder in anderen Kolumnen zitierten Bücher beginnen...Talkthemen über der Gürtellinie gäbe es dann zuhauf.
(Regula Stämpfli/news.ch)
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