Zurzeit sind viele Betriebe noch auf der Suche nach Lehrlingen.
Ein Grund dafür ist laut Gewerbeverband das tiefe Bildungsniveau der
Schulabgänger. Bereitet die Schule die Jungen nicht mehr genügend auf
das Berufsleben vor?
Christian Amsler: Im Gegenteil - die Schule gibt den Jungen
heute viel mehr mit auf ihren Weg als früher. Zum Beispiel was die
Auftrittskompetenz und das Selbstvertrauen angeht.
Dafür hapert es offenbar an den
Deutschkenntnissen. Lehrlingsbetreuer von Victorinox oder Stadler Rail
beklagen sich, dass Lehrlinge nicht mal mehr einfache
Betriebsanleitungen lesen können.
Klar sind die Herausforderungen an den Deutschunterricht heute mit
vielen Schülern mit Migrationshintergrund grösser. Allerdings ärgert
mich diese Pauschalisierung, dass die Jugend nicht mehr gut Deutsch
könne. Heutige Jugendliche kommunizieren viel häufiger als früher,
vielleicht mit etwas mehr Fehler in der Rechtschreibung. Die Social
Media und SMS Sprache lassen grüssen! Wir haben aber starke und gute
Schüler. Das zeigen die Pisa-Ergebnisse. Bei den Lehrabgängern zeigt
sich nun vielmehr ein demographisches Problem.
Inwiefern?
Weil die Jugendarbeitslosigkeit in den umliegenden Ländern stark
gestiegen ist, hat man hierzulande in den letzten Jahren einen enormen
Effort betrieben, um Lehrstellen zu schaffen. In einzelnen Branchen wie
dem Handwerk hat
es nun mehr Lehrstellen als Schulabgänger.
Das
ist aber noch keine Erklärung für die kritisierten Lücken in den
Basisfächern Deutsch und Mathe. Müsste sich die Schule nicht wieder auf
diese Inhalte konzentrieren?
Diese Frage darf man stellen. Das Problem ist, dass momentan
Forderungen von allen Seiten auf die Schule einprasseln. Während die
einen sagen, die Mathematik müsse gestärkt werden, fordern andere einen
besseren Deutschunterricht, wiederum andere ein Fach Informatik und dann
gibt es noch jene, die den musischen Fächern mehr Gewicht verleihen
wollen. Das kann am Schluss nicht aufgehen. Es können nicht alle
Forderungen aufstellen und im gleichen Satz sagen, die Schule sei
überlastet.
Wie sieht denn ihre Lösung aus?
Es gibt keine Paradelösung. Für mich ist aber klar, dass wir den
Fächerkanon vereinfachen und den Schulunterricht entschlacken müssen.
Weniger ist mehr! Die Schwerpunktsetzung bei den Kernfächern Mathe und
Deutsch mag Sinn machen. Aber man darf nicht vergessen, dass vielen
Schülern genau diese Fächer Mühe bereiten. Diese sind froh, wenn
musische Fächer oder eine Fremdsprache auch zählen.
Das Fremdsprachenkonzept ist aber nicht nur der SVP ein Dorn im Auge, sondern auch den Lehrern. Braucht es überhaupt zwei Fremdsprachen in der Primarschule?
Wir haben die Fremdsprachenstrategie im Jahr 2004 in der EDK
verabschiedet. Sie sieht vor, dass Schüler in der dritten Klasse mit der
einen Fremdsprache beginnen und in der fünften mit der anderen. Damals
war für alle klar, dass frühes Sprachenlernen wichtig ist. Wir sind
immer noch dabei, diese Strategie gestaffelt in den Kantonen umzusetzen.
Das ist ein aufwendiger Prozess, der bis 2015 abgeschlossen sein soll.
Zu diesem Zeitpunkt werden wir Bilanz ziehen. Dass Gegner heute schon
mit Kritik auffahren, finde ich äusserst fahrlässig.
Aber es ist doch ärgerlich, wenn einem Sechstklässler, der mit
seinen Eltern von Uri nach Zürich zieht, fast fünf Jahre Englisch fehlen.
Ja, das verstehe ich. Aber das ist nun einmal eine Referenz an die
Eigenheiten der Schweiz. Es ist den Kantonen überlassen, ob sie mit
Französisch oder Englisch beginnen. Gerade für zweisprachige Kantone
wie Bern, Freiburg oder das Wallis ist es
klar, dass sie zuerst mit Französisch beginnen. Persönlich hätte ich
auch lieber eine einheitliche Lösung für die Deutschschweiz
gehabt.Vergessen wir aber nicht: In unserem föderalistischen System
liegt die Bildungshoheit bei den Kantonen. 6 Kantone an der Sprachgrenze
beginnen mit Französisch,die anderen mit Englisch. Bis am Ende der
Schulzeit sind in beiden Sprachen vergleichbare Ziele zu erreichen. Das
ist eine harmonisierte Lösung im Sinne der Bundesverfassung.
Macht für Sie unter diesen Voraussetzungen die Forderung der Lehrer Sinn, den Fremdsprachenunterricht nicht mehr zu benoten?
Ja, ich bin der Meinung, dass beim Erlernen einer Sprache nicht das
Büffeln und Benoten im Vordergrund stehen soll, sondern die
unbefangene Begegnung mit der Sprache und deren Kultur und vor allem der
Spass am Sprechen.