Terrorbilder oder Bilderterror
Gestern lernte ich an der zhaw - anlässich der Veranstaltung "Warum wir alle über journalistische Qualität streiten müssen" - den Ombudsmann des Tagesanzeigers Ignaz Staub kennen. Da ich auch als Obmudsmann an einer Kantonsschule wirke, hatten wir ein angeregtes Gespräch und ich interessierte mich für seine Kolumne im Tagi. Ich zitiere an dieser Stelle ein lesenswertes Beispiel:
Terrorbilder und Bilderterror
Ignaz Staub
«Ein Bild ärgert mehr als tausend Worte», liesse sich, salopp, über jüngste Reaktionen einzelner Leser sagen. Sie stossen sich an Aufnahmen, die «20 Minuten» und «TA-Online» publiziert haben. Im Fall der Gratiszeitung war es jenes Foto auf der Frontseite, das einen jungen Schwarzen mit Hackebeil und blutverschmierten Händen zeigt, der in London auf offener Strasse einen britischen Soldaten bestialisch ermordet hat.
Ein Leser vermisst hier den gesunden Menschenverstand der Redaktion und erinnert daran, dass Tausende von Jugendlichen und Kindern «20 Minuten» lesen. Ob es, so fragt er, «nur noch um Verkaufszahlen und Sensationen» gehe?
Ein anderer Leser ärgert sich bei Berichten über die «Tanz dich frei»-Demo in Bern über ein Bild im Netz, das, zumindest vorübergehend, die frisch genähte Blessur auf der Stirn eines Verletzten festhielt: «Quasi eine pornografische Detailansicht - wenn man einen Fetisch für frische Wunden hat.» Die Publikation solcher Bilder, kritisiert er, diene «rein voyeuristischen Motiven».
Das Bild aus London ist ein Dokument, das ein unerhörtes Verbrechen dokumentiert. Es kursierte innert kurzer Zeit im Internet, auf das auch Junge fleissig zugreifen. Jenen Medien, die das Standbild eines Handy-Videos veröffentlicht haben, vorzuwerfen, sie würden dem Terrorismus Vorschub leisten, geht zu weit. Wo wäre andernfalls die Grenze zwischen Informationspflicht und Selbstzensur zu ziehen? Hätte der Terror an 9/11 verschwiegen werden sollen? Wohl kaum.
Dagegen lässt sich fragen, ob «20 Minuten» das Bild des Täters in Woolwich so prominent oder so gross hätte zeigen müssen. Dass britische Blätter dies taten, ist angesichts des Tatorts nachvollziehbar. Andere Schweizer Tageszeitungen haben es unterlassen. Es ist aber wohl falsch, Redaktionen generell billiger Sensationshascherei zu bezichtigen. In den meisten Fällen gehen der Publikation (oder der Zensur) von Terrorbildern lebhafte Diskussionen oder heftige Dispute voraus. Ginge es Zeitungen allein um Auflage, liessen sich, etwa aus dem Bürgerkrieg in Syrien, schockierendere Fotos zeigen.
© Tages-Anzeiger; 04.05.2013; Seite 13
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