Donnerstag, 4. April 2013
Das ABC der Medienrhetorik
(Medienseite SN vom 3. April 2013)
(Kleiner Leitfaden zur Medienrhetorik)
Der Auftritt vor den Medien
kann gelernt werden.
Wie, erklärt
ein Experte
für Medienrhetorik.
von Marcus Knill
Auftritte vor den Medien
gehören zum Alltag von Politikern und müssen entsprechend trainiert werden.
Schwimmen lernen wir bekanntlich
nur im Wasser. Der Auftritt vor Mikrofon
und Kamera muss ebenfalls praktisch
gelernt werden. Dennoch lohnt
es sich, folgendes Rüstzeug zu verinnerlichen.
Nachfolgend werde ich die
drei hilfreichen Bausteine (ABC) kurz
erläutern. Zuerst eine Vorbemerkung:
Anlässlich des Duells Minder – Vogt
im Zunftsaal der «Schaffhauser Nachrichten
» wollte eine Zuhörerin von mir
wissen, wer medienrhetorisch besser
abgeschnitten habe. Meine Antwort erstaunte
sie. Ich vertrat die Meinung,
dass nicht das Urteil von Experten
oder Analytikern ausschlaggebend sei,
sondern das der Adressaten, der sogenannten
Laien. Das Publikum entscheidet,
wenn es um die Wirkung von
Medienauftritten geht. Jeder Mensch
hat im Laufe des Lebens gelernt, die
Signale der Körpersprache zu entziffern.
Auch ohne Zusatzstudium bei
Samy Molcho sind wir eigentlich alle
fähig zu sagen, ob jemand überzeugt
oder nicht. Wer seine Wahrnehmungsfähigkeit
nicht zugeschüttet hat, merkt
auch als Laie, ob jemand ein falsches
Spiel spielt.
Früher wurden Politiker von Trainern
gleichsam für den Medienauftritt
abgerichtet. Sie mussten sich die Tipps
und Tricks der Berater aneignen. Das
ist aus meiner Sicht ein völlig falscher
Ansatz. Ungezählte Berater
trainieren derzeit
Politiker und Manager
für Medienauftritte und
Bewerbungsgespräche.
Die Branche scheint zu
florieren. Jedenfalls besteht
ein riesiger Markt.
In einer gefälschten
Welt, in der Menschen
nur noch Rollen spielen,
ist Menschenkenntnis
ein kostbares Gut geworden.
Nur wenige
trauen sich, hinter die zur Schau gestellte
Fassade zu blicken. Sicherheit
wird zu oft künstlich vermittelt. Viele
spielen dieses Spiel mit, und die Kasse
scheint zu stimmen. Ein Ausbilder erklärte
an seiner teuren Fortbildungsveranstaltung,
dass Leute, die die Arme
verschränkten, verklemmt seien. Oder:
Wer die Fingerspitzen an den Mund
halte, der nehme es mit der Wahrheit
nicht so genau. Viele Trainer übernahmen
leider solche pseudowissenschaftlichen
Erklärungen der Körpersprache
und vermitteln dann diese absonderlichen
Informationen ihren Kunden. Im
Training bringen sie ihnen dann bei,
während des Sprechens ja nicht die
Arme zu verschränken oder während
eines Auftrittes mit den Händen auf
keinen Fall das Gesicht zu berühren. So
werden die Bewerbungsgespräche und
Auftritte vor Mikrofon und Kamera zu
reinen Dressurakten, bei denen der
Trainer viel verdient und Menschen
wider Willen eine Komödie aufführen.
Die Produkte: eine falsche Welt par excellence.
Professionelle Coachs verzichten
auf theaterzentrierte Schulungen. Sie
vermitteln Politikern und Persönlichkeiten
keine Rezepte, sondern sie bringen
ihre Schützlinge so weit, dass sie
trotz Stress, Druck und Spannung klar
denken und die Gedanken einfach, verständlich
und zeitgerecht auf den
Punkt bringen können. Das Ziel sind
Natürlichkeit, Echtheit, Glaubwürdigkeit,
Authentizität. Nach der Erkenntnis:
Wenn jemand glaubt, was er sagt,
darf er auch rhetorische Fehler machen.
Das Publikum merkt letztlich, ob
jemand Theater spielt und falsch kommuniziert.
Bluff und Falschspielen werden
vom Publikum langfristig erkannt.
Die Leute können meist nicht genau sagen,
weshalb, doch spüren es Zuhörer
und Zuschauer intuitiv, wenn etwas
nicht stimmt. Wenn jemand überzeugt
ist von seinen Äusserungen, stimmen
nämlich alle Signale wie Stimme, Körpersprache,
Blick, Lidschlagzahl, Hautfarbe,
Schweissaustrieb, Haltung, Muskeltonus
usw. mit der echten inneren
Stimmung (Einstellung) überein!
Es gibt selbstverständlich Kriterien,
die bei Medienauftritten wichtig sind,
Grundsätze, die sich bewährt haben
und deshalb zur Kenntnis
genommen werden
sollten. Nochmals: In
erster Linie muss der
Akteur echt, natürlich
und er selbst bleiben.
Diese gewünschte Natürlichkeit
lässt sich –
trotz Druck und Stress
vor einem grossen Publikum,
vor Scheinwerfer
und Kamera – durch
«learning by doing» erlangen.
Es tönt paradox,
aber es ist so: Natürlichkeit vor Mikrofon
und Kamera können wir lernen, wie
Lesen und Schreiben, denn Medienauftritte
haben die wenigsten in einer normalen
Ausbildung praxisorientiert gelernt.
An heikle Mediensituationen können
wir uns durchaus gewöhnen. Dank
eines fachgerechten Coachings ist es
möglich, das ABC der Medienrhetorik
zu verinnerlichen. Dabei lernen wir im
Mediensimulator, auch unter Druck, bei
Überraschungen und in heiklen Situationen
natürlich zu bleiben.
Nachfolgend
drei hilfreiche Hinweise zum ABC
der Medienrhetorik:
Kernbotschaft im Mittelpunkt
Beleuchten wir zuerst die AAA-Formel:
Anfang (Aufhänger sollte appellativ
und emotional sein), Argument
(ist rational, emotional und nennt Fakten),
Abschluss (appellativ, emotional
eventuell Wiederholung, Fazit). Diese
Gedankenstütze ist einfach. Die sogenannte
AAA-Regel hat sich in der Praxis
bewährt. Repetitive Festigung des
Kernthemas ist Teil der Technik. Es ist
eine klassische Trilogie, die wir in Coaching
Sessions schon oft erfolgreich gebraucht
haben. Im Studio habe ich erlebt,
dass viele ihre Kernbotschaft
nicht erwähnen, weil sie für den Sprechenden
eine Selbstverständlichkeit
ist. Oft wird sie höchstens noch am
Schluss formuliert. Erwähnen Sie deshalb
bei Ihren Auftritten die Dachbotschaft
schon am Anfang, dann wieder
in der Argumentationsphase, zusätzlich
in der Zusammenfassung am
Schluss. Da nochmals das Wichtigste
in Kürze:
A = Anfang = Einstieg. Um
was geht es? Ohrenöffner. Kurze, einfache
Sätze (weckt Aufmerksamkeit).
A = Argument = Kerngedanke. Ein
persönliches Erlebnis, eine Geschichte
oder ein Bild. Argumente (überzeugt,
prägt).
A = Abschluss = Schlussgedanke.
Appell, Zusammenfassung, Wiederholung
der These (ist nachhaltig).
Beispiele zur Botschaft machen
Hier geht es um die BBB-Formel:
Botschaft – Beispiel – Bilder.
Zusammen mit den erfahrenen Fernsehjournalisten
Steffen Lukesch und Franz
Fischlin (SRF) entwickelten wir in
unseren Intensivseminaren folgende
BBB-Formel:
Botschaft: Was ist die
Key Message? Beispiel: Ein Beispiel für
die Botschaft, die man vermitteln will.
Bilder: Bilder sind auch beim Einstieg
und am Schluss wichtig. Dieser Handlauf
lässt sich einfach merken: Ein Argument
oder eine These muss mit
einem Beispiel oder einem Bild gekoppelt
werden.
Erfolg durch Charisma
Hier hilft uns uns die CCC-Formel:
Charisma – Chance – Check.
Zum Charisma:
Charisma hat viele Facetten.
Dem neuen Papst wird Charisma attestiert.
Jacky Kennedy hat es gehabt,
aber auch Trickbetrüger, Scharlatane
hatten es. Charisma kann ein Segen
sein. Wird es missbraucht, ist es ein
Fluch. Charismatische Visionen haben
Leute weiter, aber auch ins Verderben
gebracht. Wenn wir bei einem Politiker
oder bei einer Führungspersönlichkeit
von Charisma reden, so denken wir
heute vor allem an seine Ausstrahlung.
In der Angewandten
Rhetorik sehen wir, dass
jenen Personen Charisma
zugeschrieben
wird, die glaubwürdig
reden, die sich akzeptieren
und ihre Stärken
und Schwächen kennen.
Tatsächlich hat das Charisma
einer Persönlichkeit
etwas mit dem inneren
Gleichgewicht zu
tun. Bei Kommunikationsprozessen
wird
dies meist bei Menschen ersichtlich,
deren Körpersprache, Stimme und Aussage
übereinstimmen. Manche Menschen
scheinen das «gewisse Etwas» zu
haben – andere nicht. Was aber macht
es genau aus, dass man bei einer Person
von Charisma spricht? Charismatischen
Menschen gelingt es, andere
in ihren Bann zu ziehen. Kaum
treten sie auf, ziehen sie Blicke auf sich
und werden von allen beachtet. Ein
Mensch, dem Charisma zugeschrieben
wird, kann beeinflussen, etwas bewirken
und hat meist rhetorisch Erfolg. Es
gilt stets zu bedenken: Eine charismatische
Persönlichkeit kann auch verführen
und ihre Überzeugungskraft missbrauchen.
Zur Chance: Medienauftritte sind
immer eine Chance. Dank der Medien
kann ich meine Botschaft einem Millionenpublikum
präsentieren. So ein Auftritt
ist viel wert. Werber zahlen für
einen 30-Sekunden-Werbespot Tausende
von Franken. Wenn ich die
Chance eines Auftrittes habe, muss ich
sie zu nutzen wissen.
Zum Check: So,
wie wir vor einem Auftritt alles klären
und überprüfen, so gilt es auch nach jedem
öffentlichen Einsatz dessen Resultat
auszuwerten (Debriefing). Es gibt
unterschiedliche Feedbackverfahren.
Aus meiner Erfahrung lohnt es sich,
einen Bekannten als Hofnarren zu bestimmen,
der offen und ungeschminkt
den Spiegel hinhält und direkt unter
vier Augen sagt, was ihm gefallen oder
was ihn gestört hat. Diese CCC-Gedankenstütze
hat mit der eigenen Persönlichkeit
zu tun.
Es geht stets um unsere
Einstellung – den Medien, der Sache
und dem Publikum gegenüber.
Schwächen und Stärken
Bei der Auftrittskompetenz im Umgang
mit Medien gilt es immer, uns
unsere Schwächen und Stärken bewusst
zu machen. In einem fachgerechten
Coaching wird prozess- und
praxisorientiert (gemäss Hofnarren-,
Spiegelprinzip) gearbeitet. Der Gecoachte
lernt, wie er unabhängig von
Beratern seine Kompetenz optimieren
kann: Es geht um die Hilfe zur Selbsthilfe.
Wer sich verbessern will, muss
allfällige blinde Flecken (Störfelder
und Marotten) kennen. Nur so lassen
sich Kommunikationsprozesse
verbessern.
Lernen und Verbessern
ist ein laufender Prozess,
der nie abgeschlossen
ist. Vor fünf Jahren
lernte ich eine
Führungspersönlichkeit
kennen, die zu Beginn
der Ausbildungssequenz
sagte: «Ich muss
nichts mehr lernen. Ich
weiss, wie man mit Medien
umgeht. Ich habe
schon einmal – nach dem Studium –
ein Medientraining besucht.» Auf
meine Frage: «Dann sind Sie demnach
so weit, dass Sie hinsichtlich Auftrittskompetenz
gar nichts mehr lernen
müssen?», folgte ein deutliches
«Ja». Ich sagte: «Schön, dass Sie nichts
mehr neu lernen müssen und alle
Sprechmarotten kennen, deren man
sich nicht bewusst ist.» Mein Kameramann
bemerkte hernach in der Kaffeepause:
«Wer nichts mehr lernen will,
hat eigentlich ein Brett vor dem Kopf»,
und verwies auf unsere LLL-Formel:
Es ist das Kürzel für LebensLanges
Lernen.
* Marcus Knill, Experte für Medienrhetorik, ist Autor des virtuellen
Buches www.rhetorik.ch. Er analysiert seit Jahren Führungspersönlichkeiten
im «persönlich», dem Schweizer Wirtschaftsmagazin für
Kommunikation, unter der Rubrik «Medienrhetorik».
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