Angela Merkel profitierte vom angeschlagenen Wulff
Erstaunlich: Die Werte der Kanzlerin stiegen und stiegen, während das Image des Bundeskanzlers in den Keller fiel.
Auf internationalem Parkett konnte sich Merkel profilieren. Als Machtfrau wusste sie immer ganz genau, wer ihr gefährlich werden könnte. Konkurrenten verstand sie weg- oder hinauf zu befördern.
Der Rücktritt Wulffs könnte nun aber Merkels Beliebtheitsgrad ankratzen.
Wie steht jetzt als Kanzlerin da, nachdem sie bereits bei der Personalpolitik verschiedentlich eine unglückliche Hand hatte?
Die deutsche Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel befindet sich derzeit
in einer heiklen Lage.
Mit Horst Köhler und Christian Wulff hat sie nun
bereits zwei Bundespräsidenten «verschlissen», die von ihr persönlich
ausgewählt worden waren. Beide traten mehr oder weniger freiwillig von
ihrem Amt zurück.
Das hatte es in der Geschichte der
Bundesrepublik noch nie gegeben: Der Bundespräsident ist mit sofortiger
Wirkung zurückgetreten. Als Grund nannte Horst Köhler die Kritik an
seinen Äusserungen zum Afghanistan-Einsatz - er vermisse den Respekt vor
seinem Amt.
Einen weiteren Fehlgriff kann sich Merkel nun wohl kaum mehr
leisten. Sie hat deshalb Gespräche mit SPD und Grünen angekündigt, um
einen «gemeinsamen Kandidaten» für die Nachfolge zu suchen.
Auch bei der Wahl Theodor von Guttenbergs glänzte Angela Merkel nicht.
Man kann bei der Machtfrau Merkel nachweisen, dass sie eine geschickte Hand hat, wenn es darum geht Politiker auszuschalten. Sie weiss genau, wer ihr als Konkurrenten gefährlich werden könnte und wegbefördert werden muss (Merz...)
Nachtrag (Ich zitiere STERN):
Der Politologe Gerd Langguth sieht nur einen Weg, der
Merkel aus der politischen Misere herausbringt, in die sie sich
hineinmanövriert hat. Langguth zu
stern.de: "Es wird ein
schwieriger Testlauf für Frau Merkel, ob es ihr jetzt gelingt, endlich
einmal einen überzeugenden Kandidaten fürs Amt des Präsidenten zu
finden." Aus Sicht Langguths muss die Kanzlerin einen Kandidaten
präsentieren, der
breite politische Zustimmung
findet. "Wenn sie eine überzeugende Lösung bietet, dann wird sehr
schnell bei den Bürgern vergessen sein, wer die Hauptverantwortung für
den gescheiterten Präsidenten trägt."
Das mag sein.
Zumindest draußen in der Republik, bei den Bundesbürgern. Ihre eigene
Partei sieht die Lage skeptischer. Seit Wochen schon werden dort
sorgenvoll, teils sogar verächtlich die Köpfe geschüttelt über die
Kanzlerin. Eine weithin verbreitete These in der Union lautet: Nur weil
Merkel Wulff als potenziellen Konkurrenten aus dem Weg räumen wollte,
habe sie ihn ins Präsidialamt abgeschoben. Die Präsidentenaffäre sei ein
Resultat ihrer
Machtpolitik.
Nach Friedrich Merz, Roland Koch habe sie auch Christian Wulff
entsorgen wollen. Mit anderen Worten: Merkel habe ihren Kandidaten
missbraucht aus egozentrischen Gründen.
Bislang hat die Wulff-Affäre Merkel nicht geschadet, im Gegenteil: Je größer die Vorwürfe an Wulff, desto lupenreiner sah die
äußerliche Tugendhaftigkeit der Kanzlerin
aus. Aber so muss es nicht bleiben. Im Saarland und in
Schleswig-Holstein stehen wichtige Landtagswahlen an. Dort könnte Wulffs
Exit eine Art politisches Nachbeben erzeugen.
Doppelte Blamage
Immerhin
ist die präsidiale Blamage, die CDU-Abgeordnete zuweilen mit dem Fluch
kommentieren "es ist zum Kotzen", nicht die erste. Im Frühjahr 2010 warf
ihr Bundespräsident
Horst Köhler
über Nacht gefrustet das Amt hin, nun trat ihr Präsident Wulff zurück.
Sie hat lange gezögert, Wulff diese Konsequenz nahezulegen, viel zu
lange, wie die führenden Staatsrechtler der Republik schon seit Wochen
kritisieren.
In deren Augen hat Merkel den
Verdacht der Vorteilsnahme
viel zu nachlässig behandelt. Der Verfassungsrechtler Joachim Wieland
von der Verwaltungshochschule Speyer sagte: "Vermutlich hätte man bei
jedem anderen diesen Anfangsverdacht längst bejaht." Die Hannoveraner
Staatsanwaltschaft konnte jetzt nicht mehr zögern, sie hätte sich sonst
dem Vorwurf ausgesetzt, den Rechtsstaat nicht ernst zu nehmen und mit
zweierlei Maß zu messen.
Immer wieder ist in der
CDU/CSU anklagend zu hören, dass der ganze Schlamassel nicht entstanden
wäre, hätte Merkel nicht schon im Jahr 2004, als es um die Nachfolge von
Johannes Rau ging, ihr Machtspiel gespielt. Damals fragte sie den
heutigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ob er bereit stünde,
als Bundespräsident zu kandidieren. Sehr ernst war diese Frage
vermutlich nie gewesen, denn gegen Schäuble gab es Widerstand in der
FDP. Er hat sie trotzdem bejaht.
Aus SPIEGEL:
Christian Wulffs Rücktritt trifft auch
die Kanzlerin. Angela Merkel hat den peinlichsten Bundespräsidenten in
der Geschichte des Landes zu verantworten. Jetzt ist sie in derselben
Lage wie nach dem AKW-Gau in Fukushima: Sie kann einen zentralen
politischen Fehler korrigieren.
Angela Merkel hat vor fast zwei Jahren einen großen Fehler gemacht, der ihr jetzt zugute kommt: Sie setzte Christian Wulff
gegen heftige Widerstände als Bundespräsidenten durch, wider alle
Vernunft, nur von Parteiräson und Machtkalkül geleitet. Im Amt hat sich
Wulff zweimal als der falsche Bundespräsident erwiesen: Erst zeigte er
sich der Aufgabe intellektuell nicht gewachsen, dann holte ihn sein
Faible für Mitnahmeeffekte aus seiner Zeit als niedersächsischer
Ministerpräsident ein. Beides zusammen führte unweigerlich zum
vorzeitigen Ende. Daher, klipp und klar: Angela Merkel hat den peinlichsten Bundespräsidenten in der Geschichte dieses Landes zu verantworten.
Dennoch kann die Kanzlerin froh sein, Wulff in das höchste Staatsamt
gehievt zu haben. Man stelle sich nur einmal vor, Wulff wäre zum
Zeitpunkt der Enthüllungen über Bonuskredite, Bobbycars und
Urlaubseinladungen immer noch Ministerpräsident gewesen. Die CDU stünde
in Flammen und unter Feuer. Weder die Kanzlerparteichefin noch ihre
Partei hätte sich dagegen wehren können, mittendrin im Skandal des
CDU-Spitzenmannes zu sein.
Weil der vormalige CDU-Ministerpräsident aber ins überparteiliche Amt
entschwebte, greifen die Flammen jetzt nicht auf die CDU über. Mehr
noch:
Merkel steht wie die Gegenfigur zum notorischen Nehmer Wulff da,
wie eine, der die reine Macht alles ist - der das Gepränge der Macht,
deren Glamour und halbseidene Begleiterscheinungen, aber "nüscht"
bedeuten. Eher stellt man sich Merkel in ihrem alten Golf auf der
Autobahn von Berlin Richtung Datsche vor als im heißen Bemühen, den
neuesten Q-Irgendwas von VW oder Audi direkt ab Werk vor die Tür
gestellt zu bekommen.
NACHTRAG BILD:
Keine halbe Stunde nach Wulffs Rücktritts-Erklärung geht Kanzlerin Angela Merkel ihren schweren Gang des Tages. Steinerne Miene, fest gefaltete Hände, ein halb volles Glas Wasser auf dem Pult im Kanzleramt.
Vor vier Wochen beim Neujahrsempfang in Schloss Bellevue hielt die Kanzlerin noch demonstrativ zu den Wulffs
Foto: dapd
Sie zollt Wulff „größten Respekt“ für seine Arbeit, bedauert „ganz persönlich“ seinen Rücktritt.
Knapp drei Minuten dauert das – die Kanzlerin entspannt keine Sekunde davon. Christian Wulff war IHR Mann, IHRE Wahl. Sein Rücktritt ist also auch IHR Problem.
Wie sehr wird Angela Merkel vom Sturz des Bundespräsidenten beschädigt?
Fakt
ist: Die Kanzlerin hatte 2010 das Angebot der SPD für einen gemeinsamen
Kandidaten ausgeschlagen. Sie lehnte den hoch respektierten
Joachim Gauck ab, entschied sich für ihren CDU-Parteifreund, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff.
Merkel damals: „Ich halte ihn für einen wunderbaren künftigen Bundespräsidenten.“
Wie
man spätestens jetzt weiß: eine krasse Fehlentscheidung. Und untypisch
für Merkel. Ganz offenkundig wurde nicht ausreichend geprüft, in welchen
privaten oder politischen Vorgängen aus seiner niedersächsischen
Amtszeit (2003–2010) Sprengstoff stecken könnte.
Als Wulff in den Affären-Strudel geriet, saß Merkel mit in der Falle: Sie stützte den Präsidenten, sprach ihm mehrfach öffentlich ihr „vollstes Vertrauen“ aus.
Das
glaubte sie ihrer CDU-Solidarität schuldig zu sein, an der nicht selten
gezweifelt wird. Intern jedoch zeigte sie sich fassungslos darüber, wie
Wulff die Affäre behandelte, wie er sich in immer neue Widersprüche
verwickelte – und was er sich an kleinen und großen Fehltritten in
seiner niedersächsischen Vergangenheit geleistet hatte.
Folgerichtig
versuchte die Opposition, aus dem „Skandal Wulff“ ein „Problem Merkel“
zu machen. Die Umfragewerte der Kanzlerin (und der CDU) stiegen trotzdem
auf Rekordwerte.
Gestern betrieb die Kanzlerin notgedrungen
Schadensbegrenzung: Sie will SPD und Grüne einbinden, um ihnen den Wind
aus den Segeln zu nehmen. Merkel: „Wir wollen Gespräche führen mit dem
Ziel, in dieser Situation einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des
nächsten Bundespräsidenten vorschlagen zu können.“
Damit appelliert sie an die politische Verantwortung von SPD und Grünen – die sich kaum verweigern können.
Merkel über Wulff
„Größter Respekt, tiefes Bedauern“