Montag, 21. Mai 2012

Jauch lehnt  einmal mehr Maulkorbpolitik ab:

Trotz Protesten darf Sarrazin bei ihm reden.


Sarrazin-Auftritt in der ARD

 Jauch zeigt Mut zur Lücke

Moderator Jauch (Mitte) mit Steinbrück, Sarrazin (rechts): Alles kam auf den TischZur Großansicht

Moderator Jauch (Mitte) mit Steinbrück 
Sarrazin(rechts): Alles kam auf den Tisch


Eine gute Talkshow zum Thema Euro-Krise? Gab's noch nie - bis Sonntagabend. Günther Jauch pfiff auf Proporz und Political Correctness, ließ Thilo Sarrazin reden, und siehe da: Es wurde richtig interessant.
 Thilo Sarrazin (SPD) und Peer Steinbrück (SPD) teilen sich das Podium bei Günther Jauch.



Es gab mittlerweile so viele misslungene Diskussionsrunden zur Euro-Krise, dass bei SPIEGEL ONLINE schon die Forderung aufkam, dieses Thema für Talkshows zum Tabu zu erklären. Günther Jauch hat am Wochenende den Beweis geliefert: Es geht! Für eine gute Talkshow zum Thema Euro-Krise reicht es völlig, die Zahl der Gäste zu halbieren - um die richtige Hälfte versteht sich. Großrhetoriker Steinbrück und Provokationsprofi Thilo Sarrazin diskutierten über genau die Fragen, die vermutlich eine ziemlich große Zahl von Deutschen umtreibt. Und gleichzeitig strafte die Debatte ganz nebenbei all jene rechten Verschwörungstheoretiker und Sarrazin-Jünger lügen, die gerne über angebliche Denk- und Sprechverbote in Deutschland spintisieren.
Denkverbote gab es nicht, alles kam auf den Tisch: Sind die Deutschen auch wegen des Holocaust so gute Europäer? Steinbrück würde es differenzierter ausdrücken, sagt ansonsten aber sinngemäß: Ja, und das ist auch gut so. Ein "solcher politischer und ökonomischer Klotz wie Deutschland" mit solch dunkler Vergangenheit sei für seine Nachbarn eben nur zumutbar, wenn er in europäische Institutionen eingewoben sei. Sarrazin sagt sinngemäß: Ja, und das ist nicht gut so.
Und zeigen die im Zuge der Euro-Krise wieder aufgebrochenen Vorurteile von Schummel-Griechen und deutschen Spar-Diktatoren möglicherweise, dass der Euro eben nicht zur europäischen Einigung beiträgt - sondern zur europäischen Zwietracht (Sarrazin)? Oder entstehen diese Ressentiments nur, weil das Krisenmanagement der Bundesregierung versagt hat (Steinbrück)? An dieser Stelle konnte man einmal mehr froh sein, dass kein Proporzgast aus dem Regierungslager anwesend war, sonst wäre die Runde mindestens zehn Minuten lang in den Doof-selber-doof-Modus zurückgefallen.
Stattdessen ging es noch darum, ob eine gelungene europäische Einigung eigentlich nur die Summe aus Frieden, Demokratie und Wohlstand darstelle (Sarrazin) - oder ob da noch mehr sei, eine Art europäische Mission in der Welt. Steinbrück: "Unabhängige Gerichte, Sozialstaat, Trennung von Staat und Kirche, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Aufklärung - das ist Europa, und davon finde ich bei Sarrazin nichts."

In einigen Punkten herrschte auch überraschende Einigkeit zwischen den Kontrahenten: Ja, es war ein Riesenfehler, den Euro einzuführen, bevor die politische Union Europas vollendet war. Ein noch größerer Fehler war es, Griechenland aufzunehmen. Und ja, man hätte Griechenland vermutlich bereits 2010 pleite gehen lassen können, bevor es so richtig teuer gekommen wäre. Und sollten sich die Griechen jetzt nicht ans vereinbarte Spar-und Reformpaket halten, dann müssten sie die Euro-Zone verlassen. Aber Einigkeit auch darüber: Ein Austritt aus der Eurozone ist für Deutschland keine Option.
 
Dazwischen noch eine Menge Ökonomie aus der absoluten Spezialitätenabteilung, die richtige Interpretation von Außenhandelsstatistiken etwa oder das Timing der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Aber immer, wenn die beiden gefühlten Großvolkswirte Steinbrück und Sarrazin allzu penetrant die Länge ihrer Rechenschieber vergleichen wollten, beendete Jauch die Fachdebatte, kehrte zurück zur großen Frage, wie eigentlich Euro und Europa zusammenhängen, und entlockte Sarrazin ganz zum Schluss noch das Bekenntnis, dass er bei der nächsten Bundestagswahl vermutlich wieder SPD wählen werde.


Kommentar:  Günther Jauchs Meinung und  die Antipathie  des Publikums  gegenüber Sarrazin war deutlich erkennbar. Sarrasin stand im Gegenwind. Dennoch holte sich der Moderator  viele Punkte, weil er sich vom Druck von aussen nicht beeinflussen liess und den Mut aufbrachte, heisse Tabuthemen offen und vertiefend auszudiskutieren. Die Kontrahenten Steinbrück und Sarrazin brachten es meist fertig,  die missliebige  Gegenmeinung zu erdulden. In der Regel  liessen sie das Gegenüber ausreden. Nur einige Male konnte sich Steinbrück nicht mehr beherrschen.  Dank Günther Jauch kam es bei dieser Auseinandersetzung zu einem echten Meinungsaustausch. Ich bin überzeugt: Bei einer grösseren Runde hätte der Zuschauer  vor allem Quasselrhetorik anhören müssen, weil in grösseren Runden viel leeres Stoh gedroschen wird. Die Reduktion der Gesprächsteilnehmer hatte sich somit ausbezahlt.


Nachtrag: Mich erstaunen heute die zahlreichen positiven Echos im Netz für Sarrazin.

Beide Kontrahenten  konnten bei Jauch ihre egoistischen Ziele verwirklichen. Steinbrück war es möglich, sich als Kanzlerkandidat zu profilieren und Sarrazin als Werbeträger seines neuen Buches.

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