Freitag, 22. Juli 2011

Auswendiglernen nicht mehr verpönt?


Vor Jahren wurden Pädagogen, die Inhalte auswendig lernen pflegten, von den zeitgemässen Kollegen belächelt. So wie es keinen Frontalunterricht mehr geben durfte, war jegliches Memorieren tabu.

Nun scheint die Wissenschaft erkannt zu haben, dass im Zeitalter des Interets die Förderung der Gedächtnisleistung wieder einen neuen Sinn bekommt. In der Kampus Beilage NZZ wurde diese Thematik jüngst beleuchtet.


Ich zitiere:


«Ich komm gerade nicht drauf!»

Wir können unserem Gedächtnis ruhig mehr zutrauen – es kann Verblüffendes

Erinnerungen können sich zu neuen, spannenden Ideen verknüpfen. Man muss sie aber erst einmal in den Kopf abfüllen. (Bild: Falko Ohlmer)Zoom

Erinnerungen können sich zu neuen, spannenden Ideen verknüpfen. Man muss sie aber erst einmal in den Kopf abfüllen. (Bild: Falko Ohlmer)

Lernstoff auswendig lernen gilt leider heute oft als aufreibend und sinnlos. Wozu im Zeitalter des Internets das Gedächtnis anstrengen? Memorieren kann aber unterhaltsam sein – und hat seine Vorteile.


Es ist wie eine allergische Reaktion, die ganze Studentenscharen befällt. Kaum heisst es «bitte auswendig lernen» folgt die Abwehrhaltung. Wozu braucht man all den Stoff? Im Beruf wird man die Fakten eh per Mausklick und nicht per Gedächtnis herbeizaubern. Und kaum hat man das memorierte Wissen bei der Prüfung abgespult, scheint der Stoff aus der Erinnerung verschwunden.
Tatsächlich aber ist das Gedächtnis weder so schwer in den Griff zu kriegen noch so leistungsschwach wie wir annehmen. Das Problem ist nur: Wir trauen ihm nichts mehr zu. Im Zeitalter von elektronischen Erinnerungsfunktionen und Adressbüchern wird das Gedächtnis ein Opfer des Outsourcing. Schliesslich, so scheint es, ist es wesentlich einfacher die Maschinchen machen zu lassen als das eigene Gehirn.


Ende Zitat


Der NZZ Beitrag macht uns  bewusst, dass dem  Gedächtnis in unserem Leben eine tragende Rolle im gesellschaftlichen Leben zukommt. Wer früher als kultiviert gelten wollte, lernte die Werke von der ersten bis zur letzten Seite auswendig. Das geschriebenen Wort war lediglich  eine Stütze zu: «Die Dinge werden in Büchern niedergeschrieben, um dem Gedächtnis zu helfen», hielt Thomas von Aquin in seiner «Summa theologica» fest.

Im antiken Griechenland Griechenland führte Simonides von Keos die Gedächtniskunst – Mnemonik – ein. Sein simpler Rat entsprach den heutigen Erkenntnissen: Wenn wir uns an etwas erinnern wollen, müssen wir die Gedanken Bildern zuordnen. Wenn die Bilder gedanklich  in ein vertrautes Gebäude gesetzt werden, lassen sie diese Bilder nachher auswendig wieder abrufen. Das Erinnern wird  zu einem imaginären Gang durch diese Räume. Diese sogenannte Loci-Methode funktioniert erstaunlich gut. Es ist eine Eigenart des Gedächtnisses, dass wir visuelle und räumliche Informationen besonders gut speichern können.
Die Methode wird noch heute als Strategie der Sieger nationaler und internationaler Gedächtnis-Meisterschaften angewendet. Visualisierung ist ihr Schlüssel.
.

Wir können von Gedächtnis-Profis lernen

Die Bildung von Schlüssel- und Brückenbegriffen ist eine weitere Hilfe:

Wir können einzelne Kapitel mit bereits gelerntem Stoff verknüpfen und somit das Erinnern erleichtern. Wenn es sich nicht um ganze Bücher, sondern um überschaubare Mengen des Lernstoffs handelt, ist auch das Auswendig lernen durch regelmässige Wiederholung zu empfehlen. Denn das Gedächtnis zu fördern und ihm ruhig mal etwas zuzutrauen zahlt sich nicht nur im Examen aus: Erinnerungen können sich zu neuen, spannenden Ideen verknüpfen, denn Kreativität schöpft stets aus dem Alten, bereits Vorhandenen.



Das Gedächtnis kann und muss trainiert werden




Es ist bekannt, dass ein Schauspieler seitenweise Texte auswendig speichern kann. Dies ist jedoch ohne Training nicht möglich. Auch Namen können auswendig gelernt werden, indem gezielt Eselsbrücken genutzt werden. Diese Merkfähigkeit kann gelernt werden. Ein Medizinstudent sagte mir, wer nicht gelernt hat Medikamente und Begriffe aus der Anatomie automatisch abzurufen, der hat Probleme bei Prüfungen. Er habe sich während des Studiums das Gedächtnis bewusst gefordert und trainiert.
Viele Schüler sagen sich, dass man ja im Zeitalter des Internets alles abrufen könne und es völlig sinnlos sei, Flüsse, Seen oder Städte ( analog der Briefträgergeografie) auswendig zu lernen. Diese Kritiker sind sich nicht bewusst, dass jedes noch so sinnlose Training von Namen, Texten oder Fremdwörtern, beitragen kann, die Merkfähigkeit zu verbessern.


Ich zitiere aus meinem Lehrbuch "Angewandte Rhetorik" (natürlich, adressatengerecht, inhaltzentriert reden) aus dem Kapitel Gedächtnis:




Das Gedächtnis ist ein «Sieb»


Mit diesem Test können Sie jeden, der eine Armbanduhr mit Zeigern besitzt, prüfen (also auch sich selbst). Die Testperson darf dabei nicht auf ihre Uhr blicken und soll möglichst genau deren Aussehen beschreiben:


Welche Farbe hat das Zifferblatt? Enthält es Zahlen, Striche, Punkte oder mehreres davon? Wie sehen die Zwölf, die Sechs und die Drei aus? Ist für jede Minute eine eigene Markierung vorhanden?


  Der Test ergibt meist viele falsche Antworten. Der Grund: Nicht das Aussehen der Uhr inter essiert uns, wenn wir auf sie blicken, sondern die angezeigte Zeit. Unser Gedächtnis siebt
Informationen aus, die im Grunde unwichtig sind:
Andernfalls würde das Gedächnis «platzen».



Das Gedächtnis speichert nur Dinge, die als wichtig eingestuft worden sind.



Um bei der Siebvorstellung zu bleiben: Zum Beispiel mit dem Vernetzen Wort -
Bild (Mnemotechnik) bleiben die Informationen letztlich hängen. Deshalb können wir uns Wort reihen mit Wortpaaren besser merken, wenn sie mit Bildern eingeprägt werden.



Berg - Baum Nachricht - Kerze
Tisch - Frau
Terminabläufe, Zahnarzt/Sitzung/usw. (Wir stellen uns den Ablauf als Bildergeschichte
vor.)



Namen und Gesichter lassen sich so besser merken: Frau Glocker - (Glocke)
Herr Kaminski (Kamin/Ski)



Zahlen merken



Der 2. Weltkrieg ging 1945 zu Ende (eine Viertel stunde vor acht).
Geschichten als Bildergeschichten einprägen (Comics ähnlich mit Strichzeichnungen). Ein Reallehrer verlangte von seinen Schülern bei jeder Französischlektion das Auswendiglernen eines kleinen Textes. Diese Gedächtnisschulung war zuerst äusserst mühsam. Einige der Klasse fühlten sich überfordert. Trotz gutem Willen und stundenlangem Lernen blieben die Sätze nicht haften. Erst nach dem gemeinsamen Erarbeiten des Textes als Bilderzeichnung blieb der Text gespeichert.



Vorgehen:



1. Übersetzung (Französisch ins Deutsche)


2. Erstellen einer Bildergeschichte (mit Piktogrammen/Strichzeichnungen)



3. Die Benützung der Bilder als «Spick» wurde erlaubt (bewusst!).


Erstaunlicherweise verzichteten die meisten später auf die Bilder, weil Text und Bild vernetzt im Langzeitgedächtnis haften blieben. 


Wie verhindern wir das Vergessen? (Gedächtnis training)


<
Das Gedächtnis ist ein kapriziöses und launiges Wesen, einem jungen Mädchen zu vergleichen, bisweilen verweigert es ganz unerwartet, was es hundertmal geliefert hat, und bringt es dann später, wenn man nicht mehr daran denkt, ganz von selbst entgegen.



Schopenhauer



Die Zahl der Kursteilnehmer an Rhetorikseminaren, die an der Kapazität ihres Gedächtnisses zweifeln, ist recht gross. Sie wissen nicht, dass es Voraussetzungen und Techniken gibt, die Effizienz des eigenen Gedächtnisses zu verbessern.
So können wir «das Vergessen» verhindern:



Möglichkeiten:



- Sich konzentrieren


- Kombinieren (Gedanken mit ähnl. Sachverhalten verbinden)

- Sich fragen (bewusst Fragen stellen, Sachverhalte hinterfragen

- Sich interessieren (Neugierde)

- Bewusstes «In-Trab-halten» des Gehirns (Denken beschleunigt Blut- und Sauerstoffzufuhr. Nicht Zuckerwasser trinken oder tief atmen macht «gescheit».)



- Denkanstösse (spielend denken)

- Einsicht in Logik und Zusammenhänge 

- Wille zum Speichern

Zur Konzentrationsfähigkeit:


Entscheidend ist der Grad der Anteilnahme (Aufmerksamkeit) und die Abschirmung von störendem Umweltgeschehen

- Denken mit Wissen verbinden

- Zusammenhänge sehen (Begriffe einordnen: Herkunft von Wörtern feststellen)


- Diskussion mit Aussenstehenden


- Freude am Lernen

- Günstige Stimmung schaffen (angenehmes Lernklima)

- Wiederholen (auf allen Kanälen repetieren):

• schreibend 


• hörend (Tonband laufen lassen, mit eigenen Hörgedanken oder mit ausformuliertem Text)

• sehend

• lesend (sich dabei Fragen stellen), laut lesend


• zusammenfassend (in Intervallen)

• zeichnend

• mit Stichworten wiederholend (denkend und laut trepetieren

) • ohne Stichworte wiederholend

- Kombinierte Wiederholung: Indem der nämliche Inhalt in neue Zusammenhänge eingebettet wird (Stoff mit anderen Sachverhalten verbinden...


- Verknüpfen (Neues mit Bekanntem), Gedanken verknüpfen
4-Takt-Motor ala Velopumpe sehen. Kompression kann man sich so besser vorstellen
(vor dem Takt «Zündung»)


- Assoziationsbrücken (Eselsbrücken
)
- Verzicht auf Drogen und übermässigen Alkoholgenuss


- Ausgewogene, vitaminreiche Nahrung

- In Etappen lernen (Erholungspausen machen)


Lieber an zwei Tagen nur je eine Stunde üben, alsan einem Tag zwei Stunden trainieren.


- Schreiben (mitschreiben bei Vorträgen)
Vervielfältigungsapparate sind Gedächtniskiller, da Lernende nicht mehr selbst schreiben, strukturieren, umformulieren, zusammenfassen müssen.

- Aufmerksames Zuhören

- Lesen mit schweifendem Blick. Der Lesendenimmt mit einem Blick aufs Manuskript den Gedanken auf (schnelles Überfliegen des Satzes), und der Blick springt dann frei zum Publikum. zwingt zum Mitdenken beim Lesen).


- Laut denken (Sprachmelodie, Betonungen sind
Gedächtnisstützen)


- Schnelllesen (überfliegen und dabei mitdenken, sich
Fragen stellen während des Überfliegens).

Die Zeitungslektüre ist für das Gedächtnis bereits eine
gute Sache.

- Informationen interpretieren, beurteilen

- Genügend Ruhe, Schlaf!



Wichtig!

Eigene Veranlagung berücksichtigen. Der Redner benötigt vor allem das Kurzzeitgedächtnis (beim Überfliegen der Stichworte holt der Redner Gedanken zurück, um sie dann frei wiederzugeben).


Für das Einprägen im Training hilft es, mit zu berücksichtigen, dass Menschen unterschiedlich veranlagt sind.

> Der eine prägt sich Texte eher motorisch ein (muss es mehrmals schreiben).


> Oder er ist eher akustisch eingestellt (muss laut lernen oder ab Tonband).


> Visuell veranlagte Menschen merken sich Inhalte besser über: verschiedene Schriften, Farben, Unterstreichen, Benützen von Strichbildern, Piktogrammen, usw.


Übung:


1. Fernsehfilm zusammenfassen (ins Diktiergerät)


) 2. Buchinhalt wiedergeben


3. Tagebuch schreiben

4. Vortrag schriftlich wiedergeben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen