Sonntag, 5. Juni 2011

Machtmensch Blatter



Diese Analyse trifft den Nagel auf den Kopf. Sie ist lesenswert:


Wiederwahl

02. Juni 2011 (Quelle 20 Minuten)

Ganz einfach der mächtigste Schweizer

von Klaus Zaugg - Fifa-Präsident Sepp Blatter (75) beherrscht die Machtpolitik wie kein anderer und ist deshalb der Machiavelli des 21. Jahrhunderts. Eine Würdigung.

Niccolo Machiavelli, ein Politiker, Philosoph und Schriftsteller aus dem Zeitalter der Renaissance, hat den Begriff Machiavellismus geprägt: Machtpolitik mit rücksichtsloser Ausnutzung aller Mittel. Seine Bücher sind noch heute die Gebrauchsanleitung zu jeder politischen Karriere. Tief im Herzen möchten alle Politiker kleine Machiavellis sein. Nur ganz wenige sind es mit Leib und Seele. Einer davon ist Sepp Blatter. Er hat die Regierungsform des Absolutismus aus der Renaissance ins 21. Jahrhundert hinübergerettet. Aber anders als Frankreichs König Ludwig XIV, die Kultfigur aller absolutistischen Herrscher, hat er nicht einmal finanzielle Sorgen.

Auf den ersten Blick scheint es unbegreiflich, dass ein Mann, der scheinbar weltweit von den Medien geschmäht wird, mit einem Glanzresultat für eine vierte Amtsperiode gewählt worden ist. Doch genau das erklärt das Wesen und Wirken der Fifa.


Unwetter ohne Wirkung




Kritik an der Fifa und an Sepp Blatter, die sich lediglich auf die Art und Weise bezieht, wie Geld verteilt wird, verhallt wie Theaterdonner. Es blitzt und donnert zwar gewaltig und gebannt starrt das Publikum auf die schwarzen Wolken am Medienhimmel – aber die Unwetter bleiben ohne jede Wirkung. Gewählt wird Sepp Blatter von den Delegierten der 208 Mitgliedsländer – und die sind in ihren Ländern auch kleine «Blatterli». Die funktionieren ähnlich oder gleich. Alte Männer wie Sepp Blatter, die um ihre Macht kämpfen, mögen von den Medien und in westlichen Demokratien geschmäht werden – in sehr vielen Fifa-Mitgliederländern aber werden solche graue Leitwölfe als «Krokodile» oder «Löwen» verehrt. Blatter geniesst gerade wegen seiner Machtpolitik weltweit grössten Respekt. Denn die Mächtigen verstehen sich immer.
Als Präsident kann er in der Fifa auf der «inneren Linie» operieren und ist gegen jeden Herausforderer im Vorteil. Im Notfall setzt er die Ethikkommission, seine «juristische Leibgarde», in Marsch. Sie kann jeden Fifa-Funktionär um Amt und Ehren bringen – aber sie wendet sich so wenig gegen ihren Präsidenten wie die alte Garde gegen Napoleon.


Eine Männerrunde nach eigenem Gutdünken




Das Sittenbild der Fifa zeigt lediglich einen Alltag, der gar nicht anders sein kann. Immer wieder wird nämlich vergessen, dass der Weltfussballverband nicht mit westlichen Massstäben der Demokratie und Transparenz gemessen werden darf. Die Fifa ist weder eine öffentlich-rechtliche Institution noch eine Aktiengesellschaft. Sondern bloss ein Verein nach Artikel 60ff unseres Zivilgesetzbuches und daher ohne strenge Auflagen für Bilanzierung, Buchführung, Gewaltentrennung und Transparenz wie eine AG oder ein demokratisches Staatsgebilde. Als Fifa-Gericht fungiert eine Ethikkommission, deren Mitglieder die Täter selber auswählen. Die TV- und Werbeeinahmen schwemmen unaufhörlich Geld in die Kassen (jede WM zinst mit über drei Milliarden Franken) und es gibt keine demokratische Kontrolle über diese Geldflüsse. Die Kohle verteilt eine Männerrunde nach eigenem Gutdünken. Deshalb ist die Fifa die mächtigste und wirtschaftlich erfolgreichste Männerrunde der Weltgeschichte. Im Vergleich zu Fifa-Präsident Sepp Blatter war selbst Julius Cäsar ein Warlord mit regional beschränktem Einfluss.
Ob Sepp Blatter den Willen und die Kraft hat, die Fifa zu verändern? Diese Frage müsste höchstwahrscheinlich mit «Nein» beantwortet werden. Obwohl der Machtwolf ab und zu Kreide frisst und Reformen verspricht. Aber diese Frage stellt sich gar nicht: Das Wesen und Wirken der Fifa verändern, hiesse ja, die eigene Machtbasis demontieren.


Die öffentliche Meinung interessiert nicht




Kann sich der Weltfussballverband einen Präsidenten wie Sepp Blatter leisten? Wenn wir die öffentliche und veröffentlichte Meinung berücksichtigen, lautet die Antwort «Nein». Aber diese Meinung interessiert in der Fifa die Mächtigen nicht. Wir leben zwar in Zeiten tiefgreifender politischer und wirtschaftlicher Veränderungen. Doch die Fifa erwirtschaftet im Jahr durchschnittlich rund eine Milliarde aus dem Sport-Business – und das ist ein «ewiges» Geschäft, das durch die Zeitläufe kaum berührt wird.
Wenn wir also die Fifa verstehen wollen, müssen wir den Blick rückwärts wenden. In die Zeit lange vor der Französischen Revolution. Und uns mit den Schriften von Niccolo Machiavelli (1469-1527) oder dem Leben am Hofe von Ludwig XIV (1638 – 1715) befassen. Und dann erkennen wir: So arg treiben es Sepp Blatter und seine Freunde im Vergleich zu ihren historischen Vorbildern ja nicht einmal.
Gehen wir zum Schluss noch einer Frage nach: Ist Sepp Blatter ein guter Botschafter der Schweiz? Ja, das ist er. Wer so schlau, notfalls so rücksichtslos, aber immer legal seine Macht über eine so lange Zeit zu verteidigen vermag, der geniesst die Bewunderung aller Mächtigen dieser Erde. Kein anderer Schweizer hat in diesen Tagen so viel Macht und Einfluss wie Sepp Blatter. Er ist ganz einfach der mächtigste Schweizer.


Kommentar:


Das Phänomen Blatter hat mich seit Jahren beschäftigt. Ich beurteilte in erster Linie seinen Umgang mit Medien und seine Rhetorik. Diese Analyse finde ich aufschlussreich, weil hier aufgezeigt wird, weshalb sich eine umstrittene Person  gegen alle Kritiker und Journalisten durchsetzen kann und im heutigen Medienzeitalter rücksichtslos alle Machtmittel durchzusetzen versteht: Blatter kann sich alles leisten. Er löst alles intern gleichsam in seiner Familie. Der Verein ist jeglicher Kontrolle entzogen.




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