Nachdem
die Schiedskommission in Sarrazins Ortsverein Charlottenburg-Wilmersdorf
am Gründonnerstag fünf Stunden hinter geschlossenen Türen getagt hatte,
darf der streitbare Autor in der Psrtei bleiben. Die vier Anträge auf
Parteiausschluss wurden zurückgezogen, stattdessen gab Sarrazin eine
Erklärung ab, dass er in seinem Buch nicht die Umsetzung
sozialdarwinistischer Theorien vertrete, keine Migranten diskriminieren
und keine Grundsätze der SPD habe verletzen wollen. Danach verschwanden
die Genossen wortlos in die Osterpause.
Quelle BILD
Wie kam es zu dieser Blitzwendung?
Nach Bild wirkten auf SPD-Seite vor allem Generalsekretärin Andrea Nahles und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit mit.
Ihr Ziel: Sie wollten auf jeden Fall verhindern, dass das Parteiausschlussverfahren den laufenden Landtagswahlkampf in Berlin überschattet. Dort geht es im September für die Gesamtpartei um ihre Zukunft.
In Berlin droht der SPD die Schmach, ein zweites Mal nach Baden-Württemberg hinter die Grünen zu fallen. In Umfragen liegen die Grünen mit Wowereit-Herausforderin Renate Künast derzeit vorn. Ein Parteistratege:
„Wir müssen alle Kraft in Berlin stecken. Geht die Wahl dort schief, wird es dauerhaft eng für die SPD".
Dieses Wissen hat im Sarrazin-Verfahren eine wichtige Rolle gespielt.“ Da galt dann auch Gabriels Parole, im Fall Sarrazin gehe es um die Grundsätze der Partei, da dürfe auf Wahltaktik keine Rücksicht genommen werden, nichts mehr.
Sarrazin selbst war auch bereit, mit seiner relativierenden Erklärung einen Preis für den Verbleib in der Partei zu zahlen. Als SPD-Mitglied bekommt er für seine Sozialstaatsthesen mehr Aufmerksamkeit. Und der gewiefte Taktiker wusste, dass er mit dem Verzicht der SPD auf seinen Rauswurf als Gewinner dasteht.
Zur vertraulichen Sitzung der Schiedskommission brachte Sarrazin einen Entwurf seiner Erklärung mit. Der reichte nicht ganz zum Friedensschluss. Das Parteigericht legte seinerseits einen Text vor, den Sarrazin auf Anraten seines Rechtsbeistandes Klaus von Dohnanyi akzeptierte.
Parteichef Gabriel verfolgte das Geschehen aus der Ferne im Urlaub am Bodensee. Er wusste zwar, dass Nahles eine Einigung mit Sarrazin zu erreichen versuchte, in den konkreten Kompromiss am Donnerstag war er nicht eingebunden. Seinen Unmut über das Ergebnis soll er seiner Generalsekretärin auch gleich nach Sitzungsende telefonisch mitgeteilt haben. Partei-intern grollt Gabriel, öffentlich schweigt er bislang.
Kommentar:
Der Zwist mit Sarrazin entzündete sich an seinen Aussagen im Bestseller "Deutschland schafft sich ab". Darin zweifelte der Autor an der Intergrations- und Leistungsbereitschaft der muslemischen Zuwanderern. Aus der Sicht der SPD Spitze hatte Sarrazin damit gegen die die Grundsätze der Sozialdemokratie verstossen. Der gesamte SPD -Parteivorstand beantragte deshalb sofort einen Parteiausschluss. Sigmar Gabriel war derjenige, der den Ausschluss so laut - wie kaum ein anderer - gefordert hatte Dann folgte überraschend bei der Bevölkerung und in den Medien eine Erfolgs- und Sympathiewende des Provokateurs, weil er Probleme angesprochen hatte, die von der Partei nie angesprochen worden sind. Aus meiner Sicht hatte somit die Partei zu vorschnell reagiert. Die Kehrtwende wird zwar als Versuch gewertet, die Situation zu retten. Das Wendehalsverhalten bei Parteien macht sich nie bezahlt. Es darf bezweifelt werden, dass sich somit die überraschende Einstellung des Ausschlussverfahrens für die SPD lohnen wird. In der Partei werden jedenfalls schon heute Stimmen der Kritik laut.
Nachtrag:
Quelle: Persönlich.com
Thilo Sarrazin
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Skandalautor bald im KKL
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Sein Buch spaltete Deutschland - das Interview.
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Herr Sarrazin, Sie haben mittlerweile beinahe 1,3 Millionen Exemplare von Ihrem Buch "Deutschland schafft sich ab" verkauft. Haben Sie beim Schreiben damit gerechnet, dass Sie so einen Wirbel auslösen würden?
- Nein, überhaupt nicht. Die Erstauflage des Buches betrug 25 000 Exemplare. Ich hatte beim Schreiben meines Buches vielmehr den Eindruck, dass der Text wenig Neues enthalte und recht zahlenlastig sei
.
Was hat Sie dann bestärkt, Ihr Buch entgegen allen Widerständen fertigzuschreiben?
- Die meisten Autoren, die über längere Zeit an einem Buch arbeiten, haben zwischendurch Selbstzweifel.
War der provokante Titel "Deutschland schafft sich ab" Ihre Idee?
- Der Arbeitstitel des Buches war "Wir essen unser Saatgut auf". Das fand der Verlag nicht verkaufsträchtig genug. Der dann gewählte Titel ist einer Textpassage des Buches entnommen. Nach einigen Bedenken fand ich ihn dann doch recht treffend.
Warum?
- Aus drei Gründen: Die niedrige Geburtenrate führt zu einer ständigen Schrumpfung der autochthonen Bevölkerung. Da die Gebildeten relativ weniger Kinder haben, sinkt gleichzeitig das intellektuelle Niveau der Bevölkerung. Die Einwanderung in der Struktur, wie sie in Deutschland stattfindet, schafft keine Abhilfe, sondern verschlimmert das Problem eher noch.
Warum haben Ihre Thesen eine solche Reaktion ausgelöst?
- Ich habe nichts Neues gesagt, aber Bekanntes empirisch belegt und auf den Punkt gebracht. Die Menschen nehmen oft das Selbstverständliche nicht wahr, wenn es sie nicht unmittelbar betrifft.
Woran liegt das?
- Die Menschen leiten 80 Prozent ihrer Weltsicht aus ihrer eigenen Betroffenheit ab. Ich bin 66-jährig, meine weitere Lebensspanne liegt zwischen 15 und 25 Jahren. Sie sind deutlich jünger. Daraus folgt, dass Ihre eigene Betroffenheit und somit Ihre Lebenssicht eine andere ist als die meinige. Wenn man Kinder hat, kann das ein bisschen anders sein. Dann interessiert man sich stärker für die Probleme der nächsten Generation, aber auch nur für diese. Die meisten Menschen, und leider auch die meisten Politiker, wagen in zeitlicher Hinsicht kaum einen Blick über den Tellerrand ihrer eigenen Existenz.
Wie haben beispielsweise die Türken in Deutschland auf Ihr Buch reagiert?
- Sie meinen die Menschen in Deutschland mit türkischem Migrationshintergrund? Viele gut Integrierte unter ihnen wissen, dass ich mit meinen Analysen recht habe und haben mir dies auch bestätigt. Andere wissen zwar, dass ich recht habe, glauben aber, dass man dies nicht so sagen darf. Die dritte Gruppe lehnt meine Thesen vollständig ab, weil sie eine Integration ihrer Volksgruppe in Deutschland, die am Ende immer auch Assimilation bedeutet, nicht möchte. Schlussendlich ist es aber nicht so wichtig, was einzelne Gruppen über mein Buch denken. Ich habe darin niemanden beleidigt, sondern lediglich unbestrittene Fakten dargestellt.
Jetzt hat aber auch Ihr Bundespräsident Christian Wulff in einer Reaktion auf Ihr Buch gesagt, dass der Islam zu Deutschland gehöre …
- Diese Äusserung ist fünf Monate alt, unklar blieb bis heute, ob er sie normativ oder deskriptiv meinte.
Kurz nach der Veröffentlichung haben Sie sich mit der ganzen politischen Kaste angelegt. Die Bundeskanzlerin nannte Ihr Buch nicht hilfreich, der Bundespräsident bot seine Hilfe an, um Sie aus dem Vorstand der Bundesbank zu entfernen, und Ihre Partei, die SPD, will Sie aus der Partei rausschmeissen. Wie geht man damit um?
- Ich habe mich mit niemandem angelegt, sondern lediglich die Aussagen meines Buches bekräftigt. Angela Merkel hat letztlich nicht ihr Ziel erreicht, mich mundtot zu machen. Sie wird mittlerweile erkannt haben, dass ihre damalige Äusserung für sie selbst nicht hilfreich war.
Und der Parteiausschluss aus der SPD?
- Dazu wird es nicht kommen. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat den Antrag Ende August aus opportunistischen Gründen auf den Weg gebracht. Das wird er bereits bereut haben.
Es gab verschiedentlich Mutmassungen, dass Sie eine eigene Sarrazin-Partei gründen könnten.
- Ich war immer der Ansicht, dass die anstehenden Probleme durch die bestehenden Volksparteien bewältigt werden müssen. In jeder Demokratie wird es immer bu¨rgerliche und sozialdemokratische Parteien geben, die 80 Prozent des gesamten Themenspektrums abdecken. Deswegen kam die Gründung einer eigenen Partei für mich nie infrage, und daran hat sich auch nichts geändert …
Trotzdem dürfte es Sie irritieren, dass Sie ausgerechnet von jener politischen Klasse, welcher Sie selbst angehört haben, so massiv kritisiert und auch ausgegrenzt werden.
- Wer zeitweilig von den Herrschenden ausgegrenzt wird, muss darum noch nicht unrecht haben. Denken Sie an Martin Luther, nachdem der Reichstag zu Worms die Reichsacht verhängte.
Der Spiegel brachte zuerst einen Vorabdruck Ihres Buches, um anschliessend auf Sie einzuprügeln. Hat sich aufgrund der Sarrazin- Debatte Ihre Meinung über die deutschen Medien geändert?
- Meine Meinung über die deutsche Medienlandschaft hat sich nicht grundsätzlich geändert, ganz sicher aber nicht verbessert. Ich musste einmal mehr feststellen: Was die Bevölkerung wirklich denkt, findet man selten oder überhaupt nicht auf der politischen Agenda. Es findet vielmehr ein Dialog zwischen den Politikern und der veröffentlichten Meinung statt, nach welcher sich die Politiker richten. Der Austausch zwischen Volk und Politik ist hingegen sehr spärlich.
Und Ihr Bild von den Journalisten?
- Die schreibende und berichtende Klasse spiegelt nicht den soziologischen Aufbau unserer Gesellschaft wider. Unter den Journalisten finden sich verhältnismässig wenig Ingenieure, Kaufleute und Juristen. Es handelt sich vor allem um Geisteswissenschafter, die sich mit Zahlen und Fakten häufig schwertun, dafür umso mehr von ihren eigenen Vorurteilen Gebrauch machen.
Wird Ihr Buch etwas verändern?
- Diese Frage ist nicht beantwortbar. Remarque prägte 1928 mit seinem Roman "Im Westen nichts Neues" den Blick einer ganzen Generation auf das Thema Krieg. Trotzdem konnte das Buch den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern. Fünf Jahre nach der Publikation kamen die Nationalsozialisten an die Macht, elf Jahre später begann mit dem Überfall auf Polen das grosse Desaster. Ich habe jetzt nochmals Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" zur Hand genommen, welches 1918 bis 1920 erschien. Darin spiegelt er auf brillante Weise das damalige Lebensgefühl in Europa wider, welches nicht nur in Deutschland von einer Sehnsucht nach einer starken Führerfigur geprägt war. Es ist schwer zu sagen, ob Bücher, die Zeitströmungen aufnehmen und fokussieren, wirklich etwas verändern oder ob sie nicht bloss das jeweilige Bewusstsein in Worte fassen. Ein Buch zu schreiben ist das eine. Ob und was sich anschliessend verändert, ist das andere.
Interview: Matthias Ackeret
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