Donnerstag, 13. August 2009

Eine Schülerin als offizielle Tagesschausprecherin?

Diese Meldung muss kritisch hinterfragt werden. Es wäre nämlich auch unverständlich, wenn Kinder in einem Spital offizielle Auskunftsinstanz spielen könnten oder als Ersatzlehrer - selbst mit Betreuung - unterrichten dürften. Es wäre ebenso undenkbar, wenn Kinder ohne Ausbildung in einer Kantine als Kochequipe in einem anspruchsvollen Restaurant die Nahrung zubereiten dürften. Dem Schweizer Fernsehen scheint es jedoch ernst zu sein mit dem geplanten Kinderexperiment an der Tagesschau.

Ich zitiere Blick:

Eine Primarklasse aus Dübendorf ZH übernimmt die Macht bei SF. Es ist kein Witz:

Ab 6. September macht das Schweizer Fernsehen die «Tagesschau» zur Kindersendung. Die 18-Uhr-Ausgabe (Zuschauer-Marktanteil: über 20 Prozent) ist dann in Kinderhand. Und zwar nicht nur hinter den Kulissen. Nein, SF lässt eine 12-jährige Primarschülerin die wichtigsten News des Tages live verlesen. Alleine.

Mit den Moderatoren (Béatrice Müller ist 48, Franz Fischlin und Katja Stauber werden bald 47) reift auch das Fernsehpublikum der Sendung. Dieses ist schon fast im Rentenalter: Der Zuschauerschnitt der Hauptausgabe liegt bei 59,5 Jahren. Das kann SF nicht gefallen.

Also kann es wohl nicht schaden, wenn man es mal mit Kindern mitten im News-Geschehen probiert. «Eine Sechstklässlerin wird die Sendung moderieren», bestätigt «Tagesschau»-Chef Thomas Schäppi (46). «Sie wird von Profis geschult.»

Gefunden habe SF die Wunderkinder per Bewerbung. Ein Theaterstück einer 6. Primarklasse aus Dübendorf ZH überzeugte die TV-Macher vom Können der Kids. Lehrerin Linda Bärtschi (51): «Für die Kinder wird es ein grosses Abenteuer. Sie freuen sich sehr auf ihre Arbeit.»

Die junge Moderatorin heisst Anna und kommt aus Dübendorf. Ihr Vater ist Walliser, die Mutter stammt aus der Türkei.

Anna hat Grosses vor. Sie soll ihre Texte möglichst allein schreiben. «Die Kinder sollen unbekümmert und unbedarft über alles berichten dürfen, was sie ­interessiert», sagt Lehrerin Linda Bärtschi, begeistert vom Projekt.

Wird die «Tagesschau» zum Kindergarten?

Was geschieht, wenn ein schreckliches Ereignis passiert – ein Krieg, Bomben-Terror?

Schäppi betont, dass brutale internationale News-Bilder, die im Laufe des Tages die Redaktion erreichen, vorher angeschaut werden. «Falls wirklich etwas sehr Schlimmes passiert, können die Redaktoren jederzeit einspringen.» Und Lehrerin Bärtschi hofft sehr, «dass die Kinder nie in ungemütliche Situationen kommen.»

Medienprofis haben Bedenken:

Kurt Felix findet das eine Superidee. «Für den KI.KA – den Kinderkanal – nicht für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen», sagt er.

Als «Konzessionsverletzung» bezeichnet Ex-«Tagesschau»-Chef Anton Schaller das Projekt. «Der Grundgedanke wäre ja an sich gut, aber nur, wenn man so was im Anschluss an die 18-Uhr-Ausgabe sendet», sagt er. «So ist es Humbug. Man muss ja damit rechnen, dass man im Anschluss an die Sendung Fehler korrigieren muss.»

Schaller schlägt vor, «Glanz & Gloria zu kippen und im Anschluss an die «Kindertagesschau» beide Sendungen von Medienpädagogen analysieren zu lassen.

Deutlicher wird «TeleZüri-Chef Markus Gilli: «Nachrichtenjournalismus ist kein Schülertheater. Ein 12-jähriges Mädchen bei CNN am Moderationspult – undenkbar», sagt er. Die SRG betreibe eine respektlose Quotenbolzerei auf dem Buckel der in der Tagesschau vermeldeten Opfer im Irak und in Afghanistan. «Showtime beim Staatssender – wir warten gespannt auf Naked News», sagt er.

News-Profi Erich Gysling hingegen meint: «Von mir aus kann man dieses Experiment wagen. Die Sendungen fallen ja mitten in die Session – das wird ja spannend, wie Kinder darüber berichten.»

Frank Baumann (51,«Das volle Leben») findet die Idee nicht neu. «Schon Grönemeyer forderte ja, dass Kinder an die Macht gehören.» Für Baumann ist klar, dass das Rennen für den «Superdirektor» von Radio und TV gelaufen ist. «Jetzt wird mein Nachbar Timmi Zingg den Job bekommen. Er ist 14 Jahre alt.»

Ende Zitat

Kommentar: Persönlich finde ich es gut, wenn Schüler mit den Medien vertraut gemacht werden. Die Auseinandersetzung mit modernen Medien ist enorm wichtig. Es gibt bereits unzählige medienpädagogisch wertvolle Möglichkeiten, Jugendliche mit Mikrofon und Kamera aber auch mit Printmedien aktiv auseinander setzen zu lassen um die Medientätigkeit praxisorientiert kennen zu lernen. Dass man Jugendliche jedoch am offiziellen Informationskanal experimentieren lässt, ist ein faux pas. Das wäre, wie wenn man Journalisten unausgebildet wursteln liesse, in der Hoffnung, sie würden an den gemachten Fehlern on the job selbst wertvolle Erkenntnisse sammeln können. Offizielle Informationskanäle dürfen unter keinen Umständen zum Experimentierfeld medieninteressierter Jugendlichen werden. Jene Instanzen, die sich für die Kindertagesschau auf dem echten Kanal stark gemacht haben, würden wohl kaum diese Kinder im Informationszentrum einer Kantonspolizei experimentieren lassen oder sie als Mediensprecher in einer Firma medienspezifische Erkenntnisse sammeln lassen. Niemand würde es verstehen, wenn Kinder vorübergehend als Bundeshausprecher wirken - selbst wenn sie so einen wertvollen Einblick in die Welt der Politik erhalten könnten. Dies würde niemand begreifen. Erstaunlich, dass bei der offiziellen Tagesschau das Schweizer Fernsehen keine Bedenken hat. Deshalb müsste die Uebung sofort abgebrochen werden, verbunden mit einer selbstkritischen Pressemitteilung, der Versuch sei leider ein gut gemeinter Fehlentscheid gewesen.

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