Donnerstag, 14. August 2008

Lesenswerter Beitrag in 20 Min-online

Warum die Wahrheit nicht interessiert

Was ist jetzt mit den Menschenrechten in China? Mit dem Umweltschutz? Mit Tibet? Diese Themen sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Dabei halten sich zurzeit 25 000 Journalisten in Peking auf und könnten tagtäglich die Welt aufrütteln. Doch so läuft das eben nicht.

Was ist jetzt mit den Menschenrechten in China? Mit dem Umweltschutz? Mit Tibet? Diese Themen sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Dabei halten sich zurzeit 25 000 Journalisten in Peking auf und könnten tagtäglich die Welt aufrütteln. Doch so läuft das eben nicht.

Auszug aus der Pressekonferenz mit dem IOC zum Thema Menschenrechte. Die Übersetzung finden Sie in der Info-Box.
Tibet-Aktivisten erhalten während den Olympischen Spielen wenig Aufmerksamkeit. (Bild: AP Photo)
Info-Box
Auszug der entscheidenden Sequenz des Videos Wan Wei (Vizepräsident des OK von Peking) und Giselle Davies (Kommunikationsdirektorin des IOC) stellen sich den Fragen der Journalisten. Der englische TV-Reporter Alex Thomson fragt: «Schämt sich das IOC, dass China die Versprechen in Bezug auf Pressefreiheit und Menschenrechte nicht einhält? Das ist sehr direkt: Schämen Sie sich?» Giselle Davies: «Wir sind stolz, dass die Spiele spektakulären Sport bieten und alles gut funktioniert. Das ist worauf wir hier den Fokus legen.» Thomson: «Ich habe nicht gefragt, ob die Spiele gut verlaufen, sondern ob Sie sich schämen für das Verhalten von China. Schämen Sie sich?» Davies: «Ich glaube, ich habe diese Frage beantwortet indem ich erklärte, dass…» Thomson unterbricht: «Ich glaube nicht, dass irgendjemand in diesem Raum, das Gefühl hat, dass meine Frage beantwortet wurde. Ist das IOC beschämt, dass die chinesische Regierung die Versprechen nicht einhielt?» Davies: «Wir sind glücklich, wie die Organisatoren sehr gute Spiele ermöglichen. Das ist, wie es ist. Die Aufgabe des IOC ist, die olympischen Werte nach China zu bringen. Das geschieht auch. Der Anlass ist vor allem für die Athleten und von diesen erhalten wir sehr positive Feedbacks, was sie vom Ablauf der Spiele halten. Thomson: «Nun, Giselle (Davies), so kommen wir nicht weiter. Ich versuche es nochmals, das letzte Mal: Ist das IOC beschämt, dass China die Versprechen über die Pressefreiheit und die Menschenrechte nicht einhält?» Davies: «Nun, ich glaube, dass ihre Kollegen vielleicht auch noch Fragen haben. Ich denke, ich habe Ihre Frage beantwortet.»

Leserbefragung.

Uns interessiert beim Interview der Pressesprecherin des IOC von Ihnen die Antworten auf folgende Fragen:

Wie wirkt diese Profifrau für Sie? Ueberzeugt Sie? Wenn JA, weshalb. Wenn NEIN weshalb nicht? Wie hätten Sie an ihrer Stelle reagiert?

Dann interessiert uns, was Sie zum Journalisten sagen.

Geben Sie uns Ihren Kommentar bekannt auf k-k@bluewin.ch unter Stichwort "Interview Pressesprecherin IOC". Vielen Dank

Ein Regime hat von olympischen Reporterinnen und Reportern wenig zu befürchten. Das war 1936 im nationalsozialistischen Berlin und 1980 im kommunistischen Moskau nicht anders und ist heute erst recht so.

Kein anderes Sportereignis hat die Intensität und die Atemlosigkeit der Olympischen Spiele. Sie übertreffen sogar noch die Fussball-WM. Denn Olympische Spiele produzieren jeden Tag Helden, Dramen, Storys. In normalen Zeiten wird hin und wieder eine sportliche Sau durchs Mediendorf getrieben und man hat Zeit, ihre Borsten zu zählen. Bei Olympischen Spiele wird eine Medien-Säue-Stampede veranstaltet. Man kann nicht einmal mehr die einzelnen Säue zählen.

Kaum Zeit, um den «Planeten Olympia» zu verlassen

Als Reporter wird man vom Malstrom der Ereignisse ganz einfach mitgerissen. Es bleiben kaum Zeit und Energie, um den so gut organisierten «Planeten Olympia» zu verlassen und sich anderen Themen zuzuwenden. Kommt hinzu, dass nach der Eröffnungsfeier das weltweite Interesse an kritischen Storys, die es im Vorfeld durchaus gegeben hat, gegen den Nullpunkt strebt. In jedem Land gilt es jetzt Helden zu feiern und Versager zu tadeln. Mit Berichten über Menschenrechte und Umweltprobleme lassen sich keine TV-Quoten machen, wenn Michael Phelps schwimmt oder Roger Federer aufschlägt.

Hey, es ist die grösste Sportparty der Welt! Und niemand stört gerne eine Party. Seien wir ehrlich: Niemand will die Wahrheit über China wissen, wenn es einen Olympiasieger zu feiern gibt. Und wer sich selbst - ohne Kenntnis der Landessprache - auf die Suche nach der Wahrheit macht, hat es in Peking sehr schwer.

Das chinesische Regime kann etwas vortäuschen

Es gibt einen Grundsatz für einen Reporter: Schreiben, was ist. Das kann heikel sein. Es gibt für ein Regime ja tatsächlich die Möglichkeit, dem Besucher etwas vorzutäuschen. Es existieren Reportagen von klugen westeuropäischen Journalisten aus der Sowjetunion der 1930er Jahre (also zur Zeit des übelsten Terrors), die freie Menschen in einem freien Land schildern. 1936 gelang es den Nationalsozialisten, die Olympischen Spiele in Berlin zu einem überwältigenden Propaganda-Erfolg zu machen - und in Deutschland wäre es damals wohl um einiges leichter gewesen, Missstände aufzudecken als hier und heute in Peking.

Selbst die Russen schafften es 1980 problemlos, die Welt über die Mängel des sozialistischen Systems zu täuschen. Sie füllten die Läden im Zentrum von Moskau mit Südfrüchten, offerierten den akkreditierten Reportern kostenlose Zahnbehandlungen und schon wollte keiner mehr etwas von Mangelwirtschaft wissen.

Peking präsentiert sich in diesen Tagen dem Besucher als freie Stadt. Schlau sorgen die Chinesen dafür, dass jeder ausländische Reporter das Gefühl bekommt, er könne ja eigentlich tun und lassen, was er wolle. So erlebe ich China als freies Land, die USA habe ich da schon eher als Polizei-Staat empfunden. Ich schreibe jetzt nur, was ich persönlich erlebe um zu zeigen, wie schwierig die Suche nach einer Wahrheit ist.

Internetzensur? - Nicht feststellbar

Eine Internet-Zensur kann ich nicht feststellen. Selbst Adressen wie www.bbc.co.uk oder www.amnesty.org oder www.20minuten.ch sind in Sekundenschnelle aufgeschaltet. Und zwar nicht im internationalen Medienzentrum. Sondern in meinem Hotel, das nicht auf der offiziellen Hotelliste steht und praktisch nur von Chinesen bewohnt wird.

Das Gepäck wurde bei der Einreise nicht durchsucht. Ich bin gerade daran, die kritische Mao-Biographie von Jung Chan zu lesen, hatte das Buch bei der Einreise am Zoll unter dem Arm und es liegt im Hotel auf dem Nachttisch. Der Computer wird bei der Sicherheitskontrolle bloss wie am Flughafen gecheckt. Telefonieren mit dem Handy ist jederzeit und überall möglich.

Überwachung durch den Staat? - Nein

Überwachung? Nein. Oder zumindest merke ich nichts davon, dass angeblich zwei Millionen Agenten auf die 25 000 Medienschaffenden angesetzt sind. Ich kann in der Stadt mit dem Taxi oder zu Fuss, mit einem gemieteten Velo oder mit dem Bus, mit der Metro oder dem Zug fahren, wohin ich will. Ich fühle mich so frei oder eben nicht frei wie in New York, Zürich oder im Emmental.

Aber was will diese persönliche Wahrnehmung schon heissen? Als Einzelmaske im Verwaltungsbezirk Peking (15,5 Millionen Einwohner) über politische Verhältnisse zu urteilen, ist vermessen. Es ist etwa so, wie wenn ein Käfer, der in Airolo über die Autobahn krabbelt, die Schweizerische Verkehrspolitik kommentieren sollte.

Oder anders gesagt: Die Olympischen Spiele eignen sich denkbar schlecht für eine kritische Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse. Oder noch zynischer: Die Wahrheit interessiert die Welt während der Olympischen Spiele nicht. Die Wahrheit in diesen Tage sind Ranglisten, Medaillenspiegel, gelaufene oder geschwommene Zeiten.

Um diese Zusammenhänge wussten schon die römischen Kaiser. Sie hielten die Welt mit Brot und Spielen ruhig.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen