In der ersten Sendung ging es um Arbeit, Würde und Mindestlohn.
Sabine Christiansens Polit-Show wirkte immer wie eine routinierte Wiederaufbereitungsanlage alter Themen. Anne Will zeigte immerhin, dass sie auf gar keinen Fall das willige Werkzeug der Berliner Politindustrie werden möchte. Das Konzept der Sendung eigentlich ganz einfach: „Die Politik mit der Realität konfrontieren“. Als erster Gast kam daher die Mitarbeiterin eines Callcenters zu Wort.
Ich erster Satz „Ich freue mich wahnsinnig“ störte mich zwar. Worte sollten ernster genommen werden wie beispielsweise „wahnsinnig“.
Gefallen hat mir Wills Fragetechnik. Christiansens Frageketten fehlten bei der neuen Moderatorin.
Was mir aufgefallen ist (Betrifft die zweite Sendung):
Als Anne Will einem Teilnehmer eine Frage gestellt hatte, ergriff ein andere Person das Wort. In dieser Sendung bewies Anne Will Führungsstärke: Freundlich aber bestimmt griff sie ein:
„Ich habe die Frage Herrn XY gestellt!“. Die Moderatorin setzte sich durch. Die Bhauptung, Will pflege einen Schmusekurs, trifft nicht zu.
Will moderiert eindeutig ruhiger als Christiansen. Es fehlt das hektische Geschnatter.
Moderatorin Maybrit Illner sagte zu SPIEGEL ONLINE: "Anne Will hat die Sendung genutzt, um einen Dauerbrenner zu diskutieren. Das ist einerseits leicht, andererseits schwer. Sie hat das handwerklich sauber gemacht. Und wir freuen uns auf die nächste Sendung."
Erwartungsgemäß begeistert zeigte sich die Programmdirektion der an der Produktion beteiligten Sender: Die Resonanz übertreffe alle seine Erwartungen, lobte ARD-Programmchef Günter Struve. "Sie kam, sah und siegte", frohlockte Volker Herres, NDR-Programmdirektor Fernsehen, "sie war überaus präsent, hat über die ganze Sendung hinweg den richtigen Ton getroffen."
Geschminkt war Anne Will perfekt, hatte ich in einem Blog gelesen - kein Fältchen, keine Augenringe, das lange dunkle Haar umschmeichelt das schöne Gesicht. Wenn nur die zwölfköpfige Redaktion so perfekt wie die «Maske» ihr zugearbeitet hätte! Als sie ihrem prominentesten Gast, SPD-Chef Kurt Beck, vorhält, er, der beharrlich gesetzliche Mindestlöhne fordert, sei noch vor einem Jahr dagegen gewesen, kontert dieser: «Stimmt nicht! Weiss nicht, wer hat Ihnen das gesagt?» Da kommt Will plötzlich ins Schwimmen, ihr Lächeln wirkt erstmals etwas verlegen. Die Antwort bleibt sie in diese Fall schuldig.
Das Studio ist neu und gewöhnungsbedürftig, liegt nicht mehr wie bei der Christiansen im Zentrum Berlins, wo das Leben pulsiert, sondern am Rande der Stadt, in Adlershof, mit einem Team am Sendetag von fast 100 Leuten! Was für ein Aufwand! Der weitläufige Raum ist in goldgelbem Ton gehalten, hat die Ausstrahlung einer Upperclass-Hotellobby.
Aufschlussreich finde ich auch folgenden Hintergrundbericht einer Person, die bei der ersten Sendung mit dabei war:
Erst einmal kommt nicht Anne Will. Es kommt Edgar. Edgar ist der Redaktionsassistent. In ersten Will Sendung noch bei Florian Silbereisen und bei der Volksmusik, heute ist er bei „Anne Will“ und beim politischen Talk der ARD. Er erklärt uns, was wir zu tun haben: Anne Will „tatkräftig unterstützen“ nämlich, vor allem durch freundlichen Applaus an der richtigen Stelle. „Machen Sie der Anne Will einfach eine schöne Sendung“, sagt er, denn schließlich solle die ja Erfolg haben, „wie auch immer.“
So ist Fernsehen, so ist das Talk-Gewerbe. Der Erfolg hängt von der Moderatorin ab, von den Gästen und, in der Tat, vom Publikum und den Animatoren. Von dem im Studio, das sich ein wenig frenetisch gebärden soll und natürlich von dem vor dem Fernsehbildschirm - das wird am nächsten Morgen gnadenlos bemessen nach der Quote. Anne Will aber vermittelt an diesem Abend den Eindruck, dass sie das nicht weiter belastet. „Ich fühle mich super“, sagt sie, als sie ihr Publikum im Studio vor der Show begrüßt. „Die Sendung soll gelingen, sie muss gelingen und sie wird gelingen“, sagt Anne Will. „Ich komme dann noch einmal. Dann legen wir los und Sie sind bei mir.“ Wir applaudieren.
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