Dienstag, 25. Januar 2022

Ungekürzter Entwurf



Die Kraft von Geschichten

von Marcus Knill*

Ein Arzt zeigte mir jüngst ein Büchlein, aus dem er bei heiklen Fällen dem Patienten  eine passende Geschichte vorzulesen pflegte. (Jorge Bugay „Komm ich erzähl dir eine Geschichte.“) Er sagte, dass er oft mit einer Geschichte mehr bewirken könne, als mit langen Ueberzeugungsgesprächen. Nach  Bugay lässt sich mit einer Geschichte Kompliziertes vereinfachen. Sie hilft dem Zuhörer Probleme besser verstehen. Erwachsenen erzählt man  nicht Geschichten zum Einschlafen, wie  den Kindern, sondern damit sie aufwachen und den Weg zur Lösung eines Problems  finden.  Geschichten können somit   helfen, sich selbst zu helfen. Dank passender Geschichte betrachten wir einen komplexen Sachverhalte  von einer anderen Seite.  Geschichten beschleunigen Verhaltensänderungen. Sie sind ein wichtiger Teil unseres Lebens und können die Vorstellungskraft der Menschen stärken.
Geschichten veranschaulichen abstrakte Sachverhalte. Sie erzeugen einen  „Film im Kopf“. Worte werden, mit Bildern verknüpft und so im Gehirn verankert. 
Ein Beispiel aus dem Buch:
Demian hat Probleme mit seiner Lebensgefährtin Gabriela. Es komme mit ihr seit Wochen zu Streitereien über die Ferienplanung. Seine Frau raube ihm den letzten Nerv. Sie höre ihm nie zu.
Der Berater erzählt nun Demian eine passende Kurzgeschichten. Ich zitiere:


Ein Mann ruft den Hausarzt der Familie an.
„Hallo Ricardo, hier ist Julian.“
„Hallo, was gibts Neues, Julian?“
„Du, ich mach mir Sorgen um Maria“
„Wieso, was ist mit ihr?“
„Ich glaube, sie wird taub. Du musst sie dir mal ansehen.“
„Taubheit ist keine lebensbedrohliche Krankheit.  Woran ist dir dann aufgefallen, dass sie nichts hört?“
„Sie antwortet nicht, wenn ich sie ruf.“
„Verstehe. Das könnte in Pfropfen im Ohr sein. Lass uns doch mal ausprobieren, wie schwerhörig Maria tatsächlich ist. Wo bist du gerade?“
„Im Schlafzimmer.“
„Und wo ist sie?“
„In der Küche“
„Gut. ruf sie doch einfach her.“
„Mariaaaa…! Sie hört mich nicht.“
„Geh mal zur Schlafzimmertür und ruf auf den Flur hinaus.“
„Mariaaa…! Keine Chance.“
„In Ordnung. Nimm das Handy und geh dann durch den Flur auf sie zu, damit wir sehen, wann sie Dich hört.“
„Mariaaa…! Mariaaaa…..! Mariaaa…!— Nichts zu machen. Ich steh nun vor der Küchentür und sehe sie. Sie dreht mir den Rücken zu und spült ab. Aber sie hört mich nicht. Mariaaa…..! Aussichtslos.“
„Geh näher ran.“
Der Mann betritt die Küche  und nähert sich Maria. Er legt ihr die Hand auf die Schulter und schreit ihr ins Ohr: „Mariaaaaa…! DieFrau dreht sich wütend um und sagt:
Was willst du? Was willst du, was willst du, was wiiiillst du!
Du hast mich schon zehnmal gerufen und zehnmal habe ich geantwortet und gefragt, was du willst. Jeden Tag wirst du tauber. Wann gehst du endlich mal zum Arzt?“

Die Quintessenz der Geschichte erfährt Demian auch noch : 
„So etwas nennt man Projektion. Jedesmal wenn ich etwas sehe, was mich an anderen stört, sollte ich mich daran erinnern, dass auch immer ein kleines, ein klitzekleines Stück von mir selbst ist.
Zurück zu dir. Wie war das mit Gabrielas Taubheit?“

Zur Kraft des Erzählens:

Damit sind wir bei der Wirkung von Geschichten. Heute hat auch in der Werbung und im  Marketing 
Storytelling,  narrative Rhetorik einen besonderen Stellenwert. Ueberall spricht man  vom Narrativ.  Es ist zum Modewort geworden. Die Kraft von Geschichten ist jedoch keine neue Erkenntnis. Schon in der Bibel hat es viele Geschichten und Gleichnisse, die veranschaulichen, was wichtig ist.


Als Dozent eines Masterlehrganges an der Hochschule Graubünden (Ueberzeugen beim Verkaufen) machte ich  den Studenten in meinem Modul  die wichtigsten Beeinflussungsfaktoren bewusst.
Das Erzählen von Geschichten und Gleichnissen hatte dabei  Priorität.
Folgende Beeinflussungsfaktoren hatte ich eingehend behandelt:

Die Kraft der Worte:

Wenn ich „Kernkraftwerk“ oder „Atomkraftwerk“ sage, beeinflusst es  die Adressaten, je nach Wortwahl. Kernenergie ist positiv besetzt. Atomkraft assozieren wir hingegen mit einer gefährlichen Atombombe.
Link:

Die Kraft der Worte, von Marcus Knill - persoenlich.com



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Die Kraft der einfachen Sprache:

Trotz abgehackter Sätze und stetiger Gedankensprünge wurde Trump zur Überraschung der gesamten Medienwelt zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Er konnte es sich leisten, sich zu verhaspeln.. Trumps einfache Sprache war nachvollziehbar und wurde von der breiten Masse verstanden. .

Die Macht der Emotionen:

Es ist hinlänglich bekannt, dass die emotionale Argumentation der sachlichen Argumentation überlegen ist. Gefühle und Emotionen sind wichtige Verbündete von Manipulatoren. 

Link:

Die Macht der Emotionen, von Marcus Knill - persoenlich.com




Die Kraft des Bildes:

Im Kantonsspital Winterthur werden bei der Radio-onkologie während der Bestrahlung an der Decke beruhigende Bilder am Strand mit Blick in  die Kronen von Pinienbäumen mit
den Wolken am blauen Himmel eingeblendet. Diese Ferien - Bilder sollen die  Patienten entspannen. Sie wirken  beruhigend.
"Worte haben keine Energie, solange sie nicht ein Bild auslösen. Wir müssen uns immer der Kraft des Bildes oder des Beispiels bewusst bleiben.

www.rhetorik.ch › Einbildung › Einbildung

 Leider ist vielen Ausbildern zu wenig bewusst, dass sie den Lernenden das passende Lernbild gleichsam "einbilden" müssten.

Die Wirkung von Farben:

In Operationssälen dominiert die hellblaue Farbe. Sie beruhigt.
Farben beeinflussen auch unser Temperaturempfinden: Rot-, Orange- und Pinktöne wirken warm.

 

Musik beeinflusst ebenfalls :

Für mich war es ein Schlüsselerlebnis als unserm Enkelkind Tränen kamen, als es mit vier Jahren das erste Mal das Lied „Guter Mond du gehst so stille…“ hörte.
Musik hat einen großen Einfluss auf die körperliche Befindlichkeit und wirkt auf die Körperrhythmen, also auf die Herzfrequenz aus.  Musik kann auf unterschiedlichen Ebenen auf uns einwirken.  Wenn wir sie hören, dann reagiert unser ganzer Körper – und nicht nur das Gehör. Herzschlag, Gehirnströme und Hormonhaushalt verändern sich.


Link:

Blog :: persoenlich.com - Das Online-Magazin der Schweizer ...


Gerüche prägen:

Wer nur schon  das Buch «Parfüm» gelesen hat, der weiss, dass der Duft das Verhalten, die Stimmung und Handlungen nachhaltig beeinflussen kann – im positiven wie auch im negativen Sinn.

Link:

Geruch, der Konsumenten verführt, von Marcus Knill



21.01.2020 — Geruch, der Konsumenten verführt ... und später wieder eine Praxis betreten, so wirkt sich der Geruch negativ auf das Wohlbefinden aus.

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Die positive  Wirkung von Geschichten mag zwar unwahrscheinlich klingen. In meiner Tätigkeit habe ich aber immer wieder die Kraft von Geschichten selbst erlebt. Zum Beispiel :

Ein reformierter Pfarrer  bat mich, seinen Gottesdienst zu besuchen. Er hatte immer weniger Kirchgänger und fragte sich, woran das liegen konnte.
Ich stellte schon beim ersten Besuch fest, dass seine Predigt ermüdete. Es fehlten  persönlichen Erlebnisse, Geschichten. Darauf angesprochen, sagte der Theologe, er verzichte bewusst auf Geschichten. Das würden vor allem Freikirchen pflegen, erklärte er mir und das sei nicht sein Ding.
Er liess sich dann doch dazu bewegen, narrative Elemente in die Predigt einzubauen. Die Gleichnisse der Bibel hatten ihn überzeugt.
Mich freute es, zu sehen, wie  sich  die Kirche nach und nach wieder  füllte. Die Kraft der Geschichten wirkte offensichtlich. 
Uebrigens verzichtet der besagte Arzt, der nur in gewissen Fällen dem Patienten eine Geschichte vorliest, nicht auf Diagnose und Therapie. Er versicherte mir aber, dass sich in erstaunlich vielen Fällen der angebliche Zeitaufwand für das Erzählen  auszahle.  
Sie haben es gewiss erkannt: Auch ich habe soeben  eine Geschichte wiedergegeben, um den Kerngedanken des Beitrages zu festigen.




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