Die neuen Führungsspitzen der Parteien im Check
Marcus Knill*
Die Parteien SVP, SP und Grüne mussten ihre Führung neu bestellen.
Ich habe die Auftritte der neuen Parteispitzen unter die Lupe genommen.
Dabei achtete ich auf ihre Wirkung vor Mikrofon und Kamera und ihre Auftrittskompetenz.
Bei der SVP wurde an der Delegiertenversammlung vom 22. August überraschend ein weitgehend Unbekannter gewählt.
Corona machte der Partei einen Strich durch
die Rechnung, als Albert Rösti seinen
Rücktritt eingereicht hatte.
Der abtretende Kapitän der
grössten Partei musste wegen der
Krise an Deck bleiben.
Für seineNachfolge hatte
die SVP grosse
Mühe, eine Auswahl von
tauglichen Personen zu finden.
Valable Kanditaten waren nicht
bereit, das anspruchsvolle Amt zu
übernehmen.
Aussenseiter Albert Heer schien
schliesslich die
besten Chancen zu haben. Bei Andreas
Glarner war absehbar,
dass er nicht einmal in der eigenen Partei
mehrheitsfähig ist. Nachdem
der Tessiner Ständerat Marco Chiesa
umgestimmt werden konnte
und sich zur Wahl stellte,
zog sich Glarner zurück.
Heer oder Chiesa?
Ich hatte bereits Heers Medienauftritte im
unter die Lupe genommen, denn
er allein schien
das Rennen machen zu können.
Aufgefallen ist,
dass Nonkonformist Heer
ungeschminkt und
offen seine Meinung sagt und kein Blatt vor
den Mund nimmt. Er kritisierte die
Parteileitung, wenn er es das für richtig hielt.
Es würde somit auch als Präsident
unabhängiger von Herrliberg politisieren.
Die Heer Anhänger erhofften sich, dass er
der Partei neuen Schwung verleihen könnte.
Für mich wäre Heer eine gute Wahl gewesen:
Medienrhetorisch holt er viele Pluspunkte.
Er spricht verständlich, strukturiert,
einfach und überzeugt mit einer
nachvollziehbaren Argumentation.
Nach der überraschenden Nomination von
von Marco Chiesa wurde die
Ausmarchung rasch geklärt.
Chiesa, der streng auf der Parteilinie
politisiert, wurde
- wie erwartet - gewählt.
In der Deutschschweiz ist er zwar weitgehend
unbekannt aber dennoch Arena-tauglich.
Seine Deutschkenntnisse
sind eher bescheiden. Bei Präsentationen
in deutscher Sprache haftet er noch
zu stark am Manuskript.
Dieses Defizit lässt sich jedoch
rasch beheben.
Das haben wir bei Petra Gössi
und ihren unbefriedigenden
Französischkenntnissen vor vier Jahren
gesehen. Sie sind heute
kein Problem mehr.
Im Parlament zählt Chiesa
zu den Hinterbänklern.
Die SVP hofft wohl, mit ihm die Chance
zu nutzen, in der lateinischen
Schweiz zu wachsen.
Bei Wahl des SVP
Bundesrates Guy Parmelin blieb leider
dieser erhoffte Auftrieb in der
lateinischen Schweiz aus.
Die NZZ am Sonntag schreibt über
den SVP Ueberraschungsmann:
„Er gilt als Blocher mit Lächeln
mit einem Hauch grün“.
Es ist davon auszugehen,
dass Chiesa keine Verlegenheitslösung
ist.
Ich schaute mir einige seiner Auftritte
an. Der neue Präsident bringt
gute Voraussetzungen mit,
hinsichtlich Ueberzeugungskraft. Seine
jugendliche Frische verspricht für die SVP
eine langfristige Lösung.
Er kann auf die Leute zugehen. Seine
joviale, dialogische Art des Kommunizierens
kommt gut an. Diese Stärke
hatte schon Toni Brunner
zum Erfolg verholfen.
Dem sympathischen Tessiner
ist es zuzutrauen, dass er die SVP auf die
Spur bringt. Der neue Präsident muss
aber darauf bedacht sein,
nicht über die faktische Führung
Christoph Blochers zu stolpern. Er muss die
Partei eigenständig führen. Chiesa
wird mit dem bewährten Harvard-Prinzip
punkten, das er bislang lebt:
„Hart in der Sache, sanft im Stil.“
Er tritt umgänglich auf, politisiert fair
und mit Humor.
Humor gilt bei Kommunikationsprozessen
als hilfreicher „Weichmacher“. Mit
seiner freundliche Art und dem
Tessiner Akzent könnte er
zum Sympathieträger avancieren.
Der Tagesanzeiger fragte den neuen
Parteipräsidenten vor der Wahl, was es
brauche, damit die SVP aus dem Formtief
finde. Marco Chiesa antwortet kurz
und bündig: „Leidenschaft“.
Freude, Begeisterung und Leidenschaft
sind tatsächlich wichtige Treiber
auf dem Weg zum Erfolg. Die Nagelprobe
als „Verkäufer“ der SVP Botschaften
steht Chiesa noch bevor.
Die SP wählte eine Doppelspitze als Führungsduo.
Cédric Wermuth wurde eine Frau zur Seite gestellt, die Co-Präsidentin, Nationalrätin Mattea Meyer.
Führung hat eigentlich nur EINE Spitze. EINE Führungspersönlichkeit ist viel effizienter als eine Doppelbesetzung.
Beim Führen lohnt sich das Prinzip: Keine Duos oder Trios an der Front. Auch Teams wollen geführt werden. Aber nicht von mehreren Personen. Der grosse Nachteil von Doppelbesetzungen:
Es kommt oft zu Reibereien, Rivalitäten. Meist, wenn es um die Medienpräsenz geht.
Ein Duo verliert zudem viel Zeit mit Koordinationsgesprächen.
Obschon sich die beiden neuen Leitfiguren aus Juso-Zeiten kennen, wird die sturere Feministin Meyer nicht gerne die zweite Geige spielen neben dem dominanten Cédric Wermuth. Der frühere Hausbesetzer und Juso Präsident ist offensichtlich kein verbissener Linksextremer mehr. Der Machtpolitiker ist flexibler geworden und beackert geschickt das Feld „Mitte - Links“. Deshalb ist er für die Bürgerlichen gefährlich. Auch äusserlich mutierte der provozierende Jungpolitiker mit wilder Bartfrisur zum Machtpolitiker mit gepflegter Kleidung, die aber nie zu elegant wirkt. Am Rednerpult entfernt er sich in letzter Zeit immer mehr von früheren extremen Positionen. Doch ist er sehr darauf bedacht, dies nicht zu sehr auffallen zu lassen.
Co- Präsidentin Mattea Meyer versteht - laut Weltwoche - keinen Spass, wenn es z.Bsp. um Sexismusfragen geht. Als sie gefragt wurde, ob es nicht übertrieben sei, wenn Feministinnen Komplimente von Männern als Angriff empfinden, entgegnete Meyer schroff: „Es ist kein Kompliment, wenn Frauen auf ihr Aussehen reduziert werden.“
Diese Aussage ist eine typische „Nichtantwort“. Jeder Profijournalist müsste hier nachhaken.
Mattea Meyer ist intelligent. Sie wirkt jedoch am Bildschirm zu hektisch und weniger eloquent.
Ich kann mir gut vorstellen, dass das neue Duo viel Energie aufwenden muss, um interne Rivalitäten zu glätten.
Bei den Grünen schaffte es Balthasar Glättli an die Parteispitze.
Er löste Regula Rytz ab.
Glättli war mit sieben Jahren an Krebs erkrankt. Nach der Matura studierte er Philosophie, Linguistik und Germanistik an der Universität Zürich. Ohne Abschluss gründete er ein Internet-Consulting-Unternehmen. Später war er bei verschiedenen Organisationen und der Gewerkschaft VPOD angestellt. Seit 2011 sitzt er im Nationalrat.
Glättli ist mit der SP-Nationalrätin Min Li Marti verheiratet, sie sind Eltern einer zweijährigen Tochter.
Bei seinen Auftritten wirkte seine Gestik früher zu „eckig“. Die hektischen „Ausgriffe“ störten. Heute spricht er viel natürlicher.
In Interviews bringt er die Antworten meist auf den Punkt. Er weicht nicht aus und verzichtet auf Floskeln. Hier Beispiele aus einem Interview:
Wie retten wir das Klima?
Indem wir aus den fossilen Energien aussteigen.
Wieviel teurer muss Fliegen wirklich werden?
Mittelfristig so teuer wie das Fliegen mit synthetischem Treibstoff ist: damit man die verbleibenden Flüge klimaneutral durchführen kann.
Wann sind Sie das letzte Mal geflogen? Wohin?
2017 in die USA, zu einem grossen Treffen der Verwandten meiner Frau.
Filet oder Seitanplätzli?
Vegetarisches Curry.
Wie oft essen Sie Fleisch?
Viel seltener als früher, aber sicher jede Woche.
Ist es nervig, so im Schatten der SP zu stehen?
Ich habe nicht das Gefühl, im Schatten zu stehen.
Wie kommen Sie da raus?
Wo man nicht drin ist, muss man auch nicht rauskommen (lacht).
Dank seiner kurzen, konkreten Antworten wirkt Glättli glaubwürdig. Bei der vorletzten Frage antwortet er geschickt mit einer Ich-Botschaft. Wenn er sein Gefühl schildert, kann das nicht widerlegt werden. Dass er heiklen Fragen nicht ausweicht, bestätigt er auch in einem Video, wo er gefragt wurde, ob er eine Bundesratskandidatur anpeile. Glättli verneint eindeutig.“Selbst stehe ich für eine Bundesratskandidatur nicht zur Verfügung. Aber ich strebe mit den Grünen einen Sitz im Bundesrat an.“
FAZIT:
Heutzutage kann ein Politiker nicht damit rechnen, dass alte Aussagen vergessen werden. Das fordert von den an der Front stehenden Politikern nicht nur grosse Präsenz, sondern auch Weitblick und Gedächtnis.
Bei Parteipräsidenten spielt die Aufrittskompetenz eine zentrale Rolle.
Sie prägen das Image einer Partei.
Parteipräsidenten sind in verschiedener Hinsicht medienrhetorisch gefordert.
Botschaften müssen verständlich und überzeugend vermittelt werden.
Verehrte Leserinnen und Leser:
Achten Sie in den kommenden Wochen bei den den neuen Parteispitzen darauf:
Wird konkret, verständlich, bildhaft gesprochen?
Wie wirkt die Stimme?
Spricht die Person natürlich und glaubwürdig?
Leider ist vielen Politiker nicht bewusst, dass bei Ueberzeugungsprozessen wichtiger ist, dass WIE kommuniziert wird, als WAS kommuniziert wird.
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• Marcus Knill (www.knill.com)
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