Beeinflussen Prognosen die Stimmbürger?
Politikwissenschafter Claude Longchamp, bekannt als der Mann mit der Fliege, war viele Jahre das Gesicht für Wahlprognosen und Analysen (gfs.bern).
Ich war an einer Veranstaltung der SRG im Fernsehstudio Leutschenbach, weil ich mich zur Zeit recht internsiv mit Beeinflussungsprozessen beschäftige.
Dieses Bild haben wir Claude Longchamp in Erinnerung.
Ich bewunderte stets seine medienrhetorischen Stärken. Vor Mikrofon und Kamera konnte er stets seine Gedanken präzis und verständlich auf den Punkt bringen.
Deshalb war ich gespannt, wie er in einem Seminar die Thematik "Einfluss der Prognosen" behandelt.
Viele Teilnehmer erkannten Longchamp zuerst kaum noch. Denn er befreite sich äusserlich vom Klischee "Mann mit derr Fliege" und kam im individuellen Outfit.
Erstaunt war ich, dass er leider vor dem Publikum die Lautstärke nicht dem Raum anpasste. Er sprach im Kammerton, so als trage er Mikrophon. Jedenfalls hatte das Publikum Probleme, die spannenden Ausführungen akustisch zu verstehen. Weshalb keine Verstärkeranlage?
Viel hatten bei der Präsentation von Tabellen und Zahlen Zahlen und Texte zu lesen. Sie konnten nicht einmal ganz vorne gelesen werden. Leider kennen viele Dozenten das ABC des Präsentierens immer noch nicht. Schaubilder sollten von den Teilnehmern gelesen werden können.
Doch inhaltlich konnten die Anwesenden viele gut Erkenntnisse aus der Praxis erfahren, wie Wahlprognosen und Analysen entstehen. Dass beispielsweise Wahlprognosen viel einfacher sind als Abstimmungprognosen. Letztere sind schwierigen, komplizierter.
Zur Beeinflussung der Stimmbürger durch Prognosen gibt es unterschiedliche Effekte.
Verspricht die Prognose einen knappen Ausgang, so kann dies zu einer erhöhten Beteiligung führen.
Es gibt die Defaitismusthese: Ist die Prognose eindeutig, kann dies zu einer Demobilisierung der Verlierer kommen (Da hilft meine Stimme ohnehin nichts mehr)
Zur Bequemlichkeitsthese: Scheint die Ausgangslage klar, bleibt der Stimmbürger zu Hause.
Auch der Bandwagoneffekt (Mitläufereffekt) kann mitspielen: Unentschlossene gehen zur Urne, damit sie auch bei den Siegern sind.
Anderseits können bei den prognostizierten Zahlen die Verlierern angestachelt werden, zu stimmen oder zu wählen.
Bei den Prognosen spielen Phänomene der Psychologei eine grosse Rolle:
Menschen wollen bei den Siegern sein. Das sehen wir bei offenen Abstimmungen: Wenn sich abzeichnet, dass sich an einer Landsgemeinde eine Mehrheit bildet, gehen zusätzlich vielen Hände der Unentschlossenen in die Höhe. Sie lassen sich von der Masse beeinflussen.
Bei Telephonumfragen wird nicht immer ehrlich das gesagt, was tatsächlich auf den Stimmzettel geschrieben wird. Das kann zu Verfälschungen führen.
Wie bei Wetterprognosen bleibt bei Abstimmungsprognosen immer das Risiko von Fehleinschätzungen.
Aus Blick Newsletter;
Wahlprognosen? Können Ihnen gestohlen bleiben. Weil: Beeinflussung. Wäre Trump gewählt worden, wenn die Voraussagen nicht so klar gegen ihn gesprochen hätten? Gäbe es einen Brexit ohne die klar gegenteiligen Prognosen? Eben. Prognosen irren, selbst wenn sie richtig liegen: weil nämlich die Meinungsforschung ihren eigenen Anteil an der Meinungsmache nicht in Betracht ziehen kann.
Wahlprognosen? Können Ihnen gestohlen bleiben. Weil: Beeinflussung. Wäre Trump gewählt worden, wenn die Voraussagen nicht so klar gegen ihn gesprochen hätten? Gäbe es einen Brexit ohne die klar gegenteiligen Prognosen? Eben. Prognosen irren, selbst wenn sie richtig liegen: weil nämlich die Meinungsforschung ihren eigenen Anteil an der Meinungsmache nicht in Betracht ziehen kann.
Oder
würden Sie etwa eine Partei wählen, von der es in den Umfragen heisst,
sie habe null Chancen auf einen Sitz? So bescheuert, Ihre Stimme einfach
zu verschenken, sind Sie nicht. Eher würden Sie auf eine Kandidatin
setzen, die es ganz knapp schaffen könnte. Oder etwa nicht? Ihr Votum
könnte immerhin einen Unterschied machen. Doch würden Sie weder für die
Grünen stimmen noch für Frauen, würden Sie die Prognosen kennen: Die
Frauen und die Grünen werden gewinnen. Und zwar haushoch. Sagen die
Umfragen.
Was also würden
Sie tun? Am Ende vielleicht gar nichts. Denn Greta und Konsorten haben
Hochkonjunktur. Mit Ihnen oder ohne Sie, so oder so. Da kann man ja
gleich zu Hause bleiben.
Nur eben: Umfragen irren.
Ignorieren
Sie die Umfragen. Oder lesen Sie sie, wie Sie ein Fussballspiel oder
einen Tennismatch schauen: zum Zeitvertreib. Auch ein FC Thun nimmt den
Young Boys mal gegen jede Wahrscheinlichkeit einen Punkt ab. Und auch
Roger Federer hat erst gewonnen, wenn er gewonnen hat. Und nicht schon,
wenn er von den Experten zum klaren Favoriten erklärt wird.
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