Wer sich benachteiligt fühlt, wertet andere ab
Insgesamt
meinen die Befragten, dass die Regierungspolitik und die Medien die
«Agenda der Bürger» nur unzureichend aufgreifen.
Das erzeugt bei ihnen
ein Gefühl der Benachteiligung, die Folge ist die Abwertung anderer
Menschen, insbesondere von Migranten. Die Forscher sprechen von einer
«vergleichenden Abwertungslogik». Eine eigentliche Fremdenfeindlichkeit
habe sich in den Gesprächen nicht als Muster gezeigt.
Die
Forderungen nach einer nationalistischen Politik beruhen im
Wesentlichen auf dem Gefühl, dass die Politik die falschen Prioritäten
setzt. So besteht oft die Wahrnehmung, dass etwa Massnahmen zur
Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht grundsätzlich falsch sind, dafür
aber Anstrengungen vor Ort ausbleiben, um handfesten Herausforderungen
im Alltag zu begegnen, wie zum Beispiel dem steigenden ökonomischen
Druck auf Geringverdiener oder Lücken in der Daseinsvorsorge.
«Les
Oubliés – Die politisch Verlassenen»: Kurzfilm zur Studie «Rückkehr zu
den politisch Verlassenen». Quelle: Youtube/Progressives Zentrum
«Viele
Befragte glauben, dass sozial und geografisch Gesellschaftsräume
entstanden sind, aus denen sich die Politik zurückgezogen hat», heisst
es in der Studie. Sie kritisieren etwa fehlende Sozial- und
Verkehrsinfrastrukturen. Der Politik werfen sie vor, Lösungen für
spürbare Probleme im Alltag zu verweigern. «Es herrscht ein Gefühl des
Verlassenseins. Ein Gefühl, vom Staat im Stich gelassen worden zu sein.»
Die
Studie stellt auch fest, dass zentrale Narrative der Populisten weitaus
weniger stark verfangen als angenommen. «Wenn die Leute politische
Zusammenhänge mit eigenen Worten schildern, spielen Islamisierung,
Europaskepsis, pauschale Medienkritik oder die Betonung der nationalen
Identität kaum eine Rolle.» Im Gegenteil: «Zum Beispiel wird Europa mehr
als Teil der Lösung denn als Problem gesehen.»
«Agenda der Bürger» muss «Agenda der Politik» sein
Das
Fazit aus der Studie ist klar: Die Politik muss sich mehr um die
politisch Verlassenen kümmern, ihre Probleme anerkennen und Lösungen
dafür entwickeln. So sollen die Parteien über Bürgerbüros versuchen,
stärker vor Ort präsent zu sein. Die «Agenda der Bürger» muss wieder die
«Agenda der Politik» werden. In dieser Hinsicht seien auch die Medien
gefordert, heisst es in der Studie. In abgehängten Regionen müssten
Infrastrukturen zur Förderung der Chancengleichheit aufgebaut werden.
Zudem gelte es, den Strukturwandel gesellschaftsverträglich zu
gestalten. Dabei müsse die Debatte über die Digitalisierung stärker an
die Bevölkerung herangetragen werden.
Ausserdem muss der
Studie zufolge der Staat für ein Mindestmass an öffentlicher
Daseinsvorsorge sorgen und vor allem mehr gesellschaftliche Solidarität
garantieren. «Einer Gesellschaft, die sozial tief gespalten ist, fehlen
die Voraussetzungen für das Mass an Humanität, das ihr auf dem Höhepunkt
der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 von oben auferlegt wurde.» Innere
Solidarität sei Voraussetzung für äussere Solidarität. (Tages-Anzeiger)
KOMMENTAR: Diese "vergleichende Abwertigkeitslogik" hat mit der Einwanderungsproblematik zu tun. Ueberall auch in den USA und vielen europäischen Staaten führt der Vergleich der sozial Schwachen mit den unterstützten Asylbewerbern zu einem Gefühl der Benachteiligung.
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