DEZEMBER 2017 "Schaffhauser Nachrichten" - Ausland
Die Erfolgsbausteine des Sebastian Kurz
Der Erfolg von Sebastian
Kurz in Österreich ist weitgehend
seinem politischen
Talent zu verdanken. Sein kometenhafter
Aufstieg könnte
zum Teil aber auch am sogenannten
Halo-Effekt liegen.
VON MARCUS KNILL
SCHAFFHAUSEN Der Mond kann einen
Halo-Effekt haben, wenn er mit einem
hellen kreisförmigen Schein erstrahlt.
In der Psychologie spricht man vom
Halo-Effekt bei einer Person, die von
hervorragenden Eigenschaften «überstrahlt
» wird. Ein typisches Beispiel:
Ein Lehrer bewertet einen gut aussehenden,
freundlichen Schüler mit
dem Ruf eines intelligenten Kindes
höher als andere Schüler, auch wenn
dieser objektiv gesehen gar nicht besser
ist.
Wandel in kurzer Zeit
Wie ist es also möglich, dass Sebastian
Kurz, nun Europas jüngster Regierungschef,
plötzlich so ernst genommen
wird, obwohl er früher verhöhnt
wurde als «Milchbubi mit den grossen
Ohren», als «Wunderwuzzi» oder
«flaumwangiger Prinz Gutgelaunt»?
Kurz’ Erfolg in Österreich ist weitgehend
seinem politischen Talent zu verdanken.
Wahrscheinlich basiert sein
Erfolg aber auch zu einem grossen Teil
auf dem Halo-Effekt und somit auf der
Ausstrahlung, die sich um seine Persönlichkeit
gebildet hat. Kurz wurde
von der Bevölkerung als junger Politiker
gewählt, weil er es verstand, die
Blicke der Öffentlichkeit auf sich zu
ziehen, und versprochen hatte, bei seiner
Partei Ballast abzuwerfen. Er hat
sich mit dem Dunst eines Hoffnungsträgers
umgeben, der ihn als «Macron
des Ostens» und als Erneuerer erstrahlen
liess. Seine Person verkörpert
die Sehnsucht nach Jugendlichkeit,
nach Aufbruch und politischer Erneuerung.
Emmanuel Macron und Sebastian
Kurz profitierten beide vom Halo-Effekt.
Beide sind jung und charismatisch.
Beide sagten sich explizit vom
Alten los. Beide haben mit «En Marche
» und mit der «Liste Sebastian
Kurz» neue Bewegungen geprägt. Die
Slogans «Es ist Zeit», «Es ist Zeit für
Neues» und «Österreich zurück an die
Spitze» erinnern an Obamas «Change»
und Trumps «America first».
Kollektive Sehnsüchte
Als Führungsfigur gelang es Kurz,
eine Partei zu zeigen, auf die sich kollektive
Sehnsüchte projizieren lassen:
die Sehnsucht nach politischer Veränderung,
die Sehnsucht nach Jugendlichkeit
und Aufbruch und die Sehnsucht
nach Sicherheit und Heimat.
Sein klares Profil hat ihm die notwendige
Anziehungskraft verliehen.
Kurz gelang es, den Eindruck zu erwecken,
er könnte seine Markenmission
gegen alle Widerstände durchsetzen.
Kurz bleibt stets freundlich, hat
Dossierkenntnis und argumentiert
auch in harten Debatten sachlich. Er
erscheint stets gepflegt und scheint nie
die Nerven zu verlieren. Kurz vermeidet
zudem bewusst Personality-Shows
im Boulevard und konzentriert sich
stets auf seine Kernbotschaft.
Die Flüchtlingsfrage brachte Kurz
den Wahlsieg. Wir dürfen aber nicht
vergessen: 2015 war er noch Anhänger
von Merkels Willkommenskultur. Und
sagte damals sogar: «Der Islam gehört
zu Österreich.» Heute punktet er vor
allem bei den Älteren mit Aussagen
wie: «Es ist falsch, wenn eine Flüchtlingsfamilie,
die noch nie eingezahlt
hat, im Monat 2000 Euro bekommt, ein
Pensionist hingegen, der das ganz Leben
eingezahlt hat, gerade einmal 1000
Euro erhält.»
Bei Auftritten beobachtete Details:
==> Die nach oben gezogenen Mundwinkel
(signalisieren Freundlichkeit).
Seine Gesichtszüge verhärten sich
dann aber merklich, wenn er angegriffen
wird. Er presst in solchen Situationen
oft die Lippen zusammen, die Augen
verkleinern sich. Sein Blick richtet
sich dann auf einen fernen Punkt –
ohne ein Gegenüber. Auch wenn er sich
verbissen bemüht, die Gegner ausreden
zu lassen, und sehr zurückhaltend
ist mit Konterschlägen, spüren Laien,
dass den ehrgeizigen Politiker Kritik
nicht kaltlässt.
==> Kurz beansprucht beim Reden
Raum. Er ist gross und baut sich gleichsam
auf. Bei Kritik schrumpft er jedoch
merklich ein, spricht aber lauter und
senkt künstlich die Stimme.
==> Auf kritische Argumente reagiert er
meist geschickt mit Zustimmung, Anerkennung,
Umdeutung oder Relativierung.
Zum Beispiel: «Sie sprechen ein
wichtiges Problem an. Lassen Sie mich
dazu noch einen Satz sagen.» Dann erzählt
er eine Geschichte, die seinen
Erfolg unterstreicht.
Kommunikativ stark
Der Politstar, der mit nur 31 Jahren
zum jüngsten Bundeskanzler aufgestiegen
ist, verdankt seinen Erfolg vor
allem seinen kommunikativen Stärken.
==> Er verwendet oft positiv assoziierte
Worte, die keinen Widerspruch hervorrufen,
wie: «Mündige Bürger entscheiden
frei», «Hausärzte sind für alle ein
wichtiges Thema». Und er erzeugt gedankliche
Bilder. Bilder, die nicht polarisieren.
==> Er setzt Charme ein. Dies reduziert
auch in der Alltagskommunikation jede
aggressive Stimmung. Kurz diskutiert
meist spielerisch, kokett, charmant. Er
kennt die Kraft des guten Benehmens in
einer Zeit des saloppen Umgangstones.
==> In der Wahl seiner Antworten hat
Kurz ein gutes Sensorium, was beim
Gegenüber gut ankommt.
==> Er ist geistig schnell, kann Situationen
rasch bewerten und hat ein breites
Repertoire an geeigneten Antworten.
==> Bei Auftritten, Interviews und Diskussionen
wendet er sich mit Körper,
Gesicht, Blick und Gestik dem Gesprächspartner
zu.
==> Auf jede Aussage reagiert Kurz mit
einer positiven Gesprächshaltung. Er
zeigt Verständnis, formuliert ein Lob,
eine Teilzustimmung oder eine Anerkennung.
Fazit: Sebastian Kurz hat ein intuitives
Gespür entwickelt, und er erkennt
dadurch rasch, welches Verhalten
einen positiven Gesprächsverlauf
fördert. Kurz versteht es, die Massen
mit seiner Ausstrahlung zu bewegen.
Die Frage bleibt: Kann Kurz halten,
was er ausstrahlt und verspricht? Es
ist meist selten, dass Politiker die von
ihnen geweckten Hoffnungen später
im Alltag tatsächlich auch konkret erfüllen.
Marcus
Knill
Experte für
Medienrhetorik.
Er schreibt in
loser Folge
für die SN.
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