Philipp Müller fehlt die Bremse
Der ehemalige FDP-Präsident führt sich ohne Rücksicht
auf Verluste als Nummer eins auf.
«Ich first». Ständerat Philipp Müller spielt sich nach dem Rücktritt als FDP-Präsident in den Vordergrund. Bild: Keystone
Ist sein Rücktritt vergangenen Frühling eine Fata Morgana? Ist der
Aargauer Ständerat Philipp Müller noch immer Präsident der Freisinnig
Demokratischen Partei Schweiz, trotz selbstbeweihräucherndem Abgang vor
grossem Publikum am 16. April 2016? Zweifelsfrei mit Ja antwortet, wer
nichts ahnend Müllers offizielle Internetseite konsultiert
(http://philipp-mueller.ch/politik/ politischer-weg). Dort steht, unter
dem Titel «Politischer Weg» ganz oben die Angabe «seit April 2012:
Präsident der FDP.Die Liberalen». Von Präsidiumsabgabe keine Rede.
Veraltet erscheint der Internetauftritt Müllers ansonsten nicht. Nur
bezüglich Rücktritt als Parteipräsident. Alles andere ist aktuell.
Besonders umfangreich fällt die Aufzählung eigener, offenbar als
besonders gelungen eingeschätzter Medienauftritte aus.Der
mutmassliche, sicher aber peinliche Lapsus in Müllers unvollständiger
Polit-Biografie passt in die Wahrnehmung der Beobachter, nämlich, dass
Müller präsenter sei denn je, dass es ihm um sich und sein Ego gehe.
Müller ist aus Publikumssicht Parteipräsident geblieben, er kehrt
weiterhin die Nummer eins nach aussen, reisst sich das Hemd auf, um die
Brusthaare herzuzeigen, greift nach jedem Mikrofon, posiert vor jeder
Kamera. Er kann es offensichtlich nicht lassen.
Zurückhaltung trotz Wahlkampf
Der Eindruck täuscht nicht. 1139 Mal erwähnten ihn deutschsprachige Zeitungen zwischen Rücktritt als Parteipräsident auf der grossen Bühne im Berner Hotel National und gestern. 229 Mal französischsprachige, in Nachrichtenspalten sowie grösseren und kleineren Artikeln. Die grösseren Fernsehauftritte erfolgten zuletzt – beschränkt auf die Zeit ab Herbst 2016 – im Abstand von zehn bis 14 Tagen: SRF-«Arena» zum Thema Terror (17.10.), Tele Züri zum Thema Masseneinwanderung (30.10), SRF- «Arena» zum Thema Zuwanderung (2. 12., nach Auftritt im Aargauer Lokalfernsehen am selben Tag), SRF-«Arena» zum Thema Populisten (9. Dezember), und per 19. Dezember gelang es ihm, sich in «Talk Täglich», erneut auf Tele Züri, in die Brust zu werfen.
Müllers ichbezogenes Medienverhalten kontrastiert umso stärker, vergleicht man dieses mit den beiden anderen Parteipräsidenten, die zum selben Zeitpunkt wie Müller gegangen sind. Vom ehemaligen CVP-Parteipräsidenten Christophe Darbellay hört und sieht man rein gar nichts mehr. Und dies, obwohl sich der 46-jährige Ex-Nationalrat derzeit im hitzigen Wahlkampf um einen Sitz in der Walliser Kantonsregierung befindet. Obwohl der eine oder andere nationale Medienauftritt dabei ziemlich sicher helfen würde: Darbellay verzichtet, er dient sich keinen Journalisten an. CVP-Generalsekretärin Béatrice Wertli sagt, solche Ablösungen an der Spitze der CVP seien die Regel. Sie habe als Parteifunktionärin soeben den fünften Präsidentenwechsel erlebt. «Jene, die gingen, haben den Stab an den Nachfolger übergeben. Sie konzentrierten sich auf ihre neuen Aufgaben.»
Brunners bewusste Absenz
Bezeichnend auch, was sich bei der SVP gestern abspielte. Der Versuch, Ex-Parteipräsident Toni Brunner zu erreichen, blieb erfolglos, im Gegensatz zu dessen Zeit als Parteipräsident. Das Mobiltelefon läutete ins Leere.
Beim neuen SVP-Parteipräsidenten Albert Rösti kommt alsbald der Anrufbeantworter und das Versprechen, er werde zurückrufen. Bald darauf meldet sich der amtierende SVP-Präsident. Er bestätigt, Toni Brunner habe sich als Präsident in den Dienst der Partei gestellt, was auch nach dessen Rücktritt so sei. Bewusst habe Brunner die letzten drei Delegiertenversammlungen nicht besucht, um den Neuen das Feld zu überlassen. Auch in den Medien habe sich Brunner zurückgehalten. Brunner habe ihm den Einstieg als Parteipräsident damit eindeutig erleichtert, sagt Rösti. Dafür sei er Brunner dankbar.
Anders also bei der FDP und bei Müller.
Kommunikationsberater und Coach Marcus Knill zählt Müller zu den «Dauerempörten». Sie laufen Gefahr, nicht mehr wahrgenommen zu werden, weil man nicht mehr zuhört. «Man kann einem Organisten, der sämtliche Register zieht und immer auf Tutti spielt, auf Dauer auch nicht zuhören.» Knill vermutet, dass Müller nicht anders kann. Ohne häufige Medienpräsenz fühlt sich jemand mit seiner Persönlichkeitsstruktur minderwertig. Ins Bild passe auch, dass Müller in Diskussionssendungen anderen Gesprächsteilnehmern sehr häufig ins Wort falle, was ziemlich unangenehm auffalle. Dies sei schade, denn sonst gelinge es Müller immer wieder, frei, einfach, verständlich und schnörkellos zu kommunizieren. Müller habe nach seinem Rücktritt als Parteipräsident rasch gemerkt, dass er sich mit dem Thema Umsetzung der SVP-Masseneinwanderungs-Initiative neu positionieren und profilieren könne.
«Hier hat er Oberwasser gewonnen», beobachtet Knill. Diese Plattform werde aber nun zunehmend gefährlich, weil eine gewisse Profilierungssucht sichtbar werde. «Müller fehlt beim Debattieren und bei Medienauftritten generell die Bremse, ein Makel, den er schon als Parteipräsident hatte.» Seiner Nachfolgerin, Petra Gössi, die einen zurückhaltenderen, sachbezogeneren Stil pflegt, vereinfacht Müller damit die Arbeit sicher nicht, findet Knill. (Basler Zeitung)
LINK:
Zurückhaltung trotz Wahlkampf
Der Eindruck täuscht nicht. 1139 Mal erwähnten ihn deutschsprachige Zeitungen zwischen Rücktritt als Parteipräsident auf der grossen Bühne im Berner Hotel National und gestern. 229 Mal französischsprachige, in Nachrichtenspalten sowie grösseren und kleineren Artikeln. Die grösseren Fernsehauftritte erfolgten zuletzt – beschränkt auf die Zeit ab Herbst 2016 – im Abstand von zehn bis 14 Tagen: SRF-«Arena» zum Thema Terror (17.10.), Tele Züri zum Thema Masseneinwanderung (30.10), SRF- «Arena» zum Thema Zuwanderung (2. 12., nach Auftritt im Aargauer Lokalfernsehen am selben Tag), SRF-«Arena» zum Thema Populisten (9. Dezember), und per 19. Dezember gelang es ihm, sich in «Talk Täglich», erneut auf Tele Züri, in die Brust zu werfen.
Müllers ichbezogenes Medienverhalten kontrastiert umso stärker, vergleicht man dieses mit den beiden anderen Parteipräsidenten, die zum selben Zeitpunkt wie Müller gegangen sind. Vom ehemaligen CVP-Parteipräsidenten Christophe Darbellay hört und sieht man rein gar nichts mehr. Und dies, obwohl sich der 46-jährige Ex-Nationalrat derzeit im hitzigen Wahlkampf um einen Sitz in der Walliser Kantonsregierung befindet. Obwohl der eine oder andere nationale Medienauftritt dabei ziemlich sicher helfen würde: Darbellay verzichtet, er dient sich keinen Journalisten an. CVP-Generalsekretärin Béatrice Wertli sagt, solche Ablösungen an der Spitze der CVP seien die Regel. Sie habe als Parteifunktionärin soeben den fünften Präsidentenwechsel erlebt. «Jene, die gingen, haben den Stab an den Nachfolger übergeben. Sie konzentrierten sich auf ihre neuen Aufgaben.»
Brunners bewusste Absenz
Bezeichnend auch, was sich bei der SVP gestern abspielte. Der Versuch, Ex-Parteipräsident Toni Brunner zu erreichen, blieb erfolglos, im Gegensatz zu dessen Zeit als Parteipräsident. Das Mobiltelefon läutete ins Leere.
Beim neuen SVP-Parteipräsidenten Albert Rösti kommt alsbald der Anrufbeantworter und das Versprechen, er werde zurückrufen. Bald darauf meldet sich der amtierende SVP-Präsident. Er bestätigt, Toni Brunner habe sich als Präsident in den Dienst der Partei gestellt, was auch nach dessen Rücktritt so sei. Bewusst habe Brunner die letzten drei Delegiertenversammlungen nicht besucht, um den Neuen das Feld zu überlassen. Auch in den Medien habe sich Brunner zurückgehalten. Brunner habe ihm den Einstieg als Parteipräsident damit eindeutig erleichtert, sagt Rösti. Dafür sei er Brunner dankbar.
Anders also bei der FDP und bei Müller.
Kommunikationsberater und Coach Marcus Knill zählt Müller zu den «Dauerempörten». Sie laufen Gefahr, nicht mehr wahrgenommen zu werden, weil man nicht mehr zuhört. «Man kann einem Organisten, der sämtliche Register zieht und immer auf Tutti spielt, auf Dauer auch nicht zuhören.» Knill vermutet, dass Müller nicht anders kann. Ohne häufige Medienpräsenz fühlt sich jemand mit seiner Persönlichkeitsstruktur minderwertig. Ins Bild passe auch, dass Müller in Diskussionssendungen anderen Gesprächsteilnehmern sehr häufig ins Wort falle, was ziemlich unangenehm auffalle. Dies sei schade, denn sonst gelinge es Müller immer wieder, frei, einfach, verständlich und schnörkellos zu kommunizieren. Müller habe nach seinem Rücktritt als Parteipräsident rasch gemerkt, dass er sich mit dem Thema Umsetzung der SVP-Masseneinwanderungs-Initiative neu positionieren und profilieren könne.
«Hier hat er Oberwasser gewonnen», beobachtet Knill. Diese Plattform werde aber nun zunehmend gefährlich, weil eine gewisse Profilierungssucht sichtbar werde. «Müller fehlt beim Debattieren und bei Medienauftritten generell die Bremse, ein Makel, den er schon als Parteipräsident hatte.» Seiner Nachfolgerin, Petra Gössi, die einen zurückhaltenderen, sachbezogeneren Stil pflegt, vereinfacht Müller damit die Arbeit sicher nicht, findet Knill. (Basler Zeitung)
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