«Kinder brauchen
einen Oberbandenführer»
Die Schule entwickle sich in die falsche Richtung,
findet Jugendgewalt-Experte Allan Guggenbühl
und sagt, was sich ändern sollte.
Von der Handschlag-Debatte bis zum Prüfungsterror:
Die Schule ist ständig im Kreuzfeuer der Kritik.
Was muss sich ändern?
Es ist paradox: Die Schule will den Schülern mehr Lernfreiheit zugestehen, mit ihnen einen machtfreien Diskurs führen und ihre Kreativität fördern – doch oft führen genau diese Absichten zum Gegenteil: Freiheit und Kreativität der Schüler werden eingeschränkt.
Wo werden die Schüler geknebelt?
Schulen sind Normvollstrecker, das ist wie einst. Da ist es problematisch, vorzugeben, man sei ein Hort der Kreativität und des freien Handelns. Der Widerspruch zeigt sich etwa, wenn man Schulhäuser besucht: Überall hängen schöne Sprüche, es wird zu Respekt aufgerufen, gewaltlose Kommunikation verlangt und Nachhaltigkeit gepredigt. Mich erinnern solche Sprüche an die DDR oder China, wo man die Menschen auch durch Leitsätze kontrollieren will. Die meisten Kinder betrachten sie als heisse Luft. Denn sobald ein Kind sagt, was es wirklich denkt, oder sich andersartig verhält, reagiert die Schule: Es hagelt Time-outs, Strichlein, Gelbe Karten und Überweisungen zu Profis, die die Kinder flicken sollen, damit sie nicht «blöd tun», andere beleidigen oder Heterogenität kreativ ausleben. Oft wird ein Kind zum Therapiefall, ohne dass sich die Lehrperson mit der Bedeutung des Widerstands oder Fehlverhaltens auseinandersetzt.
Wie sieht das konkret aus?
Ich hatte einen Fall, wo zwei Schüler ihre deutsche Lehrerin mit «Heil Hitler» begrüssten. Natürlich geht das gar nicht. Aber die Schule hat mit dem «Schlaghammer» reagiert, es gab eine kurzzeitige Suspendierung vom Unterricht, Gespräche beim Schulleiter und Psychologen. Besser wäre es gewesen, wenn der Vorfall zwischen der Lehrerin und den Schülern besprochen worden wäre; man hätte mal intensiv über das Thema Nazis sprechen können. Solche Auseinandersetzungen sind wichtig – das ist auch bei einem verweigerten Handschlag so.
Ist die Begrüssung mit Handschlag nicht essenziell – als Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau? Ist das verhandelbar?
Die Gleichberechtigung ist nicht verhandelbar. Genauso wenig wie die Meinungsfreiheit oder die Gewaltlosigkeit. All dies ist auf dem Schulgelände ein Must und nicht optional. Aber das erreicht man nicht mit Zettelchen aufhängen oder mit erzwungenen Handschlägen, sondern indem man es vorlebt.
Wie geht Vorbild sein richtig?
Das richtige Verhalten kann nicht dekretiert werden, sondern die Lehrer müssen sich stets neu mit den Schülern auseinandersetzen. Details sind da schon wichtig: Bei der Begrüssung müssen die Schüler die Präsenz des Lehrers – oder eben der Lehrerin – würdigen, sei es, indem sie «Guten Morgen, Frau Müller» sagen, oder mit einem Blickwechsel. Ob Hand oder nicht, ist dabei aber zweitrangig; in England zum Beispiel oder auch hier am Arbeitsplatz schüttelt man sich auch nicht jeden Morgen die Hand. Die Hauptsache ist, Haltung zu zeigen, Werte zu vermitteln; dafür muss man auch einmal Spannungen aushalten, Konflikte austragen und nicht gleich an Fachpersonen weiterdelegieren. In Schulen verläuft nie alles nach Programm: Das Halbchaotische ist Alltag. Es zu meistern, braucht Zeit und vor allem Herzblut. Dieses Herzblut aufzubringen, ist für Lehrer heute nicht einfach; das System erschwert es ihnen.
Lehrpersonen sind heute nicht mehr die primären Wissensvermittler. Theoretisch können sich Kinder Wissen völlig selbstständig aneignen, daher setzt man ja jetzt auf «Kompetenzen». Was jedoch vergessen wird: Kinder wollen ins Wissen der Alten eingeführt werden, es sich nicht auf Befehl selber aneignen. Sie wollen die Geschichten der Alten hören und sich mit Menschen auseinandersetzen, wollen, aus der Beziehung heraus, ihre Inhalte ablehnen oder annehmen. So erst beginnen sie, selbstständig zu denken. Und das geht nicht ohne Lehrer, die sich mit ihrer ganzen Person auf den Schüler einlassen und eine Reibungsfläche bieten. Das ist heute schwierig: Oft mischen sich die Eltern ein, zudem gibt es wenig Vollzeitlehrer; Teilzeiter und Fachlehrer haben aber zu wenig Ressourcen und Zeit für so eine Beziehung.
Manche nennen die Lehrer heute «Schulflüchter», da sie sich keine Minute länger als nötig den Schülern widmen würden. Gehen die Kinder im System unter?
Bei Problemen werden Fachpersonen gerufen. Das Kind erhält eine Diagnose und kommt dann zum Logopäden, Heilpädagogen, zur Polizei, zu Psychologen, Sozialarbeitern. Da besteht die Gefahr, dass es zur Verantwortungsdiffusion kommt, die Auseinandersetzung mit einer Lehrperson über das Wissen nicht mehr möglich ist – und die Schule ihre Kernaufgabe vermasselt. Das ist fatal!
Sie zählen auch zu den Spezialisten, die immer hinzugezogen werden . . .
Ich versuche, mich nicht als Spezialisten zu inszenieren, sondern immer nur das Allernötigste zu machen, sodass die anderen selber weiterwissen.
Braucht es eine Leitwolf-Pädagogik?
Absolut! Kinder brauchen Leitfiguren, um sich zu entwickeln. Mein Begriff dafür ist: «Oberbandenführer». Sie sehnen sich nach Lehrerpersönlichkeiten, an denen man sich orientieren kann, mit denen man auch einmal nicht einverstanden ist. Diese Lehrperson gibt Leitlinien vor, unterscheidet zwischen Falsch und Richtig und vermittelt Inhalte. Es ist klar, dass die Schüler nicht alles übernehmen; sie hören sich an, was die Alten sagen, um dann später etwas anderes daraus zu machen.
Wie positioniert sich die Schule denn heute stattdessen?
Fortschrittliche Schulen achten auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Gendergerechtigkeit, Gesundheits- und Friedensförderung, Sozialkompetenz usw. Es geht um eine bessere Welt. Doch das sind Ziele, an denen wir alle regelmässig scheitern, Ziele, die uns zwar berechtigen, mit den Kindern zu arbeiten und von ihnen Anpassung einzufordern. Aber es wird schwierig, wenn wir von Kindern mehr erwarten als von uns, wie etwa nie zu mobben, keine aggressiven Auseinandersetzungen mehr zu haben. Das ist, als fordere man von Paaren, eine immerzu harmonische Ehe zu führen. Dafür müssten alle vor der Trauung obligatorisch Konfliktpräventionskurse besuchen. Also: Da die Schule sich nach hehren Idealen ausrichtet, haben die Schüler oft keine Chance. Dabei ist doch eigentlich die Moral entscheidend. Beherrscht ein Schüler die Stoppregel, gibt er schön die Hand, hat er eine hohe Sozialkompetenz, sagt das noch nicht viel über seinen moralischen Kompass aus – siehe Rupperswil.
Man muss für sie einstehen. Früher gab es das Risiko, dass Lehrer zu selbstherrlich wurden. Manchmal verschanzten sie sich in ihrem Reich wie kleine Diktatoren und benahmen sich wie Sadisten. Das versucht man mit der Professionalisierung zu verhindern, zu Recht. Doch man ist zu weit gegangen, hat die Verantwortung weit gestreut – wir brauchten wieder ein wenig eine Lehrer-Monarchie! Auch Integrationsarbeit kann besser geleistet werden, wenn es eine Überstruktur gibt, die von der Person des Lehrers repräsentiert wird.
Wieso würde die Integration von einer Lehrer-Monarchie profitieren?
Der mittlerweile überall vertretene Ansatz der Selbstorganisation, des Lernens nach eigenen Zielsetzungen, lässt gerade die Kinder hängen, die vom Elternhaus her nicht genug Unterstützung haben; und die, die aus sprachlichen oder kulturellen Gründen das ganze Konzept nicht verstehen. Lehrer sollten wieder den Mut haben, bestimmte Lernziele und Inhalte für alle vorzugeben; gutmütige Könige und Königinnen zu sein.
Sie selbst werden in Krisen zu Schulklassen gerufen. Was tun Sie?
Das Erste ist immer, dass wir, sobald wir über die Sachlage Bescheid wissen, mit einem klaren Urteil vor die Klasse treten. «Helen wurde von Alexander gemobbt, und Andres, Isabel und Irene haben mitgemacht. Das war eine böse Sache, und Helen geht es jetzt nicht gut.» Meistens streiten die Schüler die Vorfälle ab. Sie wollen uns überzeugen, dass die Anschuldigungen nicht stimmen. Wir fordern sie dann auf, zu beweisen, dass wir nicht recht haben, und geben ihnen die Möglichkeit, Ideen zu entwickeln. Wir setzen dazu Geschichten ein, die das Thema der Schüler aufnehmen. Es gibt Spiele, kleine theatrale und andere Formen der Auseinandersetzung.
Funktioniert das?
Unsere Interventionen wurden von Externen evaluiert, und man stellte fest, dass von zehn Interventionen acht eine Änderung bewirkten. Auffallend war, dass es nach den Interventionen oft deutlich weniger Krankheitsfälle gab und sich die Lernmotivation steigerte.
Es ist ein schöner und wichtiger Freiraum für die Schüler, genau wie Sportaktionen oder ein Chor. Generell würde ich allerdings sagen, dass das Schultheater überschätzt wird. Nicht alle Schüler spielen gern Theater. Wenn sie jedoch gern spielen, ist es eine grosse Bereicherung: Schüchterne werden selbstsicherer, anderen tut die spezielle Aufmerksamkeit gut. Theater regt die Fantasie an. Es ist zu wünschen, dass es in der Schule überhaupt mehr Anlässe gibt, in denen die Schüler imaginieren und spielen dürfen, wie es im Theater geschieht.
Aber an den Universitäten klagen sie jetzt schon über die zu geringe Vorbildung der Studienanfänger.
Das Problem ist, dass Stoff oberflächlich gelernt wird. In China, wo ich an den Universitäten von Macao und Ghuanzou lehre, klagen viele Lehrer über das geringe Interesse der Studenten an Inhalten. Lernen wurde zum Anpassungsakt, zu bulimischem Lernen. Man merkt sich nur so viel, wie man für den Multiple-Choice-Test wissen muss, spuckt es aus und – vergisst es. Wer sich wirklich interessiert, droht durchzufallen. Es geht nur darum, das Kreuzchen an der rechten Stelle zu machen. Mir scheint: Eine solche Lernweise verhindert Innovation und revolutionäre Entdeckung. Schüler lernen, in Prüfungen zu bestehen, und nicht, ihren Geist zu schärfen. (Tages-Anzeiger)
Die Schule ist ständig im Kreuzfeuer der Kritik.
Was muss sich ändern?
Es ist paradox: Die Schule will den Schülern mehr Lernfreiheit zugestehen, mit ihnen einen machtfreien Diskurs führen und ihre Kreativität fördern – doch oft führen genau diese Absichten zum Gegenteil: Freiheit und Kreativität der Schüler werden eingeschränkt.
Wo werden die Schüler geknebelt?
Schulen sind Normvollstrecker, das ist wie einst. Da ist es problematisch, vorzugeben, man sei ein Hort der Kreativität und des freien Handelns. Der Widerspruch zeigt sich etwa, wenn man Schulhäuser besucht: Überall hängen schöne Sprüche, es wird zu Respekt aufgerufen, gewaltlose Kommunikation verlangt und Nachhaltigkeit gepredigt. Mich erinnern solche Sprüche an die DDR oder China, wo man die Menschen auch durch Leitsätze kontrollieren will. Die meisten Kinder betrachten sie als heisse Luft. Denn sobald ein Kind sagt, was es wirklich denkt, oder sich andersartig verhält, reagiert die Schule: Es hagelt Time-outs, Strichlein, Gelbe Karten und Überweisungen zu Profis, die die Kinder flicken sollen, damit sie nicht «blöd tun», andere beleidigen oder Heterogenität kreativ ausleben. Oft wird ein Kind zum Therapiefall, ohne dass sich die Lehrperson mit der Bedeutung des Widerstands oder Fehlverhaltens auseinandersetzt.
Wie sieht das konkret aus?
Ich hatte einen Fall, wo zwei Schüler ihre deutsche Lehrerin mit «Heil Hitler» begrüssten. Natürlich geht das gar nicht. Aber die Schule hat mit dem «Schlaghammer» reagiert, es gab eine kurzzeitige Suspendierung vom Unterricht, Gespräche beim Schulleiter und Psychologen. Besser wäre es gewesen, wenn der Vorfall zwischen der Lehrerin und den Schülern besprochen worden wäre; man hätte mal intensiv über das Thema Nazis sprechen können. Solche Auseinandersetzungen sind wichtig – das ist auch bei einem verweigerten Handschlag so.
Ist die Begrüssung mit Handschlag nicht essenziell – als Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau? Ist das verhandelbar?
Die Gleichberechtigung ist nicht verhandelbar. Genauso wenig wie die Meinungsfreiheit oder die Gewaltlosigkeit. All dies ist auf dem Schulgelände ein Must und nicht optional. Aber das erreicht man nicht mit Zettelchen aufhängen oder mit erzwungenen Handschlägen, sondern indem man es vorlebt.
Wie geht Vorbild sein richtig?
Das richtige Verhalten kann nicht dekretiert werden, sondern die Lehrer müssen sich stets neu mit den Schülern auseinandersetzen. Details sind da schon wichtig: Bei der Begrüssung müssen die Schüler die Präsenz des Lehrers – oder eben der Lehrerin – würdigen, sei es, indem sie «Guten Morgen, Frau Müller» sagen, oder mit einem Blickwechsel. Ob Hand oder nicht, ist dabei aber zweitrangig; in England zum Beispiel oder auch hier am Arbeitsplatz schüttelt man sich auch nicht jeden Morgen die Hand. Die Hauptsache ist, Haltung zu zeigen, Werte zu vermitteln; dafür muss man auch einmal Spannungen aushalten, Konflikte austragen und nicht gleich an Fachpersonen weiterdelegieren. In Schulen verläuft nie alles nach Programm: Das Halbchaotische ist Alltag. Es zu meistern, braucht Zeit und vor allem Herzblut. Dieses Herzblut aufzubringen, ist für Lehrer heute nicht einfach; das System erschwert es ihnen.
«Die Hauptsache ist, Haltung zu zeigen, Werte zu vermitteln. Dafür muss man auch einmal Spannungen aushalten.»
«Herzblut» ist ein grosses Wort. Was meinen Sie mit «das Herzblut fehlt»?Lehrpersonen sind heute nicht mehr die primären Wissensvermittler. Theoretisch können sich Kinder Wissen völlig selbstständig aneignen, daher setzt man ja jetzt auf «Kompetenzen». Was jedoch vergessen wird: Kinder wollen ins Wissen der Alten eingeführt werden, es sich nicht auf Befehl selber aneignen. Sie wollen die Geschichten der Alten hören und sich mit Menschen auseinandersetzen, wollen, aus der Beziehung heraus, ihre Inhalte ablehnen oder annehmen. So erst beginnen sie, selbstständig zu denken. Und das geht nicht ohne Lehrer, die sich mit ihrer ganzen Person auf den Schüler einlassen und eine Reibungsfläche bieten. Das ist heute schwierig: Oft mischen sich die Eltern ein, zudem gibt es wenig Vollzeitlehrer; Teilzeiter und Fachlehrer haben aber zu wenig Ressourcen und Zeit für so eine Beziehung.
Manche nennen die Lehrer heute «Schulflüchter», da sie sich keine Minute länger als nötig den Schülern widmen würden. Gehen die Kinder im System unter?
Bei Problemen werden Fachpersonen gerufen. Das Kind erhält eine Diagnose und kommt dann zum Logopäden, Heilpädagogen, zur Polizei, zu Psychologen, Sozialarbeitern. Da besteht die Gefahr, dass es zur Verantwortungsdiffusion kommt, die Auseinandersetzung mit einer Lehrperson über das Wissen nicht mehr möglich ist – und die Schule ihre Kernaufgabe vermasselt. Das ist fatal!
Sie zählen auch zu den Spezialisten, die immer hinzugezogen werden . . .
Ich versuche, mich nicht als Spezialisten zu inszenieren, sondern immer nur das Allernötigste zu machen, sodass die anderen selber weiterwissen.
Braucht es eine Leitwolf-Pädagogik?
Absolut! Kinder brauchen Leitfiguren, um sich zu entwickeln. Mein Begriff dafür ist: «Oberbandenführer». Sie sehnen sich nach Lehrerpersönlichkeiten, an denen man sich orientieren kann, mit denen man auch einmal nicht einverstanden ist. Diese Lehrperson gibt Leitlinien vor, unterscheidet zwischen Falsch und Richtig und vermittelt Inhalte. Es ist klar, dass die Schüler nicht alles übernehmen; sie hören sich an, was die Alten sagen, um dann später etwas anderes daraus zu machen.
Wie positioniert sich die Schule denn heute stattdessen?
Fortschrittliche Schulen achten auf Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Gendergerechtigkeit, Gesundheits- und Friedensförderung, Sozialkompetenz usw. Es geht um eine bessere Welt. Doch das sind Ziele, an denen wir alle regelmässig scheitern, Ziele, die uns zwar berechtigen, mit den Kindern zu arbeiten und von ihnen Anpassung einzufordern. Aber es wird schwierig, wenn wir von Kindern mehr erwarten als von uns, wie etwa nie zu mobben, keine aggressiven Auseinandersetzungen mehr zu haben. Das ist, als fordere man von Paaren, eine immerzu harmonische Ehe zu führen. Dafür müssten alle vor der Trauung obligatorisch Konfliktpräventionskurse besuchen. Also: Da die Schule sich nach hehren Idealen ausrichtet, haben die Schüler oft keine Chance. Dabei ist doch eigentlich die Moral entscheidend. Beherrscht ein Schüler die Stoppregel, gibt er schön die Hand, hat er eine hohe Sozialkompetenz, sagt das noch nicht viel über seinen moralischen Kompass aus – siehe Rupperswil.
«Es wird
schwierig, wenn wir von Kindern mehr erwarten als von uns. Das ist, als
fordere man von Paaren, eine immerzu harmonische Ehe zu führen.»
Wie lehrt man denn Moral?Man muss für sie einstehen. Früher gab es das Risiko, dass Lehrer zu selbstherrlich wurden. Manchmal verschanzten sie sich in ihrem Reich wie kleine Diktatoren und benahmen sich wie Sadisten. Das versucht man mit der Professionalisierung zu verhindern, zu Recht. Doch man ist zu weit gegangen, hat die Verantwortung weit gestreut – wir brauchten wieder ein wenig eine Lehrer-Monarchie! Auch Integrationsarbeit kann besser geleistet werden, wenn es eine Überstruktur gibt, die von der Person des Lehrers repräsentiert wird.
Wieso würde die Integration von einer Lehrer-Monarchie profitieren?
Der mittlerweile überall vertretene Ansatz der Selbstorganisation, des Lernens nach eigenen Zielsetzungen, lässt gerade die Kinder hängen, die vom Elternhaus her nicht genug Unterstützung haben; und die, die aus sprachlichen oder kulturellen Gründen das ganze Konzept nicht verstehen. Lehrer sollten wieder den Mut haben, bestimmte Lernziele und Inhalte für alle vorzugeben; gutmütige Könige und Königinnen zu sein.
Sie selbst werden in Krisen zu Schulklassen gerufen. Was tun Sie?
Das Erste ist immer, dass wir, sobald wir über die Sachlage Bescheid wissen, mit einem klaren Urteil vor die Klasse treten. «Helen wurde von Alexander gemobbt, und Andres, Isabel und Irene haben mitgemacht. Das war eine böse Sache, und Helen geht es jetzt nicht gut.» Meistens streiten die Schüler die Vorfälle ab. Sie wollen uns überzeugen, dass die Anschuldigungen nicht stimmen. Wir fordern sie dann auf, zu beweisen, dass wir nicht recht haben, und geben ihnen die Möglichkeit, Ideen zu entwickeln. Wir setzen dazu Geschichten ein, die das Thema der Schüler aufnehmen. Es gibt Spiele, kleine theatrale und andere Formen der Auseinandersetzung.
Funktioniert das?
Unsere Interventionen wurden von Externen evaluiert, und man stellte fest, dass von zehn Interventionen acht eine Änderung bewirkten. Auffallend war, dass es nach den Interventionen oft deutlich weniger Krankheitsfälle gab und sich die Lernmotivation steigerte.
«Es
ist zu wünschen, dass es in der Schule mehr Anlässe gibt, in denen die
Schüler imaginieren und spielen dürfen, wie es im Theater geschieht.»
Sie sprechen von Geschichten als Zugang zum Konflikt. Welche Rolle kann das Schultheater spielen?Es ist ein schöner und wichtiger Freiraum für die Schüler, genau wie Sportaktionen oder ein Chor. Generell würde ich allerdings sagen, dass das Schultheater überschätzt wird. Nicht alle Schüler spielen gern Theater. Wenn sie jedoch gern spielen, ist es eine grosse Bereicherung: Schüchterne werden selbstsicherer, anderen tut die spezielle Aufmerksamkeit gut. Theater regt die Fantasie an. Es ist zu wünschen, dass es in der Schule überhaupt mehr Anlässe gibt, in denen die Schüler imaginieren und spielen dürfen, wie es im Theater geschieht.
Aber an den Universitäten klagen sie jetzt schon über die zu geringe Vorbildung der Studienanfänger.
Das Problem ist, dass Stoff oberflächlich gelernt wird. In China, wo ich an den Universitäten von Macao und Ghuanzou lehre, klagen viele Lehrer über das geringe Interesse der Studenten an Inhalten. Lernen wurde zum Anpassungsakt, zu bulimischem Lernen. Man merkt sich nur so viel, wie man für den Multiple-Choice-Test wissen muss, spuckt es aus und – vergisst es. Wer sich wirklich interessiert, droht durchzufallen. Es geht nur darum, das Kreuzchen an der rechten Stelle zu machen. Mir scheint: Eine solche Lernweise verhindert Innovation und revolutionäre Entdeckung. Schüler lernen, in Prüfungen zu bestehen, und nicht, ihren Geist zu schärfen. (Tages-Anzeiger)
Allan Guggenbühl.
Der Psychologe (64) ist Konfliktmanager und Experte für Jugendgewalt.
Jüngst erschien von ihm:
«Die vergessene Klugheit:
Wie Normen uns am Denken hindern».
KOMMENTAR:
Aus meiner Erfahrung mit Weiterbildungsseminaren mit Lehrkräften, Eltern und Schulleitern habe ich immer wieder gesehen:
Unsere Kinder wünschen Vorbilder.
Sie schätzen die Auseinandersetzung mit den Leitpersonen.
Das heisst: Erziehen benötigt ZEIT.
Das heisst: Kinder wünschen Bezugspersonen.
Leider mangelt es derzeit an der KONSTANZ von
Bezugspersonen.
Guggenbühls Analogie mit dem "Oberbandenführer",
mit dem Bild des "Leitwolfes" macht uns bewusst, dass
zahlreiche Schulmodelle eine Fehlentwicklung sind:
Kinder werden sich slebst überlassen
Bezugspersonen wechseln ständig
Lehrpersonen sind sich ihrer Rolle als "Leitwolf" nicht mehr bewusst.
Das "Fordern" wurde ersetzt mit "Laisser faire".
Wer mit Jugendlichen zu tun hat ist weder Kumpel noch Despot. Er weicht Auseinandersetzungen nicht aus und
ist PRAESENT.
Für viele Eltern ist PRAESENZ ein Fremdwort.
Der Psychologe (64) ist Konfliktmanager und Experte für Jugendgewalt.
Jüngst erschien von ihm:
«Die vergessene Klugheit:
Wie Normen uns am Denken hindern».
KOMMENTAR:
Aus meiner Erfahrung mit Weiterbildungsseminaren mit Lehrkräften, Eltern und Schulleitern habe ich immer wieder gesehen:
Unsere Kinder wünschen Vorbilder.
Sie schätzen die Auseinandersetzung mit den Leitpersonen.
Das heisst: Erziehen benötigt ZEIT.
Das heisst: Kinder wünschen Bezugspersonen.
Leider mangelt es derzeit an der KONSTANZ von
Bezugspersonen.
Guggenbühls Analogie mit dem "Oberbandenführer",
mit dem Bild des "Leitwolfes" macht uns bewusst, dass
zahlreiche Schulmodelle eine Fehlentwicklung sind:
Kinder werden sich slebst überlassen
Bezugspersonen wechseln ständig
Lehrpersonen sind sich ihrer Rolle als "Leitwolf" nicht mehr bewusst.
Das "Fordern" wurde ersetzt mit "Laisser faire".
Wer mit Jugendlichen zu tun hat ist weder Kumpel noch Despot. Er weicht Auseinandersetzungen nicht aus und
ist PRAESENT.
Für viele Eltern ist PRAESENZ ein Fremdwort.
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