Donnerstag, 17. September 2015

Krisen wären immer eine Chance

Widersprüche nach Horror-Crash

17. September 2015  20 Min online

Das sind die offenen Fragen im Fall Müller

von Qendresa Llugiqi - Nach dem Unfall von Philipp Müller gibt es viele Ungereimtheiten. Ein Überblick über die offenen Fragen zum Fall.



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FDP-Präsident Philipp Müller ist am Donnerstagabend mit seinem Auto
aus noch ungeklärten Gründen in Lenzburg AG 
auf die Gegenfahrbahn geraten.

Seither hat Müller zwar mehrmals Stellung genommen. Doch viele Fragen bleiben offen, und gewisse Informationen sind widersprüchlich.

Die Erinnerungslücke

Müller sagte, dass er den Unfall als weit entfernten Knall wahrgenommen und keine Erinnerungen habe. Dennoch weiss er, dass er nicht am Handy war. Zudem gibt er an, dass er sich fit und ausgeruht gefühlt habe und nicht betrunken gewesen sei.
Letzteres bestätigt der negative Alkoholtest. Müller sagte der «Aargauer Zeitung» , dass die Vermutungen von Fachleuten in Richtung eines Sekundenschlafs gehen. Er kündigte an, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen.

Die mögliche Rolle des Handys

Philipp Müller hat den Unfall mit seinem Mercedes S 63 Coupé AMG verursacht. Er sagte, er sei nicht am Handy gewesen. Doch: In diesem Auto muss keiner sein Handy in der Hand halten.
Mercedes wirbt damit, dass per Bluetooth-Schnittstelle die Freisprechfunktion, Adressenübertragung vom Mobiltelefonen auf die Head Unit sowie Audio Streaming zum Abspielen von Musikdateien möglich sind. Ausserdem besteht die Möglichkeit, auch SMS im Head Unit anzuzeigen. Ob das Handy vor dem Unfall benutzt wurde, wird die Polizei überprüfen: Sie hat es beschlagnahmt.

Das Hochsicherheitsauto

Gemäss Mercedes-Experten hat es in der Grundausstattung zumindest einen Attention Assist sowie einen Collision Prevention Assist drin. Zusätzlich kann man weitere Features gegen einen Aufpreis einbauen lassen.
Der Collision Assist warnt den Fahrer akustisch, wenn sich der Abstand schnell weiter verringert: gegenüber sich bewegenden Fahrzeugen im Geschwindigkeitsbereich von 7 bis 250 km/h und gegenüber stehenden Hindernissen im Geschwindigkeitsbereich von 7 bis etwa 70 km/h.
Der Attention Assist warnt den Fahrer sowohl akustisch als auch optisch, wenn Anzeichen von zunehmender Unaufmerksamkeit und Ermüdung erkannt werden. Das geschieht anhand von Sensoren, die das Fahrverhalten analysieren und so Abweichungen vom vorher individuell bestimmten Fahrerprofil erkennen. Falls Müller einen Sekundenschlaf gehabt hätte, hätte der Attention Assist reagieren können. Das Problem ist jedoch: Er warnt erst ab 60 bis 180 km/h.
Wie schnell Müller gefahren ist und wie er genau gecrasht ist, ist noch offen. Ob die verschiedenen Assistenten aktiv wurden, ist ebenfalls unklar.
Auch soll das Auto von Müller laut «Le Matin» getunt gewesen sein. Gemäss der «Aargauer Zeitung» haben sowohl Müller als auch sein Kundenberater Leo Wieland, der Verkaufsleiter bei der Mercedes-Garage Schmid in Unterentfelden, angegeben, dass das Auto nicht aufgemotzt worden sei. Es sei ohne irgendwelche Veränderungen ab Werk geliefert worden, so Wieland. Doch: Je nachdem, wie man das Wort «Tunen» gebraucht, ist Müllers Auto getunt oder nicht. Denn: Laut Experten kann bei diesem Auto die Leistungssperre deaktiviert werden, wodurch das Auto noch leistungsfähiger wird.

Die Kamera in der Windschutzscheibe

Müller selbst gab gegenüber der «Aargauer Zeitung» an, er habe eine Dashcam in seinem Auto installiert. Diese filme alles, was vor dem Auto passiert und müsse somit den Unfall aufgezeichnet haben. Gemäss Martin Killias, Strafrechtsprofessor an der Universität St. Gallen, sind vor Gericht alle tauglichen Beweismittel zulässig, die nicht auf illegale Weise entstanden sind oder beschafft wurden.
Killias ist der Ansicht, der zuständige Staatsanwalt oder Richter dürfe das Videomaterial aus Müllers Dashcam beiziehen. «Zweifellos sind die Aufnahmen für die Klärung der Unfallursache relevant, und solange keine Persönlichkeitsrechte von Dritten oder andere sensible Daten betroffen sind, sehe ich keinen Grund, weshalb man nicht darauf zurückgreifen sollte», sagt Killias zur «Aargauer Zeitung».
Das Problem bei der Dashcam ist jedoch, dass sie lediglich ein eingeschränktes Sichtfeld und sonst keinerlei Daten liefert, um den Unfall zu rekonstruieren. 

Die «verlorenen» Autoschilder

Gemäss «Blick» waren die Autoschilder von Müllers Mercedes bereits entfernt, als der Staatsanwalt eintraf. «Es gibt von der Staatsanwaltschaft keine Weisung oder Praxis, was die Entnahme von Nummernschildern nach Verkehrsunfällen anbelangt», sagte Sprecherin Fiona Strebel zum «Blick». Und bestätigte: «Im konkreten Fall waren die Schilder beim Eintreffen der Staatsanwaltschaft am Unfallort bereits entfernt.»
Von wem die Schilder entfernt wurden, ist unklar. Sollte es aber Müller gewesen sein, stellt sich die Frage, wieso er dies tat. Wollte er verhindern, dass bekannt wird, dass das Unfallauto ihm gehört?


Der Kommunikations-Dschungel

Obwohl der FDP-Sprecher am Sonntag gegenüber 20 Minuten angab, dass Philipp Müller sich nicht äussern werde, tat es Müller. Auffällig ist jedoch, dass er immer nur dann kommuniziert, wenn weitere Informationen oder Aussagen zu dem Fall bekannt werden. Dieses widersprüchliche Verhalten haben auch Kommunikationsexperten registriert. «Philipp Müller fiel mir schon vorher bei einer Präsentation in Schaffhausen auf; er spricht schneller, als er denkt», sagt Marcus Knill. «In diesem Fall zeigt sich: Je mehr Informationen Müller heraus gibt, desto widersprüchlicher werden seine Aussagen und er verheddert sich.»
Er wisse nicht, ob Müller schlecht beraten sei oder gar keine Beratung in Anspruch genommen habe. Doch: «Eine Krise bewältigen, will heissen, auch die Chancen zu nutzen», so Knill. «Herr Müller hätte überlegen müssen, wie und was er kommunizieren will. Denn in einer Krisensituation sind widersprüchliche Aussagen Gift.» Transparent kommunizieren heisse, eindeutige Aussagen zu machen.
Laut Knill besteht immer mehr die Gefahr, dass die verschiedenen Neuigkeiten zum Unfall sowohl Müllers Person als auch der Partei doch noch schaden könnten: «Das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit sinken mit jedem neuen Widerspruch.»
Ich verweise auf eine frühere Analyse:

2013 - Philipp Müller

www.philipp-mueller.ch/publikationen-2013
Unser Kommunikationsexperte Marcus Knill hat die rhetorischen Fähigkeiten von Philipp Müller untersucht. April 2013, Magazin „persönlich“ der Schweizer ...

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