Die Grenzen der Schablonensätze
(aus NEON)
Schnell jedoch saß ich über einer Liste mit »279 Verbalattacken« und
lernte sie auswendig. Kollege: »Sie blöken wie ein Hammel!« Ich: »Wie
definieren Sie Hammel?« Vorgesetzter: »Was Sie da sagen, versteht kein
Mensch!« Ich: »Alle anderen haben es verstanden!« Besucher: »Sie haben
aber ein enges Büro!« Ich: »Wie haben Sie eigentlich Ihre Wohnung
gefunden?« Firmenfiesling: »Schlägst du deine Kinder?« Ich: »Ja, genau
das tue ich!« Tischnachbar: »Mein Gott, siehst du fertig aus!« Ich: »Du
bist eben mein Vorbild!« Pauschalvorwürfe. Versteckter Gegenangriff.
Feststellungsfrage. Aushebeln.
Stopp! Es wurde Zeit, derlei praxisnahe Strategien zu testen. Vor lauter
Verbalschattenboxen hatte ich diesen Text vernachlässigt. Der Chef
stand plötzlich an meinem Schreibtisch.
»Patrick, wo bleibt der Artikel?«
Ein Angriff, definitiv. Witz! Schnell!
»Nun, Gründlichkeit braucht ihre Zeit!«
»Bitte was?«
Ein hartnäckiger Fall. Voll zu sich stehen!
»Das habe ich genauso gemeint!«
»Patrick, alles in Ordnung?«
Er wird persönlich! Erst mal Zeit gewinnen.
»Wie genau definierst du ›in Ordnung‹?«
»Ähm, irgendwie bist du komisch heute.«
Ha! Er ist in die Falle getappt. Jetzt ein Konter aus der Rubrik »Unerwartetes Zustimmen«!
»Du hast vollkommen Recht.«
Den restlichen Verlauf des Gesprächs verschweige ich. Der
Kommunikationsberater Marcus Knill sagt: »Im Beruf belasten sich viele
mit antrainierten Schablonensätzen.« Und vielleicht ist es ja auch ein
antiquiertes Bürobild: die Idee von verbissenen Egokämpfern, von fiesen
Fallen überall. Fest steht: Ich habe hier das letzte Wort. Ich sage:
Einfach mal die Klappe halten!
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