Der IS bedroht die antike Ruinenstadt Palmyra. Die Zerstörung von Kulturgütern hat eine lange Tradition – in allen Kulturen.
Von
Die Vandalen haben es nicht verdient, für den Begriff der sinnlosen
Zerstörung herhalten zu müssen. Ihre Plünderung Roms 455 soll, glaubt
man den Historikern, auf geordnete Weise geschehen sein: Abtransport
wertvoller Güter, Verschonung der Einwohner, keine Verwüstungen, eben
kein Vandalismus.
Dieser ist indes, auch wenn er unter falscher Flagge segelt, ein steter Begleiter der Weltgeschichte. Ägyptische Pharaonen tilgten Namen und Bauten unliebsamer Vorgänger, Calvinisten und Zwinglianer verbrannten Heiligenbilder, die französischen Jakobiner schlugen den Königsstatuen von Notre-Dame erst die Kronen von den Häuptern, dann die Häupter selber ab, schliesslich häuften sie die Statuen hinter dem Chor auf und nutzten sie als öffentliche Latrine.
Mit Bagger und Presslufthammer
Die Bolschewiken plünderten Kirchen und Klöster, die Nazis warfen die Bücher ihrer Feinde ins Feuer, Maos rote Garden attackierten und schleiften unzählige historische Bauwerke, darunter den kaiserlichen Sommerpalast in Peking (den aber schon 1900 die «zivilisierten» Engländer niedergebrannt hatten, als Rache für den Boxeraufstand).
In jüngster Zeit erschrecken radikale Islamisten die kulturell sensibilisierte Welt: Taliban sprengten die Buddha-Statuen von Bamian in die Luft, al-Qaida-Terroristen zerstörten Mausoleen und Schriftrollen in Mali, IS-Trupps gehen im Irak und in Syrien mit Bagger und Presslufthammer gegen antike Statuen und Tempel vor und stellen ihre Aktionen grinsend ins Internet. Jetzt steht der sogenannte «Islamische Staat» vor Palmyra, einem der architektonisch-archäologischen Juwelen Syriens, in der Spätantike eine blühende Oasenstadt, Handelsstation zwischen Orient und Mittelmeer, Wohnstätte der Anhänger aller möglichen Götter.
Die letzte Demütigung
Vordergründig liegt hier das Motiv der drohenden Zerstörung: In Palmyra wurden die falschen Götter angebetet, und neben dem einen und einzigen Allah sind alle falsch. Fanatischen Islamisten ist alles unerträglich, was nicht in ihr borniert-puristisches Weltbild, in die ideologisch strengste Auslegung ihrer Lehre passt.
Anderswo in der Welt hat sich ein historisch-kultureller Relativismus durchgesetzt, der es erlaubt, in Zeugnissen anderer Religionen, früherer Zivilisationen nicht nur Leistung und Schönheit zu sehen, sondern überhaupt alles anzuerkennen, was einmal war und lange Zeiten überdauernde Zeugnisse hervorgebracht hat (mit kleinen Ausnahmen: Leninstatuen wollte in Osteuropa nach 1989 nun wirklich niemand mehr sehen).
Staunend stehen wir in den Museen und bewundern Statuen und Reliefs aus politisch inkorrekten Kulturen, die Frauen unterdrückten, Sklaven hielten und Kriegsgefangene den Löwen zum Frass vorwarfen. Mehr noch: Wir haben ein globales und epochenübergreifendes Kulturverständnis entwickelt, wonach auch assyrische und babylonische Relikte als gesamtmenschliches Erbe gelten – als Kulturgegenstände, ganz gleich, was ihre ursprüngliche Funktion gewesen ist. Auch Ninive ist «unser», und mit seiner Zerstörung verlieren auch wir etwas.
Zynisches Kalkül
Die Aggressivität des IS gegen vorislamische Stätten hat aber noch einen anderen, ungleich stärkeren Beweggrund. Und wie wirksam er ist, zeigt sich gerade in der Empörung, die jedes Video einer gesprengten Kuppel, eines zersägten Reliefs auslöst, einer Empörung, nicht geringer als die Sorge um entführte, gequälte, ermordete Menschen. Ja, man kann schon fragen, was alte Steine zählen gegenüber den in den Hunger- und Kältetod getriebenen Jesiden.
Für das zynische Kalkül des IS liegt aber beides auf genau derselben Ebene. Es führt die Hilflosigkeit der nur scheinbar allmächtigen westlichen Welt vor. Früher zerstörte man Götterbilder, um dem unterlegenen Feind klarzumachen: Dein Gott hilft Dir nicht, er ist kaputt.
In vielen Kriegen wurde und wird Vergewaltigung als Waffe eingesetzt, um dem, den man besiegt hatte, die ultimative Demütigung zuzufügen. Eine über alles materielle, körperliche hinausreichende Demütigung: Die Schändung der Liebsten hilflos hinnehmen zu müssen. Was der IS mit der Kulturzerstörung tut, ist gewissermassen die geistige Vergewaltigung der freien Welt. Seht her, das können wir, und ihr könnt nichts dagegen tun, sagen diese Akte. Wir treffen Euch ins Herz. Es zuckt kein Blitz vom Himmel, der uns Einhalt gebietet, und auch keine amerikanische Rakete.
Palmyra I, Palmyra II
Solange der IS nicht besiegt ist, sein Herrschaftsgebiet nicht befriedet, bleibt nur die Aussicht, das Zerstörte einmal originalgetreu wieder aufzubauen. Zu dieser Variante des Kulturrelativismus sind wir inzwischen ja auch in der Lage. In Südfrankreich hat man die prähistorischen Höhlen von Lascaux und Chauvet nachgebaut – nicht nachdem sie zerstört wurden, sondern vorher: damit die kostbaren, hochempfindlichen Originalräume unbehelligt von Besuchern bleiben. Bevor Palmyra II gebaut werden muss, sollte freilich alles getan werden, um Palmyra I vor dem Schlimmsten zu bewahren. Nicht zuletzt die Menschen, die dort schliesslich auch leben.
(Tages-Anzeiger)
KOMMENTAR:
Dieser ist indes, auch wenn er unter falscher Flagge segelt, ein steter Begleiter der Weltgeschichte. Ägyptische Pharaonen tilgten Namen und Bauten unliebsamer Vorgänger, Calvinisten und Zwinglianer verbrannten Heiligenbilder, die französischen Jakobiner schlugen den Königsstatuen von Notre-Dame erst die Kronen von den Häuptern, dann die Häupter selber ab, schliesslich häuften sie die Statuen hinter dem Chor auf und nutzten sie als öffentliche Latrine.
Mit Bagger und Presslufthammer
Die Bolschewiken plünderten Kirchen und Klöster, die Nazis warfen die Bücher ihrer Feinde ins Feuer, Maos rote Garden attackierten und schleiften unzählige historische Bauwerke, darunter den kaiserlichen Sommerpalast in Peking (den aber schon 1900 die «zivilisierten» Engländer niedergebrannt hatten, als Rache für den Boxeraufstand).
In jüngster Zeit erschrecken radikale Islamisten die kulturell sensibilisierte Welt: Taliban sprengten die Buddha-Statuen von Bamian in die Luft, al-Qaida-Terroristen zerstörten Mausoleen und Schriftrollen in Mali, IS-Trupps gehen im Irak und in Syrien mit Bagger und Presslufthammer gegen antike Statuen und Tempel vor und stellen ihre Aktionen grinsend ins Internet. Jetzt steht der sogenannte «Islamische Staat» vor Palmyra, einem der architektonisch-archäologischen Juwelen Syriens, in der Spätantike eine blühende Oasenstadt, Handelsstation zwischen Orient und Mittelmeer, Wohnstätte der Anhänger aller möglichen Götter.
Die letzte Demütigung
Vordergründig liegt hier das Motiv der drohenden Zerstörung: In Palmyra wurden die falschen Götter angebetet, und neben dem einen und einzigen Allah sind alle falsch. Fanatischen Islamisten ist alles unerträglich, was nicht in ihr borniert-puristisches Weltbild, in die ideologisch strengste Auslegung ihrer Lehre passt.
Anderswo in der Welt hat sich ein historisch-kultureller Relativismus durchgesetzt, der es erlaubt, in Zeugnissen anderer Religionen, früherer Zivilisationen nicht nur Leistung und Schönheit zu sehen, sondern überhaupt alles anzuerkennen, was einmal war und lange Zeiten überdauernde Zeugnisse hervorgebracht hat (mit kleinen Ausnahmen: Leninstatuen wollte in Osteuropa nach 1989 nun wirklich niemand mehr sehen).
Staunend stehen wir in den Museen und bewundern Statuen und Reliefs aus politisch inkorrekten Kulturen, die Frauen unterdrückten, Sklaven hielten und Kriegsgefangene den Löwen zum Frass vorwarfen. Mehr noch: Wir haben ein globales und epochenübergreifendes Kulturverständnis entwickelt, wonach auch assyrische und babylonische Relikte als gesamtmenschliches Erbe gelten – als Kulturgegenstände, ganz gleich, was ihre ursprüngliche Funktion gewesen ist. Auch Ninive ist «unser», und mit seiner Zerstörung verlieren auch wir etwas.
Zynisches Kalkül
Die Aggressivität des IS gegen vorislamische Stätten hat aber noch einen anderen, ungleich stärkeren Beweggrund. Und wie wirksam er ist, zeigt sich gerade in der Empörung, die jedes Video einer gesprengten Kuppel, eines zersägten Reliefs auslöst, einer Empörung, nicht geringer als die Sorge um entführte, gequälte, ermordete Menschen. Ja, man kann schon fragen, was alte Steine zählen gegenüber den in den Hunger- und Kältetod getriebenen Jesiden.
Für das zynische Kalkül des IS liegt aber beides auf genau derselben Ebene. Es führt die Hilflosigkeit der nur scheinbar allmächtigen westlichen Welt vor. Früher zerstörte man Götterbilder, um dem unterlegenen Feind klarzumachen: Dein Gott hilft Dir nicht, er ist kaputt.
In vielen Kriegen wurde und wird Vergewaltigung als Waffe eingesetzt, um dem, den man besiegt hatte, die ultimative Demütigung zuzufügen. Eine über alles materielle, körperliche hinausreichende Demütigung: Die Schändung der Liebsten hilflos hinnehmen zu müssen. Was der IS mit der Kulturzerstörung tut, ist gewissermassen die geistige Vergewaltigung der freien Welt. Seht her, das können wir, und ihr könnt nichts dagegen tun, sagen diese Akte. Wir treffen Euch ins Herz. Es zuckt kein Blitz vom Himmel, der uns Einhalt gebietet, und auch keine amerikanische Rakete.
Palmyra I, Palmyra II
Solange der IS nicht besiegt ist, sein Herrschaftsgebiet nicht befriedet, bleibt nur die Aussicht, das Zerstörte einmal originalgetreu wieder aufzubauen. Zu dieser Variante des Kulturrelativismus sind wir inzwischen ja auch in der Lage. In Südfrankreich hat man die prähistorischen Höhlen von Lascaux und Chauvet nachgebaut – nicht nachdem sie zerstört wurden, sondern vorher: damit die kostbaren, hochempfindlichen Originalräume unbehelligt von Besuchern bleiben. Bevor Palmyra II gebaut werden muss, sollte freilich alles getan werden, um Palmyra I vor dem Schlimmsten zu bewahren. Nicht zuletzt die Menschen, die dort schliesslich auch leben.
(Tages-Anzeiger)
KOMMENTAR:
Unglaublich, dass die westliche Welt tatlos zusehen muss, wie ein Kulturerbe unbehelligt vernichtet wird. Es fehlt gleichsam eine Weltpolizei, welche diese sinnlose Zerstörung stoppen könnte.
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