Dominiert der Empörungs- Journalismus?
Rufschädigungen durch Medien sind immer wieder ein Thema. Journalisten wird vorgeworfen, dass sie Kampagnen pflegen, obschon die Fakten noch nicht auf dem Tisch liegen. Wenngleich angebliche Täter nachher freigesprochen werden, ist ihr Image geschädigt.
Im Club (SRF) ging es vor allem um die Rolle der Medien. Die Sendung macht bewusst, dass es nachträglich schwierig ist den beschädigten Ruf zu korrigieren.
Der letzte «Club» widmete sich dem Thema Rufschädigung. Ein aktuelles
Thema. Es braucht im Zeitalter der Empörung nicht viel. Ein Fehltritt,
ein Verdacht oder eine ungeschickte Äusserung genügt. Und schon befindet
man sich im sogenannten Shitstorm (ein schreckliches Wort) oder ist
Gegenstand einer Kampagne. Da machts keinen Unterschied, ob man
gesetzeskonform handelte oder von einem Gericht freigesprochen wurde.
Der Ruf ist schnell ruiniert.
Drei prominente Opfer
schilderten ihre Erfahrungen: Jörg Kachelmann, Sandra Gasser und
Hansueli Gürber. Als Vertreter der Medien diskutierten der
«Weltwoche»-Journalist Alex Baur und der PR-Berater und Ex-«Blick»-Chef
Sacha Wigdorovits. Drei Fragen stellte Thomy Scherrer ins Zentrum der
Diskussion: Wie erlebt ein betroffener Mensch eine Kampagne? Welche
Rolle spielen Medien? Und kann man später wieder zu Ehre und Würde
zurückfinden?
Dampf ablassen
Zur
ersten Frage: Alle drei Personen berichteten eindrücklich von ihren
Erlebnissen. Sie berichteten von Albträumen, dieser Enge, vom Gefühl der
Ungerechtigkeit, Morddrohungen und Verfolgungswahn. Und alle drei
hatten ihre eigenen Strategien, damit fertig zu werden. Kachelmann
weigerte sich, die Berichterstattung über ihn zu verfolgen. Er schaute
während seiner Zeit im Gefängnis offenbar nur den Musiksender MTV.
Hansueli Gürber, der ehemalige Jugendanwalt, Opfer der medialen
Hetzkampagne im Fall Carlos, stellte sich den anonymen Reaktionen. Und
die ehemalige Leichtathletin Sandra Gasser erzählte, wie sie viel Sport
trieb, um Dampf abzulassen. Allen gemeinsam war das Bedürfnis, die
Wahrheit zu verkünden. Das war die Stärke des Clubs. Die Schilderung
dieser Erfahrungen war eindrücklich. Ein Warnsignal an alle Zuschauer,
die in Onlinekommentaren oder auf Facebook Kommentare hinterlassen. Denn
das Schlimmste für alle Beteiligten ist die Verbreitung und
Konstruktion einer falschen «Wahrheit».
Welche Rolle
spielen die Medien?
Hier, um es gleich vorwegzunehmen, war die grosse
Schwäche des gestrigen Clubs. Der Moderator und die
Diskussionsteilnehmer haben über weite Strecken ein zu einseitiges Bild
gemalt. Die meisten Medien würden heute nur noch Empörung bedienen. Es
würde nicht mehr nachgefragt, ausgewogen berichtet. Am deutlichsten
äusserte sich Kachelmann und holte zur grossen Kritik aus. Die Medien
seien die «Vorhut der Sharia in irgendeiner Form». Er wetterte gegen
Onlinejournalisten (sehr einseitig). Früher hätte man davon ausgehen
können, dass Journalisten gut ausgebildet seien. Für ihn sind die
Onlinejournalisten «strunzdumm». «Wenn man dumm ist, kann man keine gute
Arbeit machen», meint Kachelmann. Die Kritik richtete sich in erster
Linie gegen «Blick online».
Mit Journalismus nichts zu tun
Auch
Gürber ging mit dem «Blick» hart ins Gericht. Er fand es stossend, dass
die Zeitung noch einen Tag nach Ausstrahlung des «Reporter»-Films
überlegen musste, ob man die Story nun bringe oder nicht. Mit
Journalismus habe die Berichterstattung nichts zu tun gehabt. Es sei
zudem eine reine Diffamierungskampagne gewesen, auch weil man ihn immer
wieder mit seiner Schlange abgebildet habe.
Sacha
Wigdorovits, Kommunikationsberater und ehemaliger «Blick»-Chefredaktor,
war grösstenteils auf der Seite der Opfer. Bei den Medien gelte heute
nicht die Unschuldsvermutung, sondern die Schuldvermutung. Wer in die
Kritik gerät, müsse in erster Linie seine Unschuld beweisen, was nicht
den Vorstellungen des Rechtsstaates entspreche. Wigdorovits sprach
ebenfalls abfällig von Onlinejournalisten, die er als «Kindersoldaten»
bezeichnete. Sie schrieben, was sie hörten, und schauten nicht, obs
stimme. Eine Aussage, die unwidersprochen blieb. Die aber einer seriösen
Prüfung nicht standhalten würde. Wigdorovits sah die Entwicklung in den
einzelnen Fällen differenzierter als die anderen Gäste. Im Fall
Kachelmann seien nicht nur die Medien schuld, sondern auch die Justiz.
Es habe eine Politisierung der Justiz stattgefunden. Und im Fall Gürber
sei der eigentliche Skandal der Regierungsrat gewesen, der in der
kritischen Phase nicht hinter Gürber stand.
Debatte anzetteln
Und
was sagte «Weltwoche»-Journalist Alex Baur? War er wenigstens der
Gegenpol zu den anderen Gästen? Leider nur bedingt. Von ihm hätte man
gewünscht, dass er die Sicht der Medien viel energischer verteidigt. Er
nahm die Medien insofern in Schutz, als dass sie nicht die ultimative
Wahrheit verbreiten müssten, sondern eine Debatte führen sollten. Er
rechtfertigte sich, dass er in seinen Berichten oft bewusst einseitig
berichte, um eine Debatte zu lancieren. Der entscheidende Punkt sei: Es
muss eine Gegenmeinung geben. Und er gab zu bedenken, ein wichtiger
Punkt übrigens, dass Kampagnen auch helfen könnten. Im Fall Kachelmann
habe die öffentliche Debatte die Gerichtsverhandlung zugunsten von
Kachelmann beeinflusst. Im Fall Gasser verbesserten sich später die
Dopingkontrollen.
Zur letzten Frage: Wie kann man den
Ruf wiederherstellen? Hier war die Diskussion wenig erhellend. Einig war
man sich, dass man sich unbedingt wehren soll, indem man rechtliche
Schritte einleitet. Und sonst? «Grind abe» und liegen bleiben. Dass die
Kommunikationsoffensive zu Beginn einer Kampagne nicht gut ist,
schilderte Gasser. Sie hatte zu jedem Bericht zugesagt. Empfand die
Berichterstattung aber nachträglich als nicht neutral.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
KOMMENTAR: Auch ich teile die Meinung des Tagi, dass der Club die Sicht der Medien zu wenig herausgeschält hatte. Es wäre auch hilfreich gewesen, mehr zu erfahren, was ein Betroffener tun kann, wenn er durch eine Kampagne Opfer wird. Es fehlte mir eine echte Diskussion, die sich leider erst nachher im Twitter so richtig entfaltete. Das lag an der einseitigen Auswahl der Teilnehmer.
Ein gravierender Fehler muss dem Fernsehen angelastet werden: Sacha Wigdorovits durfte den neutralen Experten spielen. Den Zuschauern wurde nicht gesagt, dass er der wichtigste parteiische Drahtzieher in der Nackfoto-Affaire für den grünen Politiker Geri Müller PR Arbeit ist. Das dürfte nicht einfach so passieren - auch bei einer Live Diskussion ohne Netz und doppeltem Boden. Ich vermisse die Entschuldigung der verantwortlichen Stelle.
Uebrigens:
In die Schlagzeilen geriet Wigdorovits bereits im November 2009, als er
Berater von Nachtclub-Besitzer und Millionärssohn Carl Hirschmann wurde.
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