Freitag, 4. Juli 2014

Kommt eine Flüchlingslawine auf die Schweiz zu?

Asylgesuche



Flüchtlings-Ansturm auf die Schweiz erwartet

Aus Krisengebieten erreichen immer mehr Flüchtlinge Europa. Der Direktor des Bundesamtes für Migration rechnet auch mit einem Ansturm auf die Schweiz.

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Quelle: 20 Min:

Am Montag entdeckte die italienische Küstenwache ein Flüchtlingsboot mit 600 Menschen und 30 Leichen. «So dramatisch wie die Lage vor den Toren Europas zurzeit ist, war es wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr», sagt der Direktor des Bundesamts für Migration (BFM), Mario Gattiker. (Bild: Keystone/AP)




Über 35'000 Flüchtlinge erreichten alleine in den vergangenen zwei Monaten Italien. Am Montag entdeckte die italienische Küstenwache ein Flüchtlingsboot mit 600 Menschen und 30 Leichen. «So dramatisch wie die Lage vor den Toren Europas zurzeit ist, war es wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr», sagt der Direktor des Bundesamts für Migration (BFM), Mario Gattiker, im Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Fünf bis zehn Prozent der Flüchtlinge, die Italien erreichen, würden erfahrungsgemäss später in die Schweiz kommen: «Wir erwarten deshalb in der zweiten Jahreshälfte klar einen Anstieg der Asylgesuche, die im Moment auf tiefem Niveau sind», so Gattiker. Weil vor allem Flüchtlinge aus Krisengebieten kämen, sei damit zu rechnen, dass die Menschen eine Weile hier blieben. Denn nicht nur in Syrien, auch in Mali, in der Elfenbeinküste, im Südsudan, in der Ukraine oder im Irak seien Menschen auf der Flucht. Deshalb müsse sich die Schweiz auf einen Anstieg der Asylgesuche einstellen.

Mehr Unterkünfte für Flüchtlinge – auch bei Privaten

Laut Gattiker steht das Bundesamt für Migration in engem Kontakt mit den Kantonen, um weitere Unterkünfte für die Flüchtlinge bereitzustellen. Welche Orte dafür infrage kommen, konnte der BFM-Direktor nicht sagen. Er hofft auf Verständnis der Schweizer Bevölkerung: «Die Schweizerinnen und Schweizer haben sich immer solidarisch gezeigt, wenn Menschen in Not waren.»
Auch die Flüchtlinge bei Privaten unterzubringen, wie es die Flüchtlingshilfe möchte, wäre für Gattiker eine Option. Eine solche Lösung brauche jedoch Zeit: «Obwohl viele Leute Flüchtlinge aufnehmen möchten, konnte noch keine einzige Person platziert werden.»

Strengere Kontrollen wegen Schlepperbanden

Mit dem Flüchtlingsstrom dürften auch Schlepperbanden in der Schweiz aktiv werden. Das Grenzwachtkorps habe deshalb die Einsatzkräfte aufgestockt. «Ziel ist es, möglichst viele Schlepper vor Gericht zu stellen und zu bestrafen», erklärt Gattiker.
Flüchtlinge, deren Schlepper auffliegt, würden in den normalen Asylprozess kommen. Wenn sich dabei beispielsweise herausstelle, dass sie bereits in Italien registriert wurden, würden diese im Rahmen des Dublin-Abkommens zurückgeführt. Grundsätzlich gehe man davon aus, dass die Rückführung nach Italien zumutbar sei. Ausnahmen, beispielsweise aus medizinischen Gründen, seien möglich.
KOMMENTAR: Es wundert die Bevölkerung, dass die Schlepper nicht nachhaltig gebremst werden können. Sie werden meist wieder frei gelassen und können sich erneut dem Menschenhandel widmen.

Recht auf Gegenlesen?

Pressesprecher versuchen oft, Aussagen beim Gegenlesen zu manipulieren

Journalisten müssen sich nicht alles gefallen lassen.

Ich zitiere NZZ:


Gegenlesen

Wenn die Medien- zur Zensurstelle wird

Giovanni Trapattoni: Pressekonferenz vom 10. März 1998.
Giovanni Trapattoni: Pressekonferenz vom 10. März 1998. (Bild: Fred Joch / IMAGO)

Europa hat gewählt. In Deutschland gelingt ein Sensatiönchen. Die Welt und auch die EU wird es kaum bewegen, aber interessant ist es schon: Die Tierschutzpartei zieht ins EU-Parlament ein. Der Bundesvorsitzende Stefan Bernhard Eck hat immerhin 366 303 Stimmen geholt. Nun will er in der hohen Politik für die geschundene Kreatur kämpfen.

Zensur und Selbstzensur

Wie er das genau machen will, interessiert das Magazin «Der Spiegel». Was läge näher, als mit dem frischgebackenen Europaabgeordneten ein Interview zu führen? Dieser müsste sich über die Anfrage herzlich freuen, denn auf der Website der Tierschutzpartei heisst es: «Wir würden es sehr begrüssen, wenn die Presse zukünftig auch unsere Meinung zu bestimmten Themen mehr beachten würde.» Und: «Presse-Arbeit ist bei uns noch ‹Chefsache›.»
Der Journalist ruft also bei Eck an. Der Befragte antwortet auf alle Fragen. Sie nehmen alle Bezug auf seine Wahlkampagne: wie er den «Mord an Strassenhunden in Rumänien» bekämpfen wolle, ob er den Fleischkonsum und die Jagd verbieten wolle, woher er seine Kompetenz für Verteidigungspolitik nehme. Wie beim «Spiegel» – und im gesamten deutschsprachigen Raum – üblich, legt der Journalist dem Interviewten das transkribierte Interview zur Autorisierung vor. Das Resultat gemäss «Spiegel»: Eck streicht alle Antworten ersatzlos und wünscht einige Fragen selbst zu formulieren. Der «Spiegel» geht nicht drauf ein. Dafür druckt er das Interview ohne die Antworten ab, aber mit einer Erklärung, wie es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Ein kommunikatives Desaster für die Partei.
Ob ein Kommunikationsberater Eck zu diesem Vorgehen geraten hat? Vermutlich nicht, ist die Kommunikation bei ihm doch «Chefsache». Klar ist indes: Auch mit Kommunikationsprofis kann die Medienarbeit gründlich in die Hosen gehen. Der «Zürcher Oberländer» referiert am 11. Juni 2013 einen hübschen Fall: Ein harmloses Porträt über einen Berater der regionalen Arbeitsvermittlung wird von der Medienstelle des kantonalen Amts für Wirtschaft und Arbeit beim «Gegenlesen» komplett zu einem PR-Artikel umgeschrieben. Der ursprüngliche Artikel, lässt eine zornige Sprecherin gemäss der Zeitung ausrichten, werde nicht autorisiert und dürfe nicht erscheinen.
Die Redaktion reagiert auf diesen Zensurversuch so, wie es Peter Studer, ehemals Präsident des Presserats, für solche Fälle empfiehlt: Sie zeigt Haltung. Der PR-Text erscheint nicht, dafür ein Artikel darüber, warum die Leser der Zeitung nun nichts erfahren über den Beruf des RAV-Beraters, und darüber, wie die involvierte Medienstelle mit der Pressefreiheit umgeht.
Die Liste solcher Eingriffe in journalistische Texte durch Kommunikationsfachleute liesse sich fast endlos fortsetzen. Auch dieses Blatt bleibt nicht verschont. Als es vor einiger Zeit ein Interview mit dem Schweizer Rüstungschef führte, wollten die Departementssprecher den Text nachträglich um vier Fünftel kürzen, was die Redaktion natürlich nicht akzeptierte.

Kein Rechtsanspruch

Dass sich Zensurversuche verbreitet eingeschlichen haben, ist einerseits der expandierenden Kommunikationsbranche geschuldet. So meinte einst selbst Moritz Leuenberger – als er schon kein Bundesrat mehr war: «Es gibt Propaganda-Stäbe in einzelnen Departementen, welche die Medien beeinflussen, auch mit Unwahrheiten.» Aber auch die Journalisten hätten schuld an der Misere, lässt sich Medienanwalt Matthias Schwaibold im Unternehmensmagazin von Ringier zitieren. Zu oft würden sie den Pressesprechern die Hoheit über ihre Texte überlassen. Dabei gibt es laut Schwaibold gar keinen Rechtsanspruch aufs Gegenlesen. Und Bundesgerichtsentscheide zu dieser Frage gibt es auch keine. Bis es einmal so weit ist, hilft dem Praktiker wohl nur eines: Haltung – egal, ob Sprecher oder Journalist.