Die Wirkung von Bildern kennen
Bildkompetenz erwerben heisst, mit Bildern umgehen
können.
von Marcus Knill
Vor Jahren wollte ein Pfarrer von mir als Berater
wissen, was er tun könne, um die Bankreihen in der Kirche mit seinen Predigten wieder
zu füllen. Er bat mich, seinen Gottesdienst zu besuchen. Ich stellte dabei
fest: Die Predigt war viel zu abstrakt. Es fehlten konkrete Geschichten und Worte,
die Bilder auslösen. Ich verwies ihn auf die Bibel, deren Gleichnisse allgemeingültige
Aussagen veranschaulichen.
Im Gespräch zeigte sich, dass der Theologe ein
gestörtes Verhältnis zur bildhaften Sprache hatte. Er wollte sich von der
Freikirche abheben, weil deren Prediger die narrativen (erzählenden) Elemente nutzen.
Der Zugang zur Bildrhetorik wirkte sich bei besagtem
Seelsorger dann aber rasch positiv aus. Die Bänke füllten sich und auch seine
Kolumnen in den Medien fanden regen Zuspruch.
Mit den Ohren sehen
In meiner Beratertätigkeit empfehle ich Managern, von
den Kindergärtnerinnen zu lernen, das heisst das Element des Erzählens neu zu
erwerben (Link: Spiel mit Beispielen).
Heute wird für Präsentationen das neudeutsche «Storrytelling»
empfohlen. Alle Menschen schätzen das bildhafte Erzählen einer «Geschichte»
oder eines Sachverhaltes, bei dem alle Sinne angesprochen sind und die Zuhörer
die Worte gleichsam mit den Ohren sehen. Powerpointfolien erübrigen sich dann (Link:
Sinnvoll kommunizieren).
Schriftsteller als Beispiel
Gute
Schriftsteller schreiben so, dass Leserinnen und Leser die Bilder vor dem
inneren Auge sehen. So hat Martin Suter
dank seines filmischen Erzählstiles
grossen Erfolg.
In der Rhetorik angewendet, wird dieser filmische
Erzählstil von den Zuhörern geschätzt. Er ist nicht langweilig, weckt die
Aufmerksamkeit und ermöglicht Präsentationen ohne aufwendige zusätzliche
Visualisierungen.
Wer
so schreibt oder so redet, dass man das Gesagte mit den äusseren Sinnen
wahrnehmen kann, nutzt folgende Vorteile:
- Wir können uns die Worte vorstellen.
- Das Konkrete kann nachvollzogen werden (mit
den Augen, den Ohren, der Nase, den Händen, der Zunge aber auch mit den inneren
Empfindungen).
-
Dies weckt nicht nur die Aufmerksamkeit. Der Text oder die Aussage ist
spannender und unterhaltender als trockene, sachliche Formulierungen.
Alle
Sinne ansprechen
In
der Allgemeinen Frankfurter Zeitung las ich eine Beschreibung von Annette Mingels, die gut
veranschaulicht, wie packend eine Schilderung sein kann, wenn alle Sinne
angesprochen werden. Ihre Beobachtungen in Zürich sind hervorragend beschrieben.
Lesen Sie vorerst nur einmal ein paar Sätze. Es werden verschiedene Sinne
angesprochen.
- Die
Brioches sind warm und süss (Hände, Zunge).
- Ein
rothaariges Mädchen wird von seinem Vater fotografiert (Augen).
- Das
blaue Tram fährt bimmelnd durch die Strassen (Ohren).
- Ein
Schiff – lang und schmal wie ein Aal (Vergleich).
Wer
sich mit angewandter Rhetorik beschäftigt, erkennt bald: Worte müssen Bilder
auslösen. Die Lehrpersonen müssten den Jugendlichen schon früh beibringen, ihre
Texte so zu gestalten, dass sich Leserinnen oder Zuhörer ein Bild machen und
das Erlebte mit möglichst allen Sinnen nachvollziehen können.
Ich kenne einen Kantonsschullehrer, der Aufsätze während einiger Monate nicht mehr nach der Rechtschreibung oder der Logik korrigierte. Er setzte am Rand lediglich Piktogramme wie Nase, Auge, Ohr, Hand oder Zunge, wenn etwas so formuliert war, dass die Sinne oder die Gefühle angesprochen wurden. Wenn nun eine Arbeit nicht mit solchen Sinn-Symbolen versehen werden konnte, gab es Notenabzug. Erstaunlicherweise lernten die Schülerinnen und Schüler auf diese Weise recht schnell, konkret zu formulieren, so dass die Leserinnen und Leser die Beschreibung nachempfinden konnten.
Ich kenne einen Kantonsschullehrer, der Aufsätze während einiger Monate nicht mehr nach der Rechtschreibung oder der Logik korrigierte. Er setzte am Rand lediglich Piktogramme wie Nase, Auge, Ohr, Hand oder Zunge, wenn etwas so formuliert war, dass die Sinne oder die Gefühle angesprochen wurden. Wenn nun eine Arbeit nicht mit solchen Sinn-Symbolen versehen werden konnte, gab es Notenabzug. Erstaunlicherweise lernten die Schülerinnen und Schüler auf diese Weise recht schnell, konkret zu formulieren, so dass die Leserinnen und Leser die Beschreibung nachempfinden konnten.
Bild und Bildung
«Worte haben keine Energie, solange sie nicht Bilder
auslösen. Das Wort an sich bedeutet nichts, rein gar nichts. Etwas was ich immer
im Auge behalte, ist:
Welches sind die Worte, die bei den Menschen Bilder auslösen, denn Menschen folgen dem Gefühl des Bildes.»
Welches sind die Worte, die bei den Menschen Bilder auslösen, denn Menschen folgen dem Gefühl des Bildes.»
Dieser Gedanke von Virginia Satir
(1916-1988, Dozentin für Familientherapie) müsste in der Bildungslandschaft zu
einem Kerngedanken werden: Ohne Bild
keine Bildung und keine Leistungsverbesserung.
Nicht nur die Werbung, die Suggestopädie, das
autogene Training und die Hypnose beeinflussen mit Bildern unser Verhalten. Ausbildung
als «hilfreiche Bilder aus den Köpfen wegbringen» zu verstehen wäre völlig
falsch. Welches Bild für die Bildungslandschaft Schweiz kann heute
weiterhelfen? Für mich ist es das Bild eines Denkzimmers.
Virginia Satirs Erkenntnis, dass Worte nur dann etwas bewirken, wenn
sie Bilder in uns auslösen, bestätigt die Ausbildungsgrundsatzthese: «Rede so,
dass man das, was Du sagst, sieht!»
Wir
ermuntern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Seminare stets, bildhafte
Aussagen zu machen (mit Metaphern, Analogien, Bildern, Beispielen, Geschichten,
Erlebnissen). In diesem Zusammenhang verwenden wir seit Jahren ein Piktogramm,
das diese Erkenntnis sichtbar macht. Es zeigt ein Ohr mit einem Auge mitten
drin.
Das Piktogramm – das übrigens bereits bei mindestens zwei Kommunikationsfirmen als Firmenlogo anzutreffen ist – zeigt, was Wolfram Blocher (Pfarrer von Laufen am Rheinfall von 1933–1958), der Vater von Christoph Blocher, seine Kinder am Esstisch gelehrt hatte: «Redet so, dass man es sieht!»
Das Piktogramm – das übrigens bereits bei mindestens zwei Kommunikationsfirmen als Firmenlogo anzutreffen ist – zeigt, was Wolfram Blocher (Pfarrer von Laufen am Rheinfall von 1933–1958), der Vater von Christoph Blocher, seine Kinder am Esstisch gelehrt hatte: «Redet so, dass man es sieht!»
Lehrkräfte müssen visuelle Kompetenz erwerben
Prof. Dr. Christian Doelker, eremitierter Dozent für
Medienpädagogik, weist immer wieder darauf hin, dass im Anfang das Wort war
(Joh.1.1.). Auch in Aus- und Weiterbildung dominierte lange das Wort. Das Bildungssystem
war vor allem auf Schriftlichkeit
ausgerichtet. Es macht den Anschein, als habe das Verbot «Du sollst Dir kein
Bildnis machen» das Bild in der Bildung gleichsam ausgemerzt.
In der heutigen Zeit – im sogenannten optischen
Zeitalter (Karl Pawek) werden wir von einer Bilderflut bedrängt. Die
Informationsflut (Link: Informationsschwemme) ist das Zeitproblem Nummer eins. Bilder
können aber auch helfen, mit der Informationsfülle besser umzugehen. «Ein Bild
sagt mehr als 1000 Worte!»
Doch gilt es, die Kraft des Bildes zu kennen und Bilder
sinnvoll zu nutzen. Bildung verlangt von uns Bildkompetenz – das heisst, wir
müssen Bilder lesen lernen.
Visuelle Kompetenz ist mehr als Lesen und Schreiben. Visual
literacy bedeutet: Die Kulturtechniken Lesen und Schreiben auch auf das Bild-ABC
zu übertragen.
Ergänzende Systeme
Wort und Bild sind keine Gegner, sondern sich ergänzende
Zeichensysteme.
Die besonderen Leistungen des Bildes sind:
- die Konkretheit
- die Räumlichkeit
- die Emotionalität
- die offene Bedeutung
Es muss mit den Spezifitäten des Wortes:
- der Abstraktion
- der Zeitlichkeit
- der Rationalität
- der festen Bedeutung
in der kombinierten Textform (Gesamttext) zusammengeführt
werden.
Die Kraft des Bildes
Ein abstraktes Wort ankert kaum im Gehirn. Wenn das
Wort jedoch mit einem Bild oder mit Emotionen gekoppelt wird, bleibt es im
Langzeitgedächtnis besser haften.
Was leider viele Lehrkräfte nicht wissen: Dank bildhaften
Sprechens können Schülerinnen und Schüler motiviert und beeinflusst werden.
Bilder müssen jedoch mit der Botschaft übereinstimmen. «Der
Zahn der Zeit wird wieder Gras über diese Wunde wachsen lassen» ist zwar
bildhaft, doch nicht stimmig.
Es darf uns nicht gleichgültig sein, welche Bilder Jugendliche konsumieren. Brutalofilme
oder Pornobilder beeinflussen die Einstellung der Jugendlichen negativ.
Die Werbung hat die Beeinflussung durch Bilder längst
erkannt. Lehrkräfte müssen sich der Kraft von Bildern erst noch besser bewusst werden.
Bei meinen Intensivseminaren erhalten die Teilnehmenden am Schluss ein einziges
individuelles LernBILD (Piktogramm, das visualisiert, was uns weiter bringt).
Dies bewirkt mehr als viele Worte
Darf ich davon ausgehen, dass alle Schulen ein
LeitBILD, eine VISON haben und auch Sie als Leserin ihr LernBILD kennen?
Marcus
Knill
ist
Medienpädagoge, Experte für Medienrhetorik (www.knill.com) und Autor
des bekannten virtuellen Buches (www.rhetorik.ch).
Literaturverzeichnis:
- Doelker Christian (1999): Ein Bild ist mehr als ein
Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.
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