Donnerstag, 10. April 2014

"Wir nehmen dies ernst!"

 

Ach, diese Ernstnehmer

Analyse:Wenn Politiker edel klingen wollen, greifen sie mit Vorliebe zu bestimmten Phrasen.

«Wir nehmen das ernst»: Die Zürcher Stadtpraesidentin Corine Mauch bei einer oeffentlichen Podiumsdiskussion im Januar 2014. Foto: Martin Bieri (Keystone)

«Wir nehmen das ernst»: Die Zürcher Stadtpraesidentin Corine Mauch bei einer oeffentlichen Podiumsdiskussion im Januar 2014. Foto: Martin Bieri (Keystone)














Welches ist die beliebteste Phrase von Politikern, Managern, Funktionären? Die vom Ernstnehmen. Eben war bei Tagesanzeiger.ch/Newsnet ein Interview mit Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch zu lesen. Ihr Plan, das Literaturmuseum Strauhof zu schliessen, stösst auf massiven Widerstand. Auf die 7000 Protest-Unterschriften angesprochen, sagte sie: «Wir nehmen das ernst, haben mit Vertretern der Kulturszene gesprochen und sind offen.» Gleichzeitig hielt sie fest: Das Museum wird geschlossen und in ein Schreiblabor umgewandelt, basta!Sammelt man die Artikel, in denen der Verbandschef, die Bundesrätin, der Topbanker etwas «ernst nimmt», kommt man aus dem Lesen nicht mehr heraus; es sind Hunderte. Das eine oder andere Mal ist das Ernstnehmen ernst gemeint. Die kritisierte Person will auf die Kritik reagieren und etwas ändern. Vielleicht gar sich selber.
Könnte es denn überhaupt ein Ernstnehmen des Gegenübers geben, bei dem man sich von dessen Haltung nicht irgendwie infizieren lässt?
Die Mehrheit der Ernstnehmer betreibt allerdings, was der Zürcher Kommunikationsberater Marcus Knill «Quasselrhetorik» nennt. Sie betont ihre Hochachtung für Petitionäre, Initianten, Kritiker – und lässt es dabei bewenden. Knill plädiert deshalb dafür, die Ernstnehmerei aus der Sprache des öffentlichen Lebens zu bannen. Wer andere ernst nehme, brauche dies nicht zu betonen. Und wer es betone, tue es womöglich nicht.
Die, die ernst nehmen, am eigenen Standpunkt aber stur festhalten, wollen vor allem gut klingen. Emotional kompetent. «Ich nehme dich ernst» heisst so viel wie: «Ich finde dich gleichwertig. Ich anerkenne deine Gefühle. Du bist kein Witz.» Die Sozialintelligenz ist löblich. Aber auch wohlfeil, wenn keine Taten folgen.
Mitten in der ersten Strauhof-Empörungswelle sagte Corine Mauch letzten November: «Wenn man in der Kultur etwas verändert, wird das heftig debattiert. Das ist gut so.» Schon an jener Äusserung fiel das populäre Prinzip politischer Rede auf: Man lobt den Gegner dafür, dass er herrlich unbequem ist. Man freut sich demonstrativ über Widerspruch. Aber weil man Form und Inhalt der Auseinandersetzung trennt, muss man die eigene Position nicht überdenken.
(Tages-Anzeiger)

KOMMENTAR:

Bezweifeln Sie Phrasen von Politikern wie:
"Ich nehme Ihre Aussage ernst"

Diese Phrase signalisiert implizit, dass seine Aussage in der Regel  NICHT ernst genommen werden. Oft verrät der Politiker mit so einer Hohlphrase, dass er im Grunde genommen die Sache NICHT ernst nimmt.

Auch die Aussage "Ich finde Ihren Vorschlag gut. Ehrlich!"
hat eine explizite und eine implizite Ebene.
* Explizit d.h. ausdrücklich, wortwörtlich ist die  Aussage eindeutig formuliert: Ehrlich gesagt, ich finde Ihren Vorschlag gut.
*  Implizit oder in der Aussage eingeschlossen - könnte damit auch gemeint sein: Jetzt meine ich es ehrlich, der Vorschlag ist gut. Alles was ich sonst äussere, ist somit nicht  ehrlich gemeint.
Tatsächlich wäre die Zusatzbemerkung (dass es ehrlich gemeint ist) nicht erwähnenswert, falls alle sonstigen Aussagen ebenfalls ehrlich gemeint wären. Auch dieses Beispiel illustriert, dass wir tagtäglich beim Sprechen über den Wahrheitsgehalt von Äusserungen nachdenken müssten. In der Kommunikationsberatung werden in Statements von Politikern Begriffe, wie Wahrheit, Offenheit, Ehrlichkeit unglaubwürdig unterstrichen. Erstaunlicherweise merken Laien, dass solche Hohlformeln nicht ernst gemeint sind.
Thomas Widmer hat im Tagesanzeiger die Phrase der Zürcher Stadtpräsidentin treffend unter die Lupe genommen.

LINKS:

15. März 2010 ... Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift Persönlich (www.persoenlich.com), dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft im ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/10/03_15/

1. Nov. 2010 ... Bei der Eröffnungsfeier des erneuerten Theaters Stadelhofen stellte die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch fest, dass sie das Manuskript ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/10/11_01/

18. Jan. 2011 ... Vor der Wahl wirkte Corine Mauch recht natürlich, sympathisch und wach. Auch ihre Stimme klang für mich sehr angenehm. Leider trat sie ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/11/01_18/
12. Mai 2002 ... "Airbagrhetorik" ist eine defensive Art der Kommunikation. Worthaufen drängen sich zwischen die Gesprächspartner. Diese leeren Worte im ...
www.rhetorik.ch/Airbag/Airbag.html

Reden und nichts Sagen, Reden mit leeren Phrasen und Worthuelsen.
www.rhetorik.ch/Hohl/Hohl.html

Für Leute, die "gescheit" reden wollen, werden hier ein paar Aussagen vorgeschlagen, die intelligent tönen, aber nichts sagen. Siehe auch die Beiträge Reden ...
www.rhetorik.ch/Quasseln/Quasseln.html



hat eine explizite und eine implizite Ebene. Explizit dh. ausdrücklich, wortwörtlich ist die Aussage eindeutig formuliert: Ehrlich gesagt, das Essen ist gut.
www.rhetorik.ch/Wahrheit/Wahrheit2.html

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen