Airbag-rhetorik
Geschickt ausweichen: Wird Angela Merkel in einem Interview mit einem Problem konfrontiert, beispielsweise mit der Finanzierung der Krippenplätze oder dem Widerstand Polens bei einer EU-Frage – Merkels Antwort kommt postwendend und ist bei allen heiklen Sondierfragen anwendbar:
“Wir müssen bei dieser Frage eine gemeinsame Lösung suchen.” Airbag-Formulierungen nutzen alle Politiker, die sich nicht festlegen möchten.
Text: Marcus Knill* Bild: Keystone
“Wir müssen bei dieser Frage eine gemeinsame Lösung suchen!” Diese Antwort sagt nichts Konkretes aus, sie ist lediglich eine allgemeingültige, triviale selbstverständlichkeit. “Airbag-Formulierungen” nutzen alle Politiker, die sich nicht festlegen möchten.
Sie schätzen solche Plausibilitätsformulierungen. Es gibt Leute, die möchten
sogar in Seminaren solche “diplomatischen” Antworten erlernen. Schablonengedanken werden oft angewendet, um sich zu schützen oder nicht festlegen zu müssen. Wie ein Airbag mit nichts als Luft vor einem Aufprall schützen kann, dienen Floskeln, als “warme Luft”, leere Worthülsen, um unangenehme Fragen abzufedern. Es gibt Politiker, die pfl egen ganz gezielt solch vage Quasselantworten. Der Vorteil der Airbag-Rhetorik liegt auf der Hand: Niemand kann die Redner später an den Aussagen messen.
Wenn das Publikum solche Standardphrasen hört, erkennt es meist gar nicht, dass die konkrete Frage ignoriert wurde. Den wenigsten Zuhörern wird bewusst, dass jemand redet und redet – ohne die eigentliche Frage je zu beantworten. Während des G8-Gipfels hörte ich bei Verhandlungen mehrmals diese nichtssagende Antwort:
“Um die Probleme in den Griff zu bekommen, müssen wir eine gemeinsame Lösung finden.” Nach dem EU-Gipfel (Verhandlungen mit Polen) fand Angela Merkel, die Lage sei von aussen gesehen unübersichtlich gewesen und ergänzte dazu:
“Von innen war es zum Teil auch unübersichtlich.”
Wir erfuhren nicht, was wo unübersichtlich war, doch die Medien haben Merkels vage
Antworten unkritisch akzeptiert. Dass mit Druck und Tricks ein EU-Grundvertrag
mit zum Teil unangenehmen Eingeständnissen durchgeboxt werden musste, wurde
verschwiegen. Merkel sagte lediglich am Ende der langen Verhandlungsnacht – sichtlich erschöpft: “Was für uns zählt, ist, dass wir aus dem Stillstand – aus der Erstarrung – herausgekommen sind.”
Oder:
“Man kann nicht alle Probleme lösen. Aber manches haben wir auf die Reihe gebracht. Ich bin unter dem Strich zufrieden. Es gibt in Portugal noch einiges zu
tun.” Worte, wie: “einiges”, “manches”, “zum Teil”, “versucht”, “Probleme in den Griff bekommen”, “Eckpunkte wurden gesetzt” dominierten nach den harten Verhandlungen, obschon alles drunter und drüber gegangen war und die Verhandlungen immer wieder ins Stocken gerieten und ohne dass eine sinnvolle
Lösung gefunden wurde!
Die Liste der unbeantworteten Fragen ist vor allem in den Niederungen der deutschen Innenpolitik verbreitet (Gesundheitsreform, Pfl egeversicherung, Rentenpolitik, Arbeitslose, Familienpolitik).
Angesprochen auf die Vernachlässigung der zahlreichen innenpolitischen Probleme, antwortete Angela Merkel im Fernsehen ebenfalls “nichts”-sagend: “Ja – die Projekte werden wir gemeinsam angehen.” Welches konkrete Projekt? Wann? Bis wann?
Von wem? Wie? Luft – Luft – alles nur Luft!
Nach den versuchten Terroranschlägen in England äusserte sich Angela Merkel über
die äussere und innere Sicherheit in Deutschland mit folgender Plausibilitätsaussage (diese Antwort ist immer gültig und leuchtet sogar ein, weil sie plausibel ist, aber sie sagt nichts Konkretes aus): “Wir müssen in neuen Zusammenhängen denken.”
Die Medien lobten erstaunlicherweise die deutsche Kanzlerin, obwohl oder weil sie es
schaffte, nie konkret zu sagen, was zu tun wäre. Trotz der zahlreichen Worthülsen (oder dank dieser) wird sie von den deutschen Medien geliebt, gelobt und ins Herz geschlossen. Angie, der Superstar!
Der Erfolg – dank Weichspüler und Airbag-Formulierungen – könnte manchen Politiker dazu verleiten, diesem Erfolgsrezept nachzueifern. Ich nahm mir die Zeit, weitere Luftblasen von Politikern oder Wirtschaftführern in der Schweiz aufzuspüren, die jüngst in den Medien zu hören oder zu lesen waren. Damit möchte
ich selbstverständlich nicht den Airbag-Formulierungen das Wort reden, davon rate ich ab.
Weshalb? Wir überzeugen durch konkrete, einfache, verständliche, fassbare, vorstellbare Aussagen. Machen Sie sich deshalb keinesfalls zum Airbag-
Rhetoriker, obwohl Sie dank dieser Taktik kurzfristig Scheinerfolge buchen könnten.
An die aufgeblähten Sätze Edmund Stoibers haben wir uns gewöhnt: ”An meiner Frau schätze ich äh ..., ja gut äh ... die ...
äh ... Attraktivität, die sie über all diese Jahre behalten hat, und äh und die absolute äääääääh ... Familienorientiertheit.” Dass auch Wirtschaftskapitäne luftvolle Formulierungen bevorzugen, war bei Franz B. Humer, Verwaltungsratspräsident und CEO von Roche, in der SF-DRS-Sendung “10 vor 10” zu hören, als er als CEO zurücktrat.
Humer gilt zwar als ein Wirtschaftführer, der als Österreicher mit Charme geschickt kommunizieren kann. Doch es ist nicht immer einfach, Humers schaumige, verklausulierte Wortblähungen zu verstehen, geschweige denn zu wiederholen, was er vor Mikrofon und Kamera zum Besten gibt. Hier seine Formulierung: “Ich glaube, es ist so, dass nach zehn Jahren als CEO doch eine Ämterteilung – äh – opportun ist – zu dem Zeitpunkt, in dem das Unternehmen eine solche Trennung aus der Position der Stärke machen kann.
Sie haben unsere Halbjahresresultate gesehen. Die sind wirklich sehr, sehr gut. Und ich glaube, da ist es Zeit, diese Trennung vorzunehmen.” Entlüftet könnte die Aussage kurz und konkret lauten: “Ich war ein erfolgreicher CEO.
Roche hat Novartis in Umsatz und Gewinn um Längen geschlagen. Jetzt verlasse ich als Kapitän das Schiff und bin nur noch Verwaltungsratspräsident. Denn Doppelmandate bringen oft nur Ärger.”
Der Rekord-Halbjahresumsatz von Roche von sechs Milliarden Franken durfte sich
sehen lassen. Früher gab es sehr grosse Probleme im Konzern, Humer musste beim Start unangenehme Tiefen überwinden. 1998 wurde er neuer Konzernchef. Die Schlankheitspille Xenical war damals ein Flop. Die Umsatzentwicklung des Appetitzüglers war eine Enttäuschung.
Humer verstand es schon damals, den Flop mit Airbag-Elementen abzufedern. Angesprochen auf die Probleme, formulierte er den Misserfolg beschwichtigend:
“Das sind normale Risiken, die es immer wieder in der Forschung und Entwicklung – bei der Einführung neuer Produkte gibt. Ich glaube auch, dass Xenical, das ja jetzt in Europa die Zusage der Zulassung bekommen hat, ein sehr wichtiges Produkt sein wird.” Roche stand damals auf dünnem Eis.
Die Medikamentensparte war unter hohem Margendruck. Marktanteile gingen verloren, doch hatte Roche später wieder Glück. Vor allem wegen der amerikanischen Roche-Tochter und der neuen Moleküle für Krebsmedikamente.
Es war aber nicht die Airbag-Rhetorik, die Humer damals gerettet hat.
Im Radio höre ich folgende Passage: “Wenn irgendwelche nicht näher erläuternden Umstände es erlauben, könnten wir gewiss versuchen, etliche Aspekte immerhin den gewünschten Gegebenheiten anzupassen.”
Etwas später fährt das interviewte Behördenmitglied fort: “Wissen Sie, wenn die Angelegenheit mit gesundem Menschenverstand angegangen wird und alle am
gleichen Strick ziehen, so ist dies gewiss der erste Schritt in die richtige Richtung. Ich würde meinen: Es geht vorab darum, gemeinsam das nämliche Ziel anzustreben, getragen vom Willen, anstatt zu diskutieren, Hand anzulegen. Denn: Wer der Zukunft ins Auge blickt, stellt fest: Am Ende des Tunnels wird es immer wieder hell.”
Wer solche Antworten bei heiklen Interviews aufmerksam hört, merkt rasch: Es sind
Worthülsen, hohle Phrasen zuhauf, manchmal reines Blabla. Konkreter? Kaum. Ein Wort ohne Bedeutung bleibt ein leerer Klang, heisst es. Weshalb dann diese Leerformeln? Zum Teil kann es Absicht sein, aber auch Gewohnheit, dass solch vage Aussagen gemacht werden.
Es könnte Selbstschutz sein, vielleicht aber auch Angst, Farbe bekennen zu müssen.
Im Internet sammelten Georg Scheller und Christian Mössner vom Bayerischen Fernsehen Wortblähungen. Daraus ein Beispiel: “In Deutschland befürchten Polizei und Verfassungsschutz keine konkreten Anschläge, aber es bestehe eine ‘erhöhte abstrakte Gefahr’ für die Bundesbürger.”
Selten war eine Worthülse konkreter! ERKENNTNIS Airbag-Formulierungen sind hilfreich, um sich nicht festlegen zu müssen. Zuhörerinnen und Zuhörer können sich aufgrund der nichtssagenden Aussagen den Inhalt nicht vorstellen.
Das Gesagte ist nicht greifbar, wird aber auch nicht begriffen. Vage oder aufgeblähte Antworten werden wohl nicht aussterben, denn sie haben den Vorteil, dass sie für Laienohren recht kompetent klingen. Mit Floskeln können Redner beeindrucken und laufen kaum Gefahr anzuecken – es sei denn, es wird nachgefragt.
Wer jedoch verstanden werden will und glaubwürdig überzeugen möchte, verzichtet auf Airbag-Rhetorik und spricht eindeutig, konkret und klar.
Die Fernsehmoderatorin Margarethe Schreinemakers sagte: “Politiker lade ich nur ein, wenn es um begrenzte Themen geht. Die reden und reden – sagen aber nie
was.”
* Marcus Knill, Experte für Medienrhetorik (www.knill.com) analysiert laufend Persönlichkeiten auf der virtuellen Navigationsplattform für Medien und Kommunikation www.rhetorik.ch
FAZIT
Medientraining heisst demnach auch, glaubwürdige Antworten geben zu können. Aussagekräftige Aussagen, die überzeugen und nicht nur schön klingen.
Nicht zu vergessen ist auch noch der Aspekt, dass oft zu geringes Wissen unklare und sinnleereFormulierungen geradezu erzwingt.
Oder umgekehrt, dadurch vorhandenes Wissen versteckt werden soll. Erstaunlich ist: Bei Frau Merkel nennt man dies Regierungskunst, nicht Leerformel.
Quelle: Rhetoric.ch
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