Montag, 3. Juni 2013

Zum ersten MEDIENCLUB

Der folgende Beitrag von Philip Kübler ist lesenswert.


DER ERSTE «MEDIENCLUB» IM SCHWEIZER FERNSEHEN

Terror-Videos: Bedenken, aber keine Grenzen

von Philip Kübler,

Die Diskussionsrunde im ersten «Medienclub» des Schweizer Fernsehens suchte nach Antworten auf die Frage, wie die Massenmedien mit Terrorbildern umgehen sollten. Im Ergebnis scheint fast alles möglich zu sein. Auf Regelwerke, wie sie etwa der Presserat oder publizistische Leitlinien bieten, haben die Medienprofis kaum verwiesen. Man möchte offenbar lieber referenzfrei entscheiden und publizieren.

«Sind Medien Terrorhelfer?»: Der erste «Medienclub» vom letzten Dienstag thematisierte die Fragen, ob und wie Medien das dramatische Videomaterial veröffentlichen sollen, das den Täter nach der kürzlichen Ermordung eines englischen Soldaten in London zeigt. Der Attentäter hatte einen Passanten am helllichten Tag auf offener Strasse aufgefordert zu filmen – ein für Europa neuartiger und verstörender Auswuchs von Terrorismus.



Die Teilnehmer der von Karin Frei geleiteten Diskussionsrunde waren drei Chefredaktoren (Rolf Cavalli, Patrik Müller und Diego Yanez), zwei Vertreter von Ausbildung und Wissenschaft (Alexandra Stark und Vinzenz Wyss), sowie ein Medienjournalist (Rainer Stadler).

Sie vertraten folgende Positionen:

Vinzez Wyss (ZHAW) erwartet von den Medien ein regelbasiertes und reflektiertes Vorgehen mit Berücksichtigung der Gefahr, vom Terrorismus instrumentalisiert zu werden. Die Thematik und die erforderliche Sensibilität sind lange bekannt. Die Redaktionen haben dies zu wissen und im Rahmen ihrer Prozesse zu organisieren.

Alexandra Stark (MAZ) möchte die Journalistinnen und Journalisten sensibilisieren. Es braucht ein Gespür, wann ein Problemfall vorliegt. Dieser lässt sich dann zwar nicht mit starren Regeln, aber mit bewährten Instrumenten lösen. Die Bedeutung des Journalismus liegt gerade nicht in der 1:1-Weitergabe einer Quelle.

Rainer Stadler (NZZ) ist dagegen, dass Medien gefilmte Taten und Rechtfertigungen von Terroristen veröffentlichen. Journalismus setzt ein Selbstverständnis voraus, dass man sich nicht instrumentalisieren lässt. Was andere Medien publizieren, spielt keine Rolle. Wenn schon, dann lässt sich solch ein Vorgang in distanzierter Form über Text abbilden.

Diego Yanez (SRF) beschreibt die Entscheidung seiner Redaktion in Schritten: Zeigen wir das ganze Video? Nein. Sprachrohr sein für den terroristischen Rechtfertigungsversuch? Nein. Weglassen des Videos oder Ausschnitt zeigen? Wir zeigen 7 Sekunden. Die umfangreichen publizistischen Leitlinien der SRG hingegen spielten hier keine Rolle

Patrick Müller (Schweiz am Sonntag) zweifelt zwar das Argument an, man dürfe publizieren wenn es andere tun, doch er findet auch die Verzichtsdiskussion heuchlerisch, weil solche Videos ja im Internet leicht auffindbar seien. Medienprodukte dürfen differenziert sein: Blick zeigt das Video und die NZZ unterlässt die Veröffentlichung.

Rolf Cavalli (Blick-Gruppe) setzt sein eigenes journalistisches Gespür ins Zentrum. Journalismus zeigt was ist, er möchte die Leser nicht bevormunden. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass ein einzelnes Medium einen Einfluss auf die Verbreitung des Terrorismus habe. Auch ein Boulevardmedium ordnet ein, was gezeigt wird.

Das Sendeformat «Club» ist ein mögliches Gefäss für diese Diskussion, aber nicht das zwingende. Ein redaktionell betreutes Medienmagazin hätte dem Zuschauer rascher und deutlicher zeigen können, um welche beruflichen und moralischen Themen es geht: Gewaltbilder und Terrorbotschaften. Wie sollen Massenmedien auf ihren Plattformen schockierendes Laienmaterial verwenden, das im Umfeld von terroristischen Straftaten entstand?

Es geht nicht um den Kern des Journalismus, nicht um die individuelle Recherche, die Publikation meinungsbildender Inhalte oder das Verhältnis zu den Betroffenen (Stichwort Persönlichkeitsschutz). In Frage steht die Verbreitung einer vom Handy eines zufällig Beteiligten gefilmten Szene, welcher sich im Umfeld einer Gewalttat abspielte und die von einem Attentäter ausgestossene aggressive Botschaft enthält. Entsprechend kreisen die Fragen um die Publikation von Schockbildern und um die mediale Verstärkung von Terror und Kriminalität.

Zu Schockbildern hat sich der Presserat nach dem Tod von Prinzessin Diana geäussert und dabei zwar nicht genau den vorliegenden Fall, aber doch die Konstellation miterfasst (Stellungnahme 2/98 vom 20. Februar 1998 zum Umgang mit Schock- und People-Bildern). Diese Stellungnahme wurde im «Medienclub» nicht genannt und scheint auch in der Abwägung auf den Redaktionen keine Rolle gespielt zu haben. Allein Vinzenz Wyss erwähnte beiläufig den Presserat.

Dass Medien zu Gehilfen von Terroristen werden, war das zweite und hauptsächliche Thema des «Medienclubs». Die Teilnehmer schienen paralysiert durch die Kontroverse, dass ein Verbreiter des Videos automatisch die Absicht des Attentäters unterstützt, der sein Tun auf eine Medienöffentlichkeit angelegt hatte (Stadler) – was stimmt, und
dass es für den Terrorismus keinen Unterschied macht, ob ein einzelnes Medium neben vielen anderen Kanälen das Video auch noch zeigt (Cavalli) – das stimmt auch.
Dass beide Feststellungen zutreffen, ändert nichts an der Bedeutung der Kontroverse, sondern zwingt im Gegenteil dazu sie zu führen. Stadler ist zu entgegnen, dass dem missliebigen Interesse eines Attentäters andere Interessen gegenüberstehen könnten, die in einem Bildmedium für die Bearbeitung und Publikation des Videos sprechen: Authentizität und Dokumentation der Berichterstattung, Abschreckung und Warnung der Bevölkerung und der Institutionen, Ermöglichung einer emotionalen Anreicherung der Berichterstattung (es ist ein Unterschied, ob man vom Attentäter liest oder ob man ihn sieht). Ob diese und weitere Gründe genügen, ist die Abwägungsaufgabe. Abwägung drückt sich nicht in markigen Sprüchen aus, sondern in einem Dialog und in der Suche nach Alternativen und Varianten, was man tun könnte – und vor allem wie. Rolf Cavalli von der «Blick»-Gruppe hält seine Medienfreiheit und eigene Einschätzung entgegen und nennt dies «Verantwortung». Weshalb die Leser seiner Publikationen das uneditierte Videoclip aber zu sehen brauchen, erklärt er während der ganzen Sendung nicht.

Niemand in der Runde nahm Vinzenz Wyss’ Forderung auf, dass Medienunternehmen Regeln und Kriterien für solche Fälle bekanntmachen und deren Anwendung organisieren sollten. Man möchte lieber referenzfrei entscheiden und publizieren. Dass hier die Verantwortung verbannt wird, die man selber beansprucht, wird kaum erkannt. Verantworten heisst Antwort geben und Konsequenzen tragen, wenn man Fehler macht – und zwar in den Augen anderer oder im Rahmen einer transparenten Selbstverpflichtung, nicht nach eigener Gerechtigkeit.

Setzt die Verantwortung erst dann ein, wenn die eigene Publikation direkten Schaden anrichtet und einen weiteren Attentäter zu einem Mord anstiftet, so kann einem Phänomen wie dem Rudeljournalismus nicht begegnet werden. Dieser besteht darin, dass sich Medien in ein gleichförmiges Verhalten einordnen und als amorphe Gruppe ein Problem schaffen, das die einzelne Publikation nicht zu bewirken vermag. Der Presserat hat solchen Rudeljournalismus als mediale Hetze gegen einen Prominenten abgelehnt, ohne den einzelnen Medienschaffenden direkt zu rügen (Stellungnahme 58/2010: Schutz der Privatsphäre von Boulevardprominenten, Medienhypes etc.): Journalismus in der Kollektivhaftung.

Es ist offensichtlich, dass die Medien als Ganzes den zynischen Absichten eines Attentäters wie jenem von London zu dienen. Doch in erster Linie verursachen die Bilder Abscheu. Die Medienrunde konnte abschliessend nicht beantworten, ob Videofilme von Attentätern und Terrorakten in den Massenmedien gezeigt werden sollen. Oberflächlich blieb die Diskussion zwischen den Polen «Bevormundung des Lesers» (Cavalli) und «Selbstverständnis des Journalisten» (Stadler) hängen.

Einige TV-Stationen haben zuerst das ganze Video gezeigt, später nur noch Ausschnitte und präparierte Fassungen. Dieses Vorgehen bringt die wahren Gründe für die rasche Verbreitung ans Licht: Schnell dabei sein, nichts verpassen. Und es legt offen, dass man vorsichtiger wird und werden sollte, wenn man etwas Zeit hat. Es wird wirksamere Ausgaben des «Medienclubs» brauchen, damit sich die Redaktionen beim nächsten Ereignis vergleichbaren Ausmasses diese Zeit nehmen.





Philip Kübler
Medienjurist, Gründungsmitglied Verein Medienkritik Schweiz; Leiter Unternehmenstransaktionen Swisscom.

Aus Medienkritik:
Der erste Medienclub von SRF mit mässiger Resonanz
 Neben dem eigentlichen Thema kamen zur Sprache: Qualität in den Medien, die Arbeitsbedingungen der Journalisten, der Medienwandel, die Berufsaussichten junger Journalisten, die Attraktivität des Journalistenberufes und – kaum erläutert – die Persönlichkeitsverletzung eines St. Galler-Taxifahrers durch den „Blick“.
Die erste etwas längere Kritik der Sendung wurde am folgenden Morgen von Marc Bachmann unter dem Titel „Der SRF-Medienclub als journalistische Nabelschau“ publiziert. Bachmann kritisiert vor allem den fachspezifischen Fokus der Diskussion und fragt zum Schluss, ob sich der durchschnittliche TV-Zuschauer dafür interessiere.
Im Tages-Anzeiger online verstärkte Christian Lüscher diese Kritik. Zudem kritisiert er das Abschweifen in Nebenthemen, regte eine Verkleinerung des Teilnehmerkreises ein und schlägt vor, schweizerische Medienthemen zu diskutieren; sie würden das Interesse der Zuschauer besser wecken.
Am Abend dann noch die Kritik in persönlich online. Sie fasst erstmals grob die Inhalte der Sendung zusammen und kritisiert das Ausfransen der Diskussion.
Noch stärker auf die Inhalte der Diskussion geht Philip Kübler am 31. Mai in der Medienwoche ein. Ihm ist die geringe Bezugnahme zu bewährten Referenzen wie der Spruchpraxis des Presserats aufgefallen. Die Medien würden zwar die eigene Verantwortung betonen, aber letztlich doch fast alles für möglich erachten: Video publizieren, Video nicht publizieren, Video adaptieren. Verantwortung würde aber bedeuten, Antwort zu geben und den eigenen Massstab nachvollziehbar einzusetzen. Entscheidend sei die Abwägung der relevanten Elemente, welche im Medienclub schwer greifbar wurde.
Philip Kübler führt hier 10 Fragen auf, die in der Sendung offen gebliebenen sind:
1.    Was sagt die Forschung zum Thema Terrorbilder?

2.    Welche Regeln gelten überhaupt – rechtlich, medienethisch? Wie steht es um die Unterscheidung zwischen Fernsehprogrammen (Radio- und TV-Gesetz) und Onlinemedien (allgemeine Rechtsordnung und Kodex mit Beschwerdemöglichkeit an den Presserat)?

3.    Wenn Chefredaktoren vorgegebene Normen oder Kriterien zu ignorieren scheinen: Tun sie dies auch in anderen Bereichen, namentlich dort, wo Kläger gegen eine Publikation erfolgreich vorgehen könnten?

4.    Wurden an die Interessen des Opfers gedacht?

5.    Onlinemedien und Videoplattformen im Internet könnten weniger Hemmungen haben, solch ein Video zu bringen – doch was macht man nun mit diesem Argument? Es scheint in zwei gegensätzliche Richtungen zu wirken: Einerseits entlastend für die Massenmedien (“im Internet findet man das Video sowieso”), anderseits belastend (“deshalb müssen und können sich die Massenmedien wegdifferenzieren oder umso zurückhaltender positionieren”). Was gilt?

6.    Entfällt eine echte Verantwortung nicht gerade dadurch, dass man sich darauf beruft dass es alle tun? Man ist als Teil des Rudels schwer angreifbar.

7.    Vergleiche mit anderen Branchen, die sich an Regeln halten müssen: Banken, Rohstoffproduzenten, Pharmafirmen. Akzeptieren die gerne kritischen Journalisten dort die Argumentation, andere Marktteilnehmer würden ja ebenso agieren?

8.    Ist Instrumentalisierung der Medien ein übergeordnetes Thema? Sind Massenmedien nicht prallvoll mit zugespielten Botschaften und Absichten Dritter?

9.    WAS bringen und WIE bringen sind zwei fundamentale Grössen – wie läuft dieser Produktionsprozess ab? Heute, nach ein paar Tagen, zeigen die meisten Medien dieses und ähnliche Video in bearbeiteter Form.
10.    Hat der erstpublizierende TV-Sender (ITV) für das Video bezahlt?

Fazit aus meiner Sicht:

Das Konzept, situativ einen Medienclub zu senden, finde ich sehr gut. Das Fernsehen ist gut beraten, die Thematik Medienkritik ernst zu nehmen. Die künftigen Sendungen müssten besser strukturiert werden. Obschon sich die Moderatorin bemüht hatte, die Fachleute immer wieder  zum roten Faden zurück zu führen, franste leider der Faden zu oft aus. Es mag auch an der zu grossen Teilnehmerzahl gelegen haben.
Wie wäre es, wenn Strassenumfragen eingeblendet würden mit der Meinung von Normalbürgern?
Wenn es um die Publikation von fragwürdigen Sequenzen geht, spielt bei den Medien die Aufmerksamkeit der Konsumenten eine grosse Rolle. Die Thematik Einschaltquote spielt bei solch brisanten Filmseqeunzen eine erhebliche Rolle. Doch sie wurde sofort  hinuntergespielt.
Ich teile auch die Meinung von Vincenz Wyss, der darauf hingewiesen hat, dass Journalisten schon im Vorfeld  auf Aktionen von Terroristen vorbereitet werden könnten, damit sie nicht zu Steigbügelhaltern von Verbrechern werden. Die Fragenkette Küblers verdeutlicht, dass eine medienkritische Sendung seine relevanten Fragen konkret beantworten müsste.

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