Die baz und Tagi-online beurteilten die Fraktionschefs
Mein Kommentar ist gelb eingefärbt.
Andy Tschümperlin hat mit seinem Auftritt vor einer Woche gezeigt, wie
man es nicht macht. Der Fraktionschef der SP trat mit seiner Aussage,
Bundesrat Ueli Maurer sei als Bundespräsident nicht tragbar, mit beiden
Füssen ins Fettnäpfchen. Selbst seine eigene Partei gab ihm keine
Rückendeckung. Aus dem Tschümperlin wurde ein Stümperlin. Wie der
SP-Mann sind vier weitere Fraktionschefs erst wenige Monate im Amt; nur
bei CVP und FDP kann man auf Altgediente bauen. Wie schlagen sie sich?
Adrian Amstutz: Der Hardliner
Der
58-Jährige nimmt kein Blatt vor den SVP-Mund – und schon gar keinen
Baum: «Amstutz bleibt Amstutz», meinte er einmal. «Man macht aus einer
Buche keine Tanne.» Entsprechend hemdsärmlig politisiert der dreifache
Vater und Unternehmer. Dabei schlägt er auch schon mal über die verbalen
Stränge («Dir verzellet ein Seich am angere, Frou Bundesrätin. Das si
Lugine»). Amstutz, seit 2003 im Nationalrat und 2011 kurzzeitig im
Ständerat, präsidiert die Fraktion seit Januar.
- Auftritt: Er ist ein guter Verkäufer und trotz hartem Kurs
einer der Sympathieträger der Partei. Den Rollenwechsel vom Scharfmacher
der Nation zum Schwergewicht der Fraktion hat Amstutz (noch) nicht
geschafft. «Ihm fehlt die politische Raffinesse», meint Politikberater
Mark Balsiger.
- Erscheinung: Schlecht gekleidet sieht man Amstutz, den
Richard Gere der Alpen, nie. Die Anzüge sind «zwar nicht modisch, aber
auch nicht peinlich», meint Balsiger. Mit seinem breiten Berner
Oberländerdialekt kommt er an.
- Inhalt: Mit seiner Schwarz-weiss-Rhetorik punktet Amstutz.
«Er schält die Themen wie eine Zwiebel und spricht nur vom Kern»,
umschreibt es Balsiger. «Alles andere blendet er aus.»
- Wirkung: «Der einstige Glamourboy der Partei», wie ihn
Kommunikationsberater Klaus J. Stöhlker nennt, strahlt nach wie vor. Die
Radio- und Fernsehstationen lieben ihn, weil er seine Botschaften in
mediengerechte 20-Sekunden-Häppchen verpacken kann. Für Stöhlker hat
Amstutz innerhalb der SVP jedoch an Bedeutung verloren.
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Amstutz tritt ab und an in ein
Fettnäpfchen. Aus der «Lugine»-Episode von 2010 – Amstutz versah in der
TV-«Arena» Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit diesem Attribut – hat er
aber gelernt. Die ganz grossen Aussetzer sind seither ausgeblieben
Kommentar: Ich schätzte immer seine Direktheit. Amstutz spricht Klartext. Er hat gelernt, dass allzu harte Worte negative Folgen haben können. Die Wegwahl als Ständerat hat Wirkung gezeigt. Es liegt nun an ihm, sich in der parteipolitischen Landschaft neu zu profilieren. Die Voraussetzungen sind vorhanden.
Tiana Moser: Die Unscheinbare
Die
33-Jährige ist seit letztem Herbst Fraktionschefin der Grünliberalen.
Im Nationalrat sitzt sie seit 2007. Aufgefallen ist die Grünliberale
aus Zürich bislang kaum. Sie sei in dieser Zeit zweimal Mutter geworden,
begründete sie in einem Interview die Wenig- bis Nichtbeachtung. Nimmt
man die Begründung als Mass, wird es bei der niedrigen Wahrnehmungsquote
bleiben – Moser wird im September erneut Mutter. Für die junge Partei,
die sich noch am Finden ist, sicher keine optimale Ausgangslage.
- Auftritt: Die grossen Auftritte hatte Moser (noch) nicht. Sie
sucht nach wie vor ihre Rolle neben Präsident Martin Bäumle. Ob sie
diese finden wird, bezweifelt Stöhlker. Balsiger traut es ihr zu. Vor
der Kamera wirkt Moser streng bis angestrengt. Mehr Lockerheit ist
dringend angezeigt. Auch an der Rhetorik muss sie noch arbeiten.
- Erscheinung: Ihr Outfit ist jung, modern und frech. Das
passt. Sie tritt nicht so volkstümlich wie eine Natalie Rickli auf, ist
aber auch nicht so unnahbar wie eine Gabi Huber.
- Inhalt: Sie definiert sich über die Themen. Dabei
argumentiert sie manchmal zu kompliziert und verliert sich in Details.
«Es gelingt ihr noch zu selten, das Beigemüse wegzulassen und nur über
das Wichtigste zu sprechen», so Balsiger.
- Wirkung: Eine Breitenwirkung fehlt Moser bislang. Zugegeben:
Hinter Martin Bäumle ist dies auch schwierig. Für ihre Karriere ist es
wichtig, dass sie hinter diesem Baum hervortritt – auch wenn die Sonne
ab und an blendet.
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Die liegt praktisch bei null. Moser
agiert in allen Situationen kontrolliert. «Ich kann mir auch nicht
vorstellen, dass ihr jemals ein ungewollter Satz herausrutscht», meint
Balsiger. On verra.
Kommentar: Tina Moser müsste lernen, sich mehr zu exponieren. In den Medien ist sie für mich kaum existent.
Urs Schwaller: Der ewige Kandidat
Der
59-Jährige bewohnt ein «wunderschönes Haus», schwärmte «Der Sonntag»
nach einem Besuch beim CVP-Ständerat in Tafers (FR). Der dreifache Vater
hätte gerne auch ein wunderschönes Büro bezogen – im Bundeshaus.
Dreimal brachte ihn seine Partei als Bundesratskandidat ins Spiel.
Dreimal ging die Rechnung nicht auf. Schwaller sei «wie eine Blüte, die
nicht ganz zur Entfaltung kam», meint Stöhlker. Unter der Niederlage
leide er bis heute. Schwaller ist dossiersicher. Ihm haftet aber auch
das Image eines Langweilers und Dauerabwägers an. Im Bundeshaus nennt
man dies «schwallern» – eine Frage endlos diskutieren und nichts
entscheiden. Der Jurist steht der Fraktion seit 2005 vor. Er will das
Amt Mitte der Legislatur, also gegen Ende 2013, abgeben.
- Auftritt: Er tritt souverän und staatsmännisch auf.
Gleichzeitig wirkt er auch väterlich. «Sein Auftritt hat Stil», meint
Stöhlker. Er parliert perfekt zweisprachig, agiert rhetorisch geschickt –
und sonnt sich im Scheinwerferlicht. Bei den Auftritten «schwingt eine
leicht überhebliche Note mit», so Balsiger.
- Erscheinung: Als «korrekt, aber nie langweilig» stuft
Balsiger das Schwaller-Outfit ein. Unfreundlich oder aufbrausend erlebt
man ihn nie. Er bleibt selbst dann ruhig, wenn er angegriffen wird. Die
Dauerpräsenz in den Medien sucht er nicht. Er sei keiner, der jedem
Kabel nachrenne, weil sich an dessen Ende vielleicht ein Mikrofon
befände.
- Inhalt: Er legt sich nicht gerne als Erster fest, wägt die
Argumente oft (zu) lange ab. Das Sowohl-als-auch-Schwadronieren gehört
aber irgendwie zur CVP. Wenn er jedoch etwas sagt, hat es Substanz.
- Wirkung: Innerhalb der Partei ist sie gross. Das weiss er –
und nutzt es. Dabei überschreitet er auch schon einmal Grenzen. So
etwa, als er zusammen mit Parteipräsident Christophe Darbellay die CVP
im letzten Jahr als Atomausstiegspartei positionierte – und diese News
seinen Fraktionskollegen via Sonntagsmedien kundtat.
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Er tritt zwar manchmal in ein Fettnäpfchen, verlässt es aber mit Eleganz wieder.
Kommentar: Ich habe Urs Schwaller anlässlich eines gemeinsamen CLUB Auftrittes kennen gelernt. Ich habe erkannt, wie seriös und gründlich er vorbereitet war. Er wirkt sehr glaubwürdig und bedacht - oft etwas zu pastoral.
Medienrhetorisch ist er vorbildlich. Bei heiklen Fragen ist er für mich oft zu diplomatisch und inhaltlich etwas farblos.
Hansjörg Hassler: Der Durchtrainierte
Der
58-Jährige ist ein alter Polithase. Der ehmalige SVP- und heutige
BDP-Mann sitzt seit 1999 im Nationalrat. Aufgefallen ist er vor seiner
Wahl zum Fraktionschef im letzten Herbst kaum. Das will der Bergbauer
und dreifache Vater aus Donat (GR) auch gar nicht; er steht ungern im
Rampenlicht. «Ich könnte darauf verzichten», meinte er nach dem ersten
Mediengewitter, das Anfang Oktober über ihn hereinbrach.
- Auftritt: Mit seinem Bergbauerncharme punktet er ebenso wie
mit seiner einfachen Sprache. Er wirkt am TV volksnah, allerdings auch
ungelenk. Der Bündner Dialekt hilft ihm darüber hinweg. Hassler ist die
Ruhe in Person. Die einen nennen es Gelassenheit, für andere sind es
«Auftritte ohne jegliche Strahlkraft» (Stöhlker).
- Erscheinung: Mit seinem durchtrainierten Body und seiner nie
verblassen wollenden Bräune gäbe er auch auf jedem Bauernkalender eine
gute Figur ab. Für Balsiger tritt er mit sympathischer Bescheidenheit
auf.
- Inhalt: Das Gesicht der BDP war seit der Gründung der Partei
2008 Hans Grunder. Wenn jemand auftrat, dann der Emmentaler. Hassler
konnte sich somit ganz auf seine Kernthemen konzentrieren. Aber auch
hier gehörte er nicht zu den Schwergewichten in Bern.
- Wirkung: Neben Parteigründer Hans Grunder hatte Hassler wenig
zu sagen – und sagte auch nicht mehr. Die Vorzeichen haben sich im
Mai geändert: Grunder trat ab, und der neue Präsident Martin Landolt ist
auf einen starken Fraktionschef angewiesen. «Es ist fraglich, ob
Hassler den nötigen Biss noch entwickeln kann», meint Balsiger. Für die
Partei, darin sind sich Stöhlker und Balsiger einig, wäre es zentral.
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Das wird sich weisen, denn bislang
trat stets Grunder in die Näpfchen. Doch selbst wenn er in eines treten
sollte, «würde man es ihm verzeihen» (Balsiger).
Kommentar: Seine Voten sind verständlich. Sie sind mir aber zu wenig eloquent. Er profitiert vom Bergbauernimage (Aussehen, Dialekt). Er ist für mich zu wenig profiliert.
Gabi Huber: Die Unnahbare
Die
56-Jährige ist ein Auftrittsphänomen: Was sie sagt, ist klar und gut
formuliert. Doch wie sie es sagt, «das ist einfach grottenschlecht»
(Stöhlker). Die Urnerin versteht ihr Amt als Dienst an der FDP. Sie
steht nicht gerne im Rampenlicht, doch sie nimmt es für das Amt in Kauf.
Die Rechtsanwältin, die der Fraktion seit 2008 vorsteht, ist nicht die
grosse Gestalterin. Aber sie ist eine gute Verkäuferin. Ihrem taktischen
Geschick und ihrer Sturheit verdankt es die Partei auch, dass sie noch
immer zwei Bundesräte hat. Für den neuen Parteipräsidenten Philipp
Müller hat Huber «Kultstatus».
- Auftritt: Ihre Stimme hat es in sich. Wenn man dieses
metallene Geräusch das erste Mal hört, droht einem das eben in den Mund
gestopfte Nüssli im Hals stecken zu bleiben. Andere «schlecht gestimmte»
Politiker haben an ihren Organen gearbeitet. Huber kaum. «Man merkt,
dass sie Auftritte nicht liebt», sagt Balsiger. Vor der Kamera wirkt sie
verkrampft, agiert roboterartig und bleibt distanziert. Was Huber von
anderen Politikern unterscheidet: Sie kennt ihre Grenzen. Die Einladung
zur Satiresendung «Giacobbo/Müller» lehnte sie dankend ab, weil sie sich
dafür wirklich nicht eigne.
- Erscheinung: Die Frisur ist streng, die Kleidung zementiert
das Image der grauen Maus. Balsiger: «Schade, dass sie sich keine andere
Note gibt.»
- Inhalt: Der Inhalt ist ihre Welt. Sie ist keine Blenderin und
keine Effekthascherin. Was sie sagt, hat Substanz. Nur eben: In der
stark medialisierten Politik kommt es auch auf die Verpackung an.
- Wirkung: An ihr führt derzeit kein FDP-Weg vorbei. Allerdings
hat sie sich seit der Wahl von Müller zurückgenommen. Man hört
praktisch nur noch ihn. «In der Öffentlichkeit ist sie wirkungslos
geworden», meint Stöhlker. Wie die Partei suche auch Huber ihre Form.
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Ist gering. Bei den
Bundesratswahlen im letzten Dezember hat sie sich die Hand jedoch
verbrannt. Sie legte dieselbe «für jedes einzelne Mitglied meiner
Fraktion ins Feuer», als es um den Vorwurf der SVP ging, einzelne
FDP-Mitglieder hätten für Eveline Widmer-Schlumpf votiert.
Kommentar: Sie macht eindeutige Aussagen, wirkt glaubwürdig und ist überzeugt von dem, was sie sagt. Sie wird von vielen Leuten als hart - eher männlich - empfunden. Doch attestiere ich Gabi huber Verlässlichkeit. Im Gegensatz zu "Eiertänzer" Pelli positioniert sie sich klar.
Huber ist eine Person, die das angeschlagene Image der FDP aufpolieren könnte.
Antonio Hodgers: Das Talent
Der
36-jährige Grüne gilt als Polittalent. In der Deutschschweiz kennt man
den Welschen mit argentinischen Wurzeln noch wenig. Das dürfte sich
ändern, nicht zuletzt weil er (fast) perfekt Deutsch spricht. Er lebte
mit seiner Partnerin ein Jahr lang in Bern und besuchte einen Deutsch-
und einen Mundartkurs. Hodgers steht für Transparenz ein und macht
selber den Anfang: 78 500 Franken, so ist auf seiner Homepage zu lesen,
verdient er pro Jahr. Hodgers ist seit 2007 Nationalrat und führt die
Fraktion seit 2011.
- Auftritt: Das neue Amt formt ihn. «Er gibt den Grünen ein
gutes Gesicht», meint Balsiger. Er nutzt die Bühne, die er bekommt,
geschickt aus und ist auch auf Social Media gut unterwegs. Für sein
Alter wirkt der Realo-Grüne gesetzt. Er tritt selbstbewusst auf und ist
ein guter Rhetoriker. Er lernt schnell. Am Anfang seiner Berner Karriere
überfuhr er seine Kollegen mit seinem verbal-französischen
Schnellfeuer. Die Wirkung blieb aus. Heute spricht er langsamer, in
einfachen Sätzen und in schönstem «français fédéral». Es wirkt.
- Erscheinung: Er sieht gut aus – und weiss dies auch. Seine Kleidung passt zum Bild, das er abgeben will: jung, modern und dynamisch.
- Inhalt: Er bringt die grünen Themen unaufgeregt an den Mann.
Als Fraktionspräsident hat er noch keine Stricke zerrissen. Ihm fehlt
die Erfahrung in dieser Polit-Rolle noch. «Das Potenzial hat er», ist
Stöhlker überzeugt.
- Wirkung: Seine Jugendlichkeit ist einer der Trümpfe. Sein
Charisma ein zweiter. «Die Fraktion kann enorm profitieren, wenn sie ihm
viel Raum gibt», meint Balsiger. Mit ihm sei zu rechnen.
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Er überspringt sie leichtfüssig.
Kommentar: Ich kenne Hodgers zu wenig. Doch lassen sich seine wenigen Auftritte sehen. Er wirkt ruhig und kann mit seiner bedachten Art punkten. Rhetorisch kommt Hodgers recht gut weg.
Andy Tschümperlin habe ich BLOG bereits eingehend analysiert-
Ich zitiere:
War die Ueberreaktion Andy Tschümperlins Taktik oder wird sie für die SP zum Bumerang?
SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin greift die SVP an.
(Bild aus TAGBLATT: Reuters/ Thomas Hodel)
SP-Fraktionschef
Andy Tschümperlin wollte nach der Sonntagspresse (am letzten
Wochenende) die Wahl Ueli Maurers zum Bundespräsidenten verhindern. Der
Beitrag fand in allen Medien grosse Beachtung. Hätte nämlich diese
Wahlverhinderung der SP Erfolg, wäre dies der Coup des Jahres
Andy Tschümperlin vertrat die Meinung: «Wir können uns einen Bundespräsidenten auf Kollisionskurs nicht leisten.»
Andy
Tschümperlin ist ein Politiker, der noch vor seiner überraschenden
Wahl zum Fraktionschef der SP im Radio DRS gesagt hatte, er sei kein
Softi Politiker.
Mit dem brisanten Appell zur Verhinderung der Wahl
Maurers zum Bundespräsidenten bewies nun Tschümperlin, dass er
tatsächlich kein Softi Politiker ist.
Er denkt mit seiner
Forderung weit voraus – bis zum Dezember. Dann nämlich wählt die
Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten. Mit der vorschnellen
Verlautbarung wollte er vielleicht nur zeigen: Ich bin der neue
Fraktionspräsident! Ich mache Nägel mit Köpfen.
Der Plan des SP Fraktionschefs ist deshalb so brisant, weil er mit der bisherigen Tradition bricht.
«Ueli
Maurer, so wie er sich bis jetzt verhält, ist nicht die richtige
Besetzung für das Bundespräsidium», sagte er im Gespräch mit
SonntagsBlick an seinem Wohnort Rickenbach. «Die SP muss deshalb gut
überlegen, ob Maurer 2013 die Regierung leiten soll. Ich finde nein –
und werde mich dafür einsetzen.»
Parteiinterne Gespräche liefen
bereits, behauptete Tschümperlin. Es suche nur noch Verbündete bei den
Mitteparteien. Allein könnten die Genossen den Verteidigungsminister
nicht bodigen.
Der SP Politiker führte in der Begründung
verschiedene Argumente an, weshalb der Tabubruch bei Maurer nicht nur
angemessen, sondern notwendig sei. Maurer habe seine Rolle als
Bundesrat auch nach mehreren Jahren im Amt nicht gefunden: «Maurer
führt sich wie ein Parteipräsident auf und hat keine Achtung vor den
politischen Gegnern.» So habe er kurz nach der Widerwahl von Eveline
Widmer-Schlumpf im Dezember 2011 das Bundesratszimmer verlassen – um
seinen Frust darüber mit Parteikollegen kundzutun. «Unwürdig» für einen
Bundespräsidenten, fand der neue SP Fraktionschef.
Ebenso
unwürdig sind - nach Auffassung des ehemaligen Lehrers - diverse
Interview-Aussagen Maurers – wie kürzlich erst im deutschen
Meinungsblatt «Die Zeit». Dem sagte der SVP-Magistrat: «Heute will ja
niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, in die EU.» Die SP
protestierte gegen die Unterstellung, EU-Befürworter hätte nicht alle
Tassen im Schrank.
War
Tschümperlins Vorprellen lediglich bewusste Taktik, damit man von der
SP spricht – oder nur eine billige Retourkutsche, um Micheline Calmy-Rey
zu rächen, die 2010 von der SVP kaum eine Stimme bekam? «Wir haben
keine Verpflichtung, Ueli Maurer zu wählen», sagte er trocken. Die
Presse ging davon aus, dass der angekündigte Plan des Fraktionschefs
selbstverständlich als SP - Plan geplant ist. Es gab nirgends eine
Klärung; die Verlautbarung sei lediglich eine persönliche
Gedankenskizze.
Nach
dem Paukenschlag am letzten Wochenende wurden allmählich auch
kritischen Stimmen verschiedender SP Politikern bekannt gegeben. Es
zeigte sich: Tschümperlins Plan war von der Parteispitze angeblich
nicht abgesegnet. Es wurde nun deutlich, dass Tschümperlin keine
Rückendeckung in der eigenen Partei hatte.
Erst
nach ein paar Tagen liess die Geschäftsstelle der SP Bern gegenüber
der Aargauer Zeitung verlauten: Alles sei nur ein persönlicher Gedanke
Tschümperlins gewesen. "Die Aussagen im SonntagBlick hätten alleine
Tschümperlins Meinung weiderspiegelt.
Die
brisante Verlautbarung des Fraktionschefs nach ein paar Tagen plötzlich
als persönliche Meinung zurückzustufen, machte Medien und
Oeffentlichkeit stutzig. Die Partei will nun offensichtlich den Schaden
begrenzen. Wohl wissend, dass Tschümperlins Plan kaum gelingen kann.
Der
SP Fraktionspräsident versuchte seinerseits, nachträglich, dem
SonntagsBlick den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Im Gespräch
mit dem Journalisten habe er nur seine persönliche Meinung gesagt,
betonte er ebenfalls viel zu spät.
Die SP machte aus meiner Sicht einen kapitalen Fehler
Bei so einer brisanten Geschichte darf keine Institution so lange zu warten mit einer Berichtigung.
Man hätte schon am Montag die Sache richtig stellen müssen. Die rechtzeitige Klärung wurde verpasst.
Nach
der überraschend gewonnen Wahl attestierte damals Tschümperlins
Vorgängerin Wyss, der neue Fraktionschef habe ein politisches Gespür, er
sei befähigt, die Fraktion geeint zu führen. Beim jüngsten Eklat
scheint nun der neue Fraktionschef weder das politische Gespür zu
haben, noch fähig zu sein, die Fraktion geeint zu führen.
Wir
können davon ausgehen, dass der verspätete Rückzieher der SP
Geschäftsstelle in Bern der Partei imagemässig schaden wird. Wenn
Tschümperlin nach der Publikation eindeutig geklärt hätte, seine Idee
sei nur als Diskussionsgrundlage für die Partei gedacht, so wäre der
Medienwirbel versandet.
Der
publizierte Coup mit dem zu späten Rückzieher, ist insoweit auch
kontraproduktiv, als das Lavieren bei Kommunikationsprozessen die
Glaubwürdigkeit immer beeinträchtigt. Zudem könnte es bei der Wahl des
Bundespräsidenten auch noch zu einem Mitleideffekt für Maurer kommen.
Wir dürfen nicht vergessen: Die erfolgreiche - aber hinterhältige
Nacht- und Nebelaktion vor der Abwahl Blochers - steckt immer noch
viele Volksvertretern in den Knochen.
Zur Rhetorik Tschümperlins
Meist überzeugt Tschümperlin
durch einfache, verständliche Formulierungen. Wenn er auftritt, ist
immer gut geerdet. In der Arena sprach er mediengerecht, oft recht
bildhaft z. Bsp: "Damit lassen wir den Wirtschaftmotor brummen".
Seine erkennbare Pausentechnik signalisiert Sicherheit.
Als Person wirkt der Politiker bei der freien Rede natürlich und glaubwürdig. Gestik und Inhalt stimmen dann überein.
Im Parlament hingegen liest er seine
Voten zu oft ab. Es fehlt dann jedoch der echte Blickkontakt, die
"Brücke zum Du". Man fühlt sich jedenfalls nicht angesprochen.
Ich
habe Auftritte gesehen (z.Bsp. beim Auftritt anlässlich der Initiative
für 6 Wochen Ferien). Da stimmt der rhythmische Akzent nicht. Die
Betonungen sind aufgesetzt. Es wirkt so, als würde Tschümperlin den Text
eines Ghostwriters rezitieren.
Vor der Wahl - während der Wahl und
nach der Wahl wiederholte Tschümperlin bei allen Interviews seine
Dachbotschaften vorbildlich: "Ich nehme die Leute ernst und will eine
Partei für ALLE vertreten, nicht nur für EINZELNE." Dies in Anlehnung an
die treffende Parteibotschaft: "Für ALLE, statt für WENIGE!".
Stimme als Lügendetektor?
Es fällt auf, dass Andy
Tschümperlins Stimme in der jüngsten Phase der Rechtfertigung
angespannter und damit auch höher klingt. Dies reduziert die
Glaubwürdigkeit der Aussagen..
Fazit:
Nach dem Vorprellen mit der unbedachten Forderung, Maurer nicht zum
Bundespräsidenten zu wählen, müsste Andy Tschümperlin den wichtigen
Grundsatz besser beherzigen: DENKEN - UEBERLEGEN - KLAEREN - ERST DANN
REDEN.
Jemand,
der überreagiert und seine publizierten Aussagen zu spät korrigiert,
muss sich nicht wundern, wenn ihm auch die Korrektur der angeblichen
Aeusserung "Blocher muss man den Grind umdrehen" nicht geglaubt wird,
obschon Tschümperlin diese Aussage vehement bestreitet.
Der SP Fraktionschef muss sich deshalb nicht wundern, wenn ein Journalist die leide Geschichte wie folgt titelt:
"Tschümperlin oder Stümperlin?"
Nachtrag baz:
Andy Tschümperlin: Der Softie
Der
50-Jährige sitzt bereits seit 2007 im Nationalrat. Stricke hat er hier
keine grossen zerrissen. Bis letzte Woche: Nur gut vier Monate nach
seinem Amtsantritt als SP-Fraktionschef hat sich der vierfache Vater aus
Rickenbach (SZ) mit seinem Angriff auf Bundesrat Ueli Maurer gehörig
die Finger verbrannt. Er sei kein Softie, betonte der passionierte
Fasnächtler und Bassist in einem Interview, er habe «auch eine schärfere
Seite». Diese hat er nun gezeigt. Das Problem: Die Schärfe brennt im
eigenen Gaumen nach.
- Auftritt: Er sieht aus wie ein Lehrer (ist er ja auch) und
wirkt bei seinen Auftritten wie ein typischer Gutmensch. Er ist
«leichtfüssig» unterwegs, meint Balsiger. Andere nennen es unscheinbar.
In der neuen Rolle ist er (noch) nicht angekommen. Die Zeit dafür
drängt. Was ihn auszeichnet, ist seine einfache und verständliche
Sprache. Bei Auftritten erlebt ihn Kommunikationsberater Marcus Knill
als «natürlich und glaubwürdig».
- Erscheinung: Er kommt sportlich korrekt, aber auch etwas
bieder daher. Das Outfit «scheint ihm nicht sonderlich wichtig zu sein»,
glaubt Balsiger.
- Inhalt: In der Fraktion war Tschümperlin bislang ein Hinterbänkler. Er hat sich auf seine thematischen Steckenpferde konzentriert.
- Wirkung: Für die neue Position hat er (noch) deutlich zu
wenig Statur. «Als Fraktionschef ist er ein Irrtum», urteilt Stöhlker.
Er sei weder ein kämpferischer Sozialdemokrat, noch könne er die
divergierenden Parteiflügel verbinden. Etwas Gutes könne er, so
Stöhlker, für die Partei noch tun: «Mithelfen, einen guten Nachfolger
für Parteipräsident Christian Levrat zu finden.»
- Fettnäpfchenanfälligkeit: Immens. Bereits bei seinem ersten
grösseren Auftritt als Fraktionschef ist er mit beiden Füssen voll
hineingetreten. Seine Aussage zu Maurer wird wahlweise als naiv oder als
Versuch der Selbstprofilierung gewertet. Beides ist nicht
schmeichelhaft.
(Basler Zeitung)