Aus 20 Min
Heimeliges und Unheimeliges
Wer wie der Schreibende mit Mani Matters Liedern gross geworden ist, der weiss auch, dass sie mit ihm wachsen. Ihre Einfachheit und Bildhaftigkeit, ihr Schalk, aber auch ihre Drastik leuchten dem kindlichen Gemüt ein und gefallen ihm. Schon das Kind aber wittert hinter dem Bild das Gleichnis, hinter dem Gefälligen das Tief- und Abgründige. Im bequemen Kleid des Mundartlieds steckt eine Kunst, die sperriger ist, als man beim ersten Hören vermuten würde. «Ich probiere in meinen Chansons immer, Heimeliges mit Unheimeligem zu verbinden», sagte Matter kurz vor seinem Tod in einem Interview mit der Zeitschrift «Femina».
Das Berndeutsche mit seiner urwüchsigen Kraft wirkt gern behäbig, gemütlich – staatstragend. Dies allein kann es gleichwohl nicht gewesen sein, was einen Liedermacher, der Dynamit ans Bundeshaus legen wollte, in bürgerlichen Kreisen vor der Ächtung bewahrte. Natürlich hat Matter, der Beamte und Jurist, in seinem Lied nicht zur Sprengung des Bundeshauses aufgerufen, sondern sie im Gegenteil verhindert – doch davon sollten wir uns nicht täuschen lassen. Denn das Fazit lautet: «louf i am Bundeshus sider verby / mues i gäng dänke, s'steit numen uf Zyt / s'länge fürs z'spränge paar Seck Dynamit».
Keine plakativen Schuldzuweisungen
Was hat Matter also davor bewahrt, als Subversiver geächtet zu werden? Immerhin sprechen wir von einer Zeit, in der das ominöse Zivilverteidigungsbuch Kalte-Kriegs-Hysterie verbreitete und das Bürgertum sich über die Studentenrevolte entsetzte. Wenn es nicht das harmlos anmutende Berndeutsch und wohl auch nicht das Witzig-Gefällige in seinen Liedern war, dann vielleicht sein Verzicht auf plakative Schuldzuweisungen, seine Weigerung, eindeutige Lösungen zu benennen.
Er fragt vielmehr, er zweifelt. «Ich wirke nicht wie ein rotes Tuch für das Publikum. Das ist ein Vorteil. Die Leute haben mir gegenüber vielleicht weniger Vorurteile als andern gegenüber, die ihr ‹Engagement› mit dem Holzhammer zum Ausdruck bringen», erklärte Matter 1971 in einem Interview mit dem «Bieler Tagblatt».
Was wäre aus Mani Matter geworden, wäre er nicht so früh aus dem Leben gerissen worden? Wäre er zu einer Art «Mani National» geworden, hätte er sich zurückgezogen, vielleicht gar sich selbst demontiert? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass sein Werk seinen frühen Tod überstanden hat. Und dass wir einen Kloss im Hals spüren, wenn wir sein Lied «Di Strass won i drann wone» hören:
«Ir Lüt, i wonen anere Strass
und nid symbolisch meinen i das
i wonen anere Strass, wi gseit
wo zum Fridhof geit
i cha vom Fänschter us d'Umzüg gseh
mit Efeuchränz und Bluemebouquet
wen alben eine derhär chunnt da
mit de Füess vora
en andre vilicht mahneti das
geng dra, gly näm dr Schryner scho ds Mass
ou ihm für ds tannige letschte Chleid
und das tät ihm leid
ig aber findes schön das mys Bett
vorlöifig no ke Holztechel het
und das i geng no dr Himel gseh
fröit mi drum descht meh
die Strass won i drann wonen isch zwar
so dänken i e Sackgass s'isch wahr
hingäge für mi und i gniesse das
no ke Einbahnstrass»
Eine etwas eigenwillige, aber äusserst kreative filmische Umsetzung des Liedes «Di Strass won i drann wone» hören Sie hier:
(Video: Youtube/hotchilli88)
Vor vierzig Jahren verunglückte Mani Matter tödlich. Der wohl bedeutendste Schweizer Liedermacher war plötzlich verstummt. Warum sind seine Lieder immer noch lebendig?
Bildstrecke im Grossformat »
Mani
Matter wurde am 4. August 1936 geboren. Seine Mutter, die schon 1953
starb, war Niederländerin; sein Berner Vater war Fürsprecher. Zuhause
sprachen die Eltern mit den Kindern Französisch, obwohl das nicht ihre
Muttersprache war. Mani hiess Hans-Peter, wurde von seiner Mutter aber
Jan genannt. Seine Schwester Helen machte daraus «Nani»; woraus dann
sein Pfadfindername «Mani» wurde.
Am
24. November 1972 fand Mani Matter auf der Autobahn bei Kilchberg ZH
den Tod. Er war auf dem Weg zu einem Auftritt in Rapperswil gewesen, als
sein Wagen mit einem Lastwagen zusammenstiess.
Der
Tod des beliebten Liedermachers riss eine grosse Lücke in das Schweizer
Kulturleben - vor allem aber in seine junge Familie. 1963 hatte er Joy
Doebeli geheiratet, die beiden hatten drei Kinder: Sibyl, Meret und
Ueli.
Ab
1966 war der promovierte Jurist, der 1970 Rechtskonsulent der Stadt
Bern wurde, mit den Berner Troubadours unterwegs. Seine ersten Lieder
(z.B. «Ds Lotti schilet») hatte Radio Bern aber schon 1960 gesendet. Ab
1970 trat er immer mehr allein auf.
Auch nach seinem frühen Tod wurde Mani Matter nicht vergessen. 2002
ehrte die Stadt Bern den Chansonnier mit dem «Mani Matter Herbst».
Ihm zu Ehren wurde in Bern eine Strasse «Mani-Matter-Stutz» benannt.
Und
auch ausserhalb der offiziösen Kulturszene lebt der Berner Liedermacher
weiter, wie dieses im Frühjahr 2012 aufgenommene Bild eines Graffiti
auf einer Fussgängerbrücke über die Autobahn bei Bern zeigt.
Kommentar: Matter war er ein
höchst aufmerksamer Beobachter. Er vermochte die Texte verständlich, in
knappster, verdichteter Form wiederzugeben. Die Beschränkung auf das Wesentliche, machen
seine Texte eingängig. Sie sind heute noch
aktuell und beliebt. Matter vermied den erhobenen Zeigefinger oder die eindeutige
politische Parteinahme.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen