Dienstag, 10. Juli 2012

Zum Dilemma der Mütter
Zwei Meinungen prallen aufeinander:

Dürfen Mütter Mütter sein und im Interesse des Kindes auf die Karriere verzichten oder  müssen sie beides tun: Kind und Karriere.


Können Mütter alles haben?
Quelle TAGI online
Ich zitiere:
Nein, sagt Anne-Marie Slaughter, ehemalige Beraterin von Hillary Clinton – und sorgt mit einem Essay für mächtig Wirbel.


Eine Vorzeigefrau räumt mit Illusionen auf: Anne-Marie Slaughter.
Eine Vorzeigefrau räumt mit Illusionen auf: Anne-Marie Slaughter.
Bild: Keystone

Titelgeschichte mit grossem Echo: Cover von «The Atlantic».

Es gibt Themen, die provozieren – ohne dass sie es unbedingt wollen. Ein solches Reizthema ist die viel diskutierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, vor allem dann, wenn es um die raren Toppositionen in Wirtschaft und Verwaltung geht. Die wenigen Schweizer Mütter in Toppositionen – etwa Jasmin Staiblin, Susanne Ruoff oder Jeannine Pilloud – werden gerne als Beweis dafür aufgeführt, das alles möglich ist und Frauen wie Facebook-CEO Sheryl Sandberg gelten als «role models» für eine ganze Generation. (Lesen Sie auch: «Der Silicon-Effekt»)



Abschied von einer Illusion?



Nun räumt ausgerechnet eine weitere Vorzeigefrau mit den Illusionen auf. Anne-Marie Slaughter war bis 2011 Chefin des Planungsstabes im Aussenministerium von Hillary Clinton und damit an der Zentralstelle der Macht. Ein Job, den sie immer gewollt hatte. Der Job aber auch, den sie 2011 kündigte, und als Dozentin nach Princeton zurückkehrte, weil ihr pubertierender Sohn jede Menge Ärger machte und ihr mehr Kopfzerbrechen bereitete als die Aussenpolitik der USA. Familiäre Gründe für den Abschied von einer Topposition geltend zu machen, ist in den USA ein Tabubruch, galten familiäre Gründe doch als gute Umschreibung bei einer Kündigung, niemals aber als wahrer Grund.



Mehr als 170'000-mal empfohlen



Über die Gründe dafür hat sie lange nachgedacht und ein Essay im Magazin «The Atlantic» geschrieben mit dem Titel «Warum Mütter immer noch nicht alles haben können». Die Wirkung blieb nicht aus. Seit Erscheinen des Artikels vor gut einer Woche gibt es kaum eine amerikanische Postille, die nicht auf das Essay reagiert hat und es entweder gnadenlos zerfetzt oder geistreich kommentiert. Mehr als eine Million Mal wurde der Artikel online gelesen und mehr als 170'000-mal auf Facebook empfohlen. Die Debatte wurde in etlichen Blogs aufgenommen und hat auf Twitter zu einer lebhaften Debatte geführt. Aufgefahren wird das ganze Arsenal an Argumenten. Niemand könne alles haben, wird der Autorin vorgeworfen. Sie sei überprivilegiert, zynisch, weltfremd und verrate die Ideale des Feminismus, ist in den Kommentaren zu lesen. Sie erhält aber auch Beifall und Dankesworte.



Die Mutterschaft als Achillesferse des Feminismus



Die Debatte in Amerika ist in vollem Gange, doch auch in Europa dürften Feststellungen von Slaughter noch für einigen Zündstoff sorgen. Denn sie rücken die Achillesferse des Feminismus ins Zentrum des Interesses – die Mutterschaft. Mütter sind die Auslöser von Debatten, sei es wie kürzlich mit dem Titelbild des Nachrichtenmagazins «Time» und dem Thema der extremen mütterlichen Bindung, dem sogenannten «attachment parenting» (Lesen Sie auch: «Mamas Milchbubi»), sei es mit dem unsäglichen «Mommy War», der im Rahmen des amerikanischen Wahlkampfes inszeniert wurde. In der Schweiz wurde das Thema kürzlich bei der Veröffentlichung des Buches «Macho-Mamas» diskutiert. Die Reaktionen waren teilweise heftig und bösartig. Als «Ego-Mamas» wurden die beiden Autorinnen kritisiert.
Überrascht von den gehässigen Repliken, die ihr Essay ausgelöst hat, ist auch Anne-Marie Slaughter, wie sie in einem zweiten Beitrag einräumt. Sie wird als Verräterin an der Sache der Frau gebrandmarkt und das nur, weil sie ausspricht, was vielen Frauen schon lange bewusst ist: Formal gibt es keine Barrieren mehr, doch «das Ideal des amerikanischen Arbeitnehmers ist noch immer ein Mann, der rund um die Uhr einsatzbereit ist, weil seine Frau ihm den Rücken freihält». Das ist in Europa vielerorts nicht anders. Kritisiert wurde auch, das sei eine typische Reaktion von Überprivilegierten, die sonst keine Sorgen hätten. Ein Vorwurf, der im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Kind und Karriere immer wieder erhoben wird und nie ganz entkräftet werden kann. (Lesen Sie auch: «Schon wieder nicht befördert?»)



Neue Wendungen – neue Meinungsmacherinnen



Die Diskussion zeigt aber auch die neuen Wendungen und Protagonistinnen in einer alten Debatte. Während gerade in den USA, aber auch in Europa der mangelnde Ehrgeiz von Frauen kritisiert wird und gerne von einem «ambition gap» die Rede ist, setzt Slaughter nicht beim Ehrgeiz, sondern der fehlenden Akzeptanz für Familienangelegenheiten an.



Die Diskussion wird von der Spitze neu aufgerollt



Neu an der Diskussion ist, dass die Debatte von Frauen angeheizt wird, die selber an der Spitze stehen. Frauen wie Komikerin Tina Fey, Ministerin Kristina Schröder oder die Facebook-Chefin Sheryl Sandberg. Im Gegensatz zu früheren Vorkämpferinnen haben die Frauen selber Kinder und Männer, die eine sehr aktive Rolle in der Erziehung einnehmen. Geändert hat sich auch das Tempo der Debatte. Während früher Vordenkerinnen wie Betty Friedan, Alice Schwarzer oder Elisabeth Badinter Aufsätze und Abhandlungen zum Thema publizierten, wird heute unmittelbar reagiert. So entsteht in kürzester Zeit eine lebhafte Diskussion, auch zwischen verschiedenen Frauengenerationen. Zahlreiche jüngere Bloggerinnen mokierten sich über das klischierte Cover des Magazins, das billige Effekthascherei sei, genau wie der Titel, der suggeriere, dass überhaupt irgendjemand alles haben könne. Alternative Titel und Hashtags für die Debatte werden derzeit auf Twitter diskutiert. Als Alternative zum Hashtag «Alles haben» wurde etwa «Ein Leben haben» vorgeschlagen, was bei der Autorin Slaughter durchaus Gefallen gefunden hat.
Das unglaubliche Echo und die lebhafte Debatte, die durch den Beitrag von Slaughter ausgelöst wurde, zeigt, dass es «The Atlantic» einmal mehr gelungen ist, eine gesellschaftliche Debatte zu lancieren, wie es dem Magazin mit dem Artikel zum Ende der Ehe gelungen ist. (Lesen Sie auch: «Die Kündigung an den Mann»)
Anne-Marie Slaughter kommt zum Schluss, dass sich nicht die Frauen, sondern die Haltung ändern müsse. «Die Gesellschaft muss sich ändern. Die Entscheidung, die Familie vor den Beruf zu stellen, muss genauso wertgeschätzt und akzeptiert werden, wie die umgekehrte Entscheidung.»
Sheryl Sandberg hat übrigens auf den Artikel noch nicht offiziell reagiert. Die Autorin Slaughter hat von ihr aber eine E-Mail erhalten, wie sie in einem Interview sagte. Die Botschaft: Wir müssen noch mehr darüber sprechen und zwar bald.


Kommentar: Bei der Frage, ob eine Frau Mutter sein darf und lieber auf die Karriere verzichten möchte oder  ob sie unbedingt beides unter einen Hut kriegen soll: Karriere und Mutterrolle. Es geht vielfach  um die Positionen "Entweder oder" gegen ein "Sowohl als auch". Dieses Thema wird jedenfalls immer wieder heftig diskutiert. .
Mit der Aussage "niemand kann alles haben" traf Slaughter. die Archillesferse des militanten Feminismus.
Von den Frauen wird aus dieser Ecke mehr Ehrgeiz gefordert. Es passt nicht ins Frauenbild, dass es vor  allem  kinderlose Frauen an die Spitze schaffen. Eine Frau, die sich dem Kind widmet, wird gerne als Steigbügelhalterin des Ehemannes stigmatisiert. Nach meinem Dafürhalten solle man es jeder Frau selbst überlassen, wie sie die Bereiche MUTTER - JOB - KARRIERE gewichten will. Die Frau sollte frei entscheiden dürfen, für was sie sich entscheidet: Mutterrolle, Karrierefrau oder beides? Niemand dürfte stigmatisiert werden.
Eine Karrierefrau ist nicht apriori eine Rabenmutter, weil sie das Kind fremd betreuen lässt und eine Frau, die das eigenen Kind selbst in den ersten Jahren als enge Bezugsperson begleiten und prägen will, dürfte dies auch tun können ohne dass sie von Kolleginnen als Verräterin an der Emanzipation verschrieen wird.

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