Samstag, 24. März 2012

Analyse der ersten grossen Rede von Gauck

Quelle BILD:

Gauck tritt er ans Rednerpult und hält seine erste große Rede an die Deutschen.

Noch vor den ersten Worten dreht sich Gauck zu Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) um und dankt ihm, dass er auch von der „Freude im Amt“ gesprochen hat.

Dieser Präsident wird kein steifer Präsident, der sein Manuskript stur durchzieht, sondern ein wacher, munterer, heiterer Präsident.

Der erste Satz von Gaucks Rede setzt das Thema: „Wie soll es nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel `unser Land` sagen sollen?“

Dieser Präsident brennt auf sein Amt, will über die ganz großen Themen reden, über Deutschland!

„Ängste vermindern unseren Mut wie unser Selbstvertrauen manchmal so entscheidend, dass wir beides ganz und gar verlieren können – bis wir gar Feigheit für Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung im politischen Raum.“
Dieser Präsident will Mut machen, nicht nur den Menschen, sondern er schreibt auch den Politikern ins Stammbuch: Drückt euch nicht davor, unbequeme Dinge zu sagen und zu tun.

„Stattdessen will ich meine Erinnerung als Kraft nutzen, mich und uns zu lehren und zu motivieren.“

Die Erinnerungen Gaucks werden in seiner Amtszeit immer wieder durchscheinen. An ihnen wird er Gegenwart und Zukunft erklären.

„Trotz aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er verbanden, hat sie die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.“

Gauck würdigt die 68er-Generation, ohne sie zu idealisieren. Das freut seine Unterstützer bei den Grünen, die Union kann mit dieser Wertung aber auch gut leben.


„Das entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa ist ein weiteres kostbares Gut der deutschen Nachkriegsgeschichte. Konrad Adenauer, Kanzler des Landes, das eben noch geprägt und dann ruiniert war vom Nationalismus, wird zu einem der Gründungsväter einer zukunftsgerichteten europäischen Integration.“

Gauck wird den Pro-Europa-Kurs fortsetzen. Der Verweis auf Adenauer ist ein klares Zeichen an die Union.

„Es soll `unser Land` sein, weil 'unser Land‘ soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt.“

Signal an SPD und Linke: Gauck steht zum Sozialstaat und zu sozialer Gerechtigkeit. Aber er ist nicht für den Versorgungsstaat. „Ermächtigung“ ist eines seiner Schlüsselwörter: Jeder soll immer auch versuchen, selbst Kraft zu schöpfen.

„Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam treten, auch andere Sprachen, andere Traditionen. (...) Wir wären allerdings schlecht beraten, wenn wir aus Ignoranz oder falsch verstandener Korrektheit vor realen Problemen die Augen verschließen würden.“

Gauck setzt die Bemühungen um Integration seines Vorgängers Christian Wulff fort. Setzt aber eigene, deutlich kritischere Akzente.

„Nicht nur bei uns, sondern auch in Europa und darüber hinaus ist die repräsentative Demokratie das einzig geeignete System, Gruppeninteressen und Gemeinwohl-Interessen auszugleichen.“

Gauck ist ein überzeugter Demokrat, weil unsere Demokratie offen und lernfähig ist.

„Und speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.“

Klare Kampfansage an Nazis und Neonazis. Besonders lauter Applaus von den Antifa-Aktivisten der Linkspartei.

„Meine Bitte an Regierende wie Regierte: Findet euch nicht ab mit dieser zunehmenden Distanz. Für die politisch Handelnden heißt dies: Redet offen und klar, dann kann verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.“

Gauck will gegen Politikverdrossenheit kämpfen und scheut sich nicht, Politikern und Bürgern unbequeme Dinge zu sagen.

„Zuletzt bitte ich Sie um Vertrauen in meine Person. Davor aber bitte ich Sie um Vertrauen zu denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, wie ich diese um Vertrauen zu all den Bewohnern dieses wieder vereinigten und erwachsen gewordenen Landes bitte. Und davor wiederum bitte ich Sie, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen.“

Dieser Präsident ist Pfarrer, und man wird es immer wieder spüren, wenn er Menschen anspricht, wenn er zu uns allen redet und bei allen Themen auch die Gefühle anspricht.

„Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.“

Dieser Präsident wird sein Christentum nicht verstecken, sondern offen, werbend leben.


KOMMENTAR: Die Rede war pastoral. Kommentatoren fanden zwar, Gauck habe geredet und fast nichts gesagt. Ich finde, Gauck hat es immerhin fertig gebracht, alle anzusprechen. Selbst die Linken, die ihn vor der Wahl nicht unterstützt hatten, schätzen die deutliche Positionierung gegen den Rechtsextremismus und das Einstehen für die soziale Gerechtigkeit. Selbst der umstrittene Vorgänger kam noch zu Ehren. Die Kernworte
MUT
SELBSTVERTRAUEN
stellte der ehemalige ostdeutsche Theologe  in den Mittelpunkt.
Ich gehe davon aus, dass diese "Predigt" selbst geschrieben wurde.  Gauck glückte jedenfalls mit dieser emotionalen Rede ein würdiger Einstand und er baute damit das Fundament zum Vertrauen, das beim Vorgänger leider verloren gegangen war.
Gauck hat die Medien, die Parteien und die Bevölkerung überzeugt.
 

Nachtrag ZEIT:


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