Trotz Kritik und mangelnder Unterstützung versucht er es mit der Methode Sesselkleben - wahrscheinlich erfolgreich
Neue Fragen an den Bundespräsidenten zermürben die CDU-Wahlkämpfer in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
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Holger Hollemann/dpa
Die Affäre um Christian Wulff geht inzwischen in die sechste Woche, das Publikum schwankt zwischen Abwinken und Medienschelte. In der CDU allerdings wächst die Wut. Wut auf Wulff und dessen Unfähigkeit, einen Schlussstrich unter die Affäre zu ziehen. Im Mai wird in Schleswig-Holstein gewählt, im kommenden Jahr in Niedersachsen. Die Wahl zum Kieler Landtag entscheidet auch über die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und damit über das Schicksal der schwarz-gelben Koalition im Bund. Selbst Neuwahlen schließen Regierungsmitglieder nicht aus, wenn das kleine Schleswig-Holstein für CDU und FDP verloren gehen sollte und Merkel nicht mehr ohne die SPD regieren könnte.
Schon vor der Affäre Wulff standen die Chancen in Schleswig-Holstein nicht gut, die CDU dort kämpft nach der Affäre ihres einstigen Spitzenmanns Christian von Boetticher mit einer Minderjährigen um ihr Image, der liberale Koalitionspartner FDP kämpft um seine Existenz. Der Fall Wulff könne die Koalition in Kiel den Wahlsieg kosten, schimpft der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki. In der CDU hält man das für den Versuch, schon jetzt einen Sündenbock zu finden, falls die FDP auch im Norden abschmiert. Doch auch in der Union liegen die Nerven blank. Der Bundespräsident, so die Sorge, könnte sich von einem Problem zu einem handfesten Schaden entwickeln.
»Christian Wulff sollte in den Kernfragen, die an ihn gerichtet werden, Klarheit schaffen und eine Lage herstellen, in der es keine Mehrdeutigkeiten mehr gibt und die Menschen wieder Vertrauen in seine Worte haben«, drängt Jost de Jager. Seit dem Fernsehauftritt des Präsidenten vor zwei Wochen sind fast täglich neue Fragen aufgetaucht. Manchmal geht es um Kleinigkeiten: Muss ein Politiker mitbekommen, wer dafür bezahlt, wenn er statt in einem normalen Doppelzimmer in einer Suite übernachtet? Manchmal geht es um alles: Hat Wulff auch als Staatsoberhaupt gelogen?
Zwischen Präsidialamt und Medien tobte lange ein teilweise skurriler Streit um die Veröffentlichung von Frage- und Antwortlisten, es geht ums Rechthaben und ums Machthaben.
Kommentar: Wie lange tut sich der Mann das noch an? Seit Wochen steht der Bundespräsident in der Dauerkritik. Medien durchforsten Ehe, Finanzen und Freundschaften. Sein Ruf ist längst beschädigt und es besteht die Befürchtung, dass er das Amt gar nicht mehr richtig ausüben kann. Wulff ist zwar noch im Sattel - aber ohne Würden. Der deutsche Bundespräsident hat nicht die Grösse des Nationalbankpräsidenten Hildebrand in der Schweiz, der selbst zurückgetreten ist und dafür sehr wahrscheinlich innert Kürze wieder einen guten Job haben wird.
Wulff der Nichtzurücktreter, der Sesselkleber
Der Bundespräsident kann gemäss Verfassung nicht entlassen werden. Er will nicht gehen und residiert immer noch im Schloss Bellevue. Die Aussichten sind zwar weniger schön als es der Name "belle Vue" sagt.
Wulff geht davon aus, dass er nichts Unrechtes getan hat. Psychologisch und politisch betrachtet stimmt dies leider nicht.
Die Geschichten mit den Gratisferien bei reichen Freuden, die Liebe zu Upgrades in der Business Class, der fragwürdige Hauskredit, die Drohungen am Telefon gegen Chefredakteure, das Nichteinhalten von Versprechen. (Soeben ist in der "Berliner Zeitung" neu zu lesen, dass Bettina Wulff sogar nach Bekanntwerden der zahlreichen Vorwürfe einen Audi-Geländewagen zu eine Sonderkredit bezog und das Kind vom Autohändler einen Bobby-Car geschenkt erhielt. Die Wulffstory nimmt immer groteskere Züge an. Aber das Ganze ergibt das Bild eines Schnäppchenjägers. Obschon die Kanzlerin Wulff stützt, hat Angela Merkel gemerkt, dass sie mit dem Bundespräsidenten im Davos (WEF) keinen Staat machen kann und liess ihn zu Hause (Die offizielle Verlautbarung: Aus terminlichen Gründen kann der Bundespräsident in Davos nicht anwesend sein).
Wulffs Vorbilder sind möglicherweise Politiker mit Durchhaltewillen, wie:
Franz-Josef Strauss ging über unzählige Skandale einfach hinweg.
Helmut Kohl hat das Aussitzen von Vorwürfen und Angriffen perfektioniert.
Die Technik ist einfach. Immer so tun, als sei nichts geschehen und unter Umständen zum Gegenangriff übergehen.
Das jüngste Beispiel ist der Oberbürgermeister von Duisburg Adolf Sauerland. Seine Regierung hatte die Planung des Love-Parade Unglück von 2010 bewilligt mit 21 Toten und Hunderten von Verletzten. Er ist immer noch im Amt, trotz Unterschriftensammlung und wochenlangen Protesten.
So gesehen - kann sich Wulff auf diese "Vorbilder" beziehen und sich demnächst in die Reihen der Nichtzurücktreter einreihen lassen.
Eines steht fest, Wulff kann es sich nicht leisten, dass er noch weitere Wochen als peinliches Medienthema von der eigentlichen Arbeit abgehalten wird und seinem Image schadet. Mit ein Grund für den harten Massstab am Wirken des Bundespräsidenten ist der Umstand, dass er als Politiker in der Vergangenheit, wenn es um Vetternwirtschaft oder von der Vermischung von Privatm und Persönlichen ein strenger Moralapostel war.
Heute
misst man Wulff an seiner Aussage aus dem Jahre 2000, als er über
Johannes Rau gesagt hatte (Dieser stand als SP Politiker wegen
fremdfinanzierter Flugreisen in der Kritik):
"Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben."
Peinlichkeit ist und bleibt ein negativer Faktor, der heute genauso auf den Fall Wulff übertragen werden kann.
Nachtrag Spiegel:
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