Der Bundesrat hat aus den früheren Kommunikationsfehlern nichts gelernt. Die Pannen reissen nicht ab. Indiskretionen, widersprüchliche Aussagen, Streit zwischen einzelnen Magistraten usw. SO KANN UND DARF ES NICHT WEITERGEHEN. Ich zweifle daran, dass die persönlichen Spannungen mit externen Beratern behoben werden könnten.
Bei meinen Fällen habe ich gesehen, dass Brüche auf der Beziehungsebene oft nicht mehr zu kitten sind. Wer in einem Team innerlich getroffen wurde - wenn sich auf der emotionalen Ebene ein breiter Graben aufgetan hat, kann dieser Bruch in der Regel nicht mehr überbrückt werden. Das habe ich bei verschiedenen Teams in Spitälern oder Schulen erlebt. Wer glaubt, es gebe gleichsam ein Wundermittel, um alle gravierenden Wunden auf der Beziehungsebene heilen zu können, stellt in der Praxis fest: Brüche bleiben leider vielfach zeitlose Brüche. Eine Trennung ist dann sinnvoll.
Ich habe das Gefühl, dass auch beim derzeitigen Bundesrat irreparable Beziehungsstörungen die Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigen.
Bundespräsidentin Doris Leuthard spricht bewusst von «Einsatzbefehl», der für eine militärische Befreiungsaktion der Schweizer Geiseln in Libyen erteilt worden sei, der Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation widerspricht, der CVP-Parteipräsident tadelt seine Bundesrätin.
Unter Druck: die Bundesrätinnen Micheline Calmy-Rey (links) Doris Leuthard (rechts)(Bild: Keystone)
Infografik Timeline: Die Affäre Gaddafi GPK-Bericht zu Libyen verzögert sich Wegen vertiefter Abklärungen zu den Plänen zur Befreiung der beiden Schweizer Geiseln, liegt der Libyen-Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) erst nächstes Jahr vor. «Wir können den Bericht nicht vor Frühjahr 2011 abschliessen», sagt Subkommissionpräsident Peter Briner gegenüber der SonntagsZeitung. Die Kommission habe beschlossen, bis November eine Reihe zusätzlicher Anhörungen vorzunehmen. «Auch die GPDel wird weitere Abklärungen treffen», so Briner. Schweiz droht weitere Zahlung an Libyen Als Entschädigung für die Veröffentlichung der Polizeifotos von Hannibal Ghadhafi hat die Schweiz 1,5 Millionen Franken an Libyen bezahlt - und das könnte noch nicht alles sein. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, könnte nochmals eine Zahlung der Schweiz fällig werden, und zwar dann, wenn das internationale Schiedsgericht zum Schluss kommt, die Verhaftung von Hannibal Ghadhafi in Genf sei unrechtmässig gewesen. Diese Bestimmung steht in dem Abkommen, das Bundesrat Hans-Rudolf Merz 2009 mit Libyen unterzeichnet hatte. Die Bestimmung über diese zweite Zahlung hat weiterhin Gültigkeit, denn der Aktionsplan, den Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am 13. Juni unterzeichnet hat, nimmt explizit auf dieses Abkommen Bezug.Leuthards Verhältnis zu Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ist offenbar auf einem Tiefpunkt angelangt. Letzterer wird vorgeworfen mit der Planung militärischer Befreiungsaktionen ihre Kompetenzen überschritten zu haben. Finanzminster Hans-Rudolf Merz, der nichts davon gewusst haben will, sei doch im Bild gewesen.
Auch diese Wochenende zeichnet die Sonntagpresse ein Bild des Bundesrats als zerstrittene, intrigante Einzelkämpfer im Dauerwahlkampf. Selbst Alt-Bundesräte fordern nun: Wechselt die Regierung aus!
«Irreparables Zerwürfnis» zwischen Leuthard und Calmy-Rey
Doris Leuthard hatte von «Einsatzbefehl» für eine Befreiungsaktion gesprochen. Der Wortwahl der Bundespräsidentin in ihrer Erklärung am vergangenen Montag liegen offenbar handfeste politische Differenzen mit Calmy-Rey zugrunde, berichtet der «Sonntag». In ihrem Departement wird von einem «irreparablen Zerwürfnis» zwischen Leuthard und Calmy-Rey gesprochen, in einem anderen heisst es gar, dass «ohne Rücktritt der Bundesrat nicht wieder funktioniert».
Hintergrund des Zerwürfnisses: Leuthard hält das Vorgehen von Calmy-Rey für unverantwortlich. Juristisch ist die Affäre mit der Weisung an EDA und VBS, die Regierung künftig früher zu involvieren, zwar abgeschlossen. Leuthard will jedoch politische Folgen. Entsprechend sybillinisch kommuniziert sie.
Allerdings gerät damit jetzt auch Leuthard zunehmend in die Kritik. Als «falsch» bezeichnet GPDel-Präsident Janiak gegenüber dem «Sonntag» die Wortwahl der Bundespräsidentin: «Einsatzbefehl hiesse, es gab ein ‹Go› für eine Militäraktion. Ein ‹Go› hat es aber nie gegeben.»
Im Interview mit der «NZZ am Sonntag» kritisiert auch CVP-Präsident Christophe Darbellay CVP-Bundesrätin Leuthard. Ihre Erklärung habe nicht beruhigend gewirkt. Zum Beispiel habe die Verwendung des Begriffs «Einsatzbefehl» eher Verwirrung gestiftet als Klärung gebracht. Darbellay kritisiert aber auch den Gesamtbundesrat, der nicht bereit ist, eine tiefgreifende Regierungsreform anzupacken. Der Vorschlag, das Präsidium um ein Jahr zu verlängern, sei «unambitiös und ungenügend». Er verlangt stattdessen ein vierjähriges Präsidium, das an das Aussenministerium gekoppelt ist.
Kritik an Calmy-Rey
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat bei der Planung einer möglichen Geiselbefreiung in Libyen durch das Aufklärungs-Armeedetachement AAD 10 Rechtsgrundlagen verletzt. Zu diesem Schluss kommt nicht nur das juristisches Gutachten, das Bundespräsidentin Doris Leuthard in Auftrag gegeben hat, sondern auch ein zweites unabhängiges Gutachten der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). «Unsere juristischen Abklärungen sind zur gleichen Einschätzung gekommen wie das Gutachten von Leuthard», bestätigt SP-Ständerat und GPDel-Präsident Claude Janiak gegenüber dem «Sonntag».
Auch der ehemalige Verteidigungsminister Samuel Schmid und Armeechef André Blattmann müssen sich Kompetenzüberschreitungen vorwerfen lassen. Konkret werden dem EDA und dem VBS vorgeworfen, die «Verordnung über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland VSPA» missachtet zu haben. Da Armeechef Blattmann zweimal Befreiungsaktionen ausarbeiten liess – bis hin zu konkreten Einsatzbefehlen, die dann die Regierung nur noch hätte bewilligen müssen – hätten die Pläne gemäss Verordnung in den Bundesrat gehört, so die Gutachten.
Auch hätten bei derart fortgeschrittenen Planungen die Präsidenten der Aussen- und Sicherheitspolitischen Kommission in Kenntnis gesetzt werden müssen. «Ich wurde nie informiert», sagt jedoch Grünen-Nationalrat Geri Müller, der im entscheidenden Zeitraum APK-Präsident war. Auch die SIK-Präsidenten wussten von nichts.
Calmy-Rey: militärische Option nur vertieft geprüft
Micheline Calmy-Rey stellt sich gemäss «Sonntag»-Informationen auf den Standpunkt, die konkrete Ausarbeitung möglicher AAD 10-Einsätze habe nur der fundierten Prüfung der «militärischen Option» gedient, weshalb der Einbezug des Gesamtbundesrates gemäss VSPA nicht nötig gewesen sei. Die Gutachten stützen diesen Standpunkt nicht. Trotzdem hielt die Aussenministerin letzten Dienstag in einer APK-Befragung an ihrer Darstellung fest, man habe Armee-Einsätze nur als «Option» geprüft.
Selbst in ihrer Partei wird Kritik am Vorgehen von Micheline Calmy-Rey laut. «Sie hat verbotene Zonen betreten», sagt SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr. «Ein Armee-Einsatz in Libyen hätte gegen Völkerrecht verstossen und deshalb nicht einmal geprüft werden dürfen». Auch Grünen-Nationalrat Daniel Vischer spricht von einem «gravierenden Rechtsbruch» und sagt: «Die Luft ist für alle Beteiligten dünn geworden.»
Streit zwischen Schweizer Botschafter und Calmy-Rey
Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr in die Schweiz äussert sich der ehemalige Schweizer Botschafter in Tripolis Daniel von Muralt zur Libyen-Affäre. Wie von Muralt gegenüber der SonntagsZeitung sagt, erreichte die Schweiz dank eines Geheimdeals mit einem Ghadhafi-Vertrauten die Freilassung einer dritten Schweizer Libyen-Geisel. Zwischen ihm und seiner Chefin Micheline Calmy-Rey hätten fundamentale Meinungsverschiedenheiten bestanden. Dabei sei es um ein Angebot der Libyer für eine frühe Beilegung der Krise sowie um den Kontakt zu Ghadhafi-Sohn Saif al-Islam gegangen.
Merz war im Bild
Hans-Rudolf Merz wusste bereits zu Beginn seines Bundespräsidialjahres 2009 von den Plänen für eine Befreiung der beiden Schweizer Libyen-Geiseln Max Göldi und Rachid Hamdani, schreibt die SonntagsZeitung. Merz wurde mindestens zwei Mal darüber informiert. Einmal unterrichtete ihn Altbundesrat Pascal Couchepin, als dieser Ende 2008 das Bundespräsidium an Merz übergab. Eine weitere Information erfolgte im Januar 2009 vor dem WEF in Davos. Damals wurden Treffen des Bundesrats mit Ghadhafi-Sohn Saif al-Islam vorbereitet. Bislang ist man davon ausgegangen, Merz habe von den Plänen keine Kenntnis gehabt.
Ex-Bundesräte: Wechselt die Regierung aus!
Es ist ein wohl einmaliger Vorgang: Die Zerstrittenheit der Bundesräte besorgt deren Vorgänger so sehr, dass einige von ihnen jetzt sogar Rücktritte fordern. Im «Sonntag» sagt Elisabeth Kopp (73, FDP): «Es tut mir weh zu sehen, dass das Ansehen der Landesregierung bröckelt. Um wieder Einigkeit und Führung zu erlangen, müssen wir nicht das System ändern, sondern Personen auswechseln.»
Otto Stich (83, SP) sagt: «Es hängt von den Köpfen ab, ob der Bundesrat als Kollegialbehörde funktioniert oder nicht. Es ist Zeit für Erneuerungen. Es braucht einen Wechsel. Das Ziel muss sein, Persönlichkeiten im Bundesrat zu haben, die kollegial regieren wollen und können.» Stichs Befund ist eindeutig: «Nach meinem Eindruck haben wir heute keinen Bundesrat, sondern sieben Einzelmasken.»
Als «besorgniserregend» bezeichnet alt Bundesrat Rudolf Friedrich (86, FDP) den Zustand der Landesregierung. Friedrich fordert institutionelle Reformen – und neue Köpfe: «Mit den jetzigen Bundesräten wird das nicht mehr gut kommen, die Gräben sind zu tief.»
Adolf Ogi (67, SVP) wiederum warnt: «So kann das nicht weitergehen. Die Schweiz wird unregierbar!» Bundesräte würden «permanent Wahlkampf machen.» Ogi sieht Bundespräsidentin Doris Leuthard in der Pflicht: «Sie hat die Fähigkeiten, das Gremium zusammenzuhalten, hat es aber bisher nicht geschafft.»
Am Freitag traf der amtierende Bundesrat die ehemaligen Bundesräte. Von den 17 eingeladenen Ex-Magistraten, die noch leben, erschienen gemäss "Sonntag" aber nur 8: Pierre Aubert (83-jährig, SP), Flavio Cotti (70, CVP), Joseph Deiss (64, CVP), Ruth Dreifuss (70, SP), René Felber (77, SP), Arnold Koller (76, CVP), Ruth Metzler (46, CVP) und Samuel Schmid (63, BDP).
Wenn Alt- Bundesräte sich in den Medien über die Arbeit des amtierenden Rates äussern, finde ich dies schlecht. Wer zurückgetreten ist, müsste die Grösse haben, leiser zu treten. Das gilt überall. Auch Röbi Kuhn hätte nach der Niederlage unserer Nati schweigen müssen und als Vorgänger keine öffentliches Urteil mehr fällen dürfen. Dieses nachträgliche Einmischen hatte mich schon früher bei den Bundesräten Dreifuss und Stich stets gestört.
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