Mittwoch, 26. Mai 2010

Merkel laufen starke Männer davon

Das Machtgefüge in Berlin gerät ins Wanken. Roland Koch, der gestern seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern angekündigte, galt stets als innerparteilicher Rivale der Kanzlerin. Nach der katastrophalen Wahlniederlage 2008 war es zwar ruhig geworden um ihn. Nur wegen strategischer Fehler der SPD gelang es Koch damals, Ministerpräsident zu bleiben. Doch vor wenigen Wochen kehrte er mit Getöse auf die nationale Bühne zurück.

Lautstark forderte er in den vergangenen Wochen rigorose Sparmassnahmen – unter anderem auch bei der Bildung und der Kleinkindererziehung. Kanzlerin Merkel soll den Vorstoss als «Kriegserklärung» verstanden haben, heisst es aus ihrem Umfeld. Denn Koch griff ausgerechnet jene Bereiche an, die sie von Budgetkürzungen verschonen wollte.

Ich vertrat verschiedentlich die Meinung, wenn gespart werden müsste, sollte man überall die Schere ansetzen. Dass die Kanzlerin Bereiche vom Sparprogramm völlig ausgeklammert hatte, war mir unbegreiflich. Doch der Konflikt hat tiefergehende Wurzeln: Koch galt als eine Art inoffizieller Anführer des konservativen CDU-Flügels, der unter Merkel reichlich gestutzt worden war. Nun nutzte er die momentane Schwäche der Parteichefin um seinen Frust los zu werden.

(Ich zitiere Tagi)

Merkel hält interne Widersacher im Zaum

Der Angriff aus Hessen hat die Kanzlerin in der Tat im bisher schwierigsten Moment ihrer Amtszeit getroffen. Deutschland muss Milliarden zur Rettung der europäischen Einheitswährung aufwerfen und gleichzeitig im eigenen Budget den Rotstift ansetzen – ein Widerspruch, den viele Bürger nicht verstehen. Dazu kommt eine grosse Verunsicherung in den eigenen Reihen. Die schwarz-gelbe Koalition ist zerstritten, die Umfragen sind mies.

Doch offenbar hat Merkel immer noch die Kraft, interne Widersacher im Zaum zu halten. Koch soll darauf spekuliert haben, sich als Nachfolger des häufig kranken Finanzministers Wolfgang Schäuble an den Kabinettstisch setzen zu dürfen – oder sonst in Berlin wieder eine Rolle zu spielen. Die Kanzlerin hat ihm angeblich bedeutet, das komme nicht in Frage. Einen wie Koch wolle sie nicht in ihrer Regierung. Der Hesse zog die Konsequenzen.

Ein Rückblick:

(Bild)

Portrait
Roland Koch

Der Paukenschlag des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, ein angekündigter Rückzug stürzt die CDU in Ratlosigkeit und wirft unter Christdemokraten viele Fragen auf.

Bild stellt einige der zentralen Fragen:

Warum laufen Angela Merkel die starken Männer davon?

Merkel hat sich machtpolitisch als stärker erwiesen. Aus Kochs Generation hat sich mancher CDU-Politiker die Kanzlerschaft zumindest zugetraut – Koch genauso wie wohl der Niedersachse Christian Wulff, Jürgen Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen und auch der Sauerländer Friedrich Merz, der einst die Unions-Bundestagsfraktion führte, bis er den Posten an Merkel abgeben musste. Und am Ende wurde eben Merkel Kanzlerin. Die meisten starken CDU-Männer aus Merkels und Kochs Generation blieben trotzdem. Aber sie mussten ihre Ambitionen aufs Kanzleramt begraben

Geblieben sind allerdings die Klagen vieler ranghoher Unionspolitiker, Merkel sei zu misstrauisch gegenüber anderen starken Unionspolitikern, binde sie nicht genügend ein. Das schafft bei etlichen Frust.

Was bedeutet der Rückzug für Angela Merkel?

Der Verlust für die Parteichefin ist enorm: Mit Koch geht einer der letzten profilierten Vertreter des konservativen Flügels, dem schon Ex-Fraktionschef Friedrich Merz und Brandenburgs Ex-Innenminister Jörg Schönbohm fehlen. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sprach es gestern offen aus:

„Man muss eben sehen, dass man gute Leute hält, und man muss sich schon Gedanken machen, wenn man gute Leute verliert, das ist einfach auch eine Botschaft des Tages.“

Als Wirtschafts- und Finanzexperte ist Koch unumstritten, verhandelte den schwarz-gelben Koalitionsvertrag mit. Angela Merkel schätzt ihn wegen seiner politischen Standfestigkeit und Verlässlichkeit. Koch ist trotz mancher Differenzen ihr Mann im Bundesrat.

Droht der CDU die Gründung einer neuen, rechten Partei?

Das ist nicht auszuschließen: Gerade im Westen – NRW, Baden-Württemberg, Hessen – fühlen sich konservative und katholische Wähler von der CDU immer weniger vertreten. Sie sind das Potenzial für eine Neugründung, die z. B. bei den Themen Wirtschaft und konservative Werte die CDU ähnlich schwächen wie auf der anderen Seite die Linkspartei die SPD.

Wie reagierte die CSU auf den Rücktritt?

Parteichef Horst Seehofer: „Mit Roland Koch verliert die konservative Grundströmung in der Union einen besonders ausgewiesenen und kompetenten Vertreter.“ Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber sagte, Koch habe „mit seinem Mut zur Auseinandersetzung entscheidend zur Entwicklung der deutschen Politik“ beigetragen.

Meine Prognose: Angela Merkel wird alle Wirren überstehen. Es ist hinlänglich bekannt, dass sich Kohls bescheidenes "Mädchen" zu einer Machtpolitikerin durchgemausert hat, die es immer verstanden hat, Rivalen oder politische Konkurrenten geschickt und konsequent aus dem Weg zu räumen. Bis jetzt hatte sie stets Erfolg und sie wird auch jetzt alles tun, um die Macht nicht aus den Händen geben zu müssen. Ich vermute, dass sie dafür auch Koalitionen eingehen würde, die man sich vorher nie hat vorstellen können. Es muss berücksichtigt werden, dass die Kanzlerin aus der früheren DDR alle Ränkespiele und Intrigen kennt, die angewendet werden können, um sich durchzusetzen.

Nachtrag Spiegel:

Kann sie das noch drehen? Welche konkreten Herausforderungen muss Merkel nun bewältigen? SPIEGEL ONLINE zeigt die sieben Plagen der Kanzlerin:

Plage I: Die Spardebatte. Die Steuersenkungsphantasien hat Schwarz-Gelb der Realität geopfert, nun geht es ans Sparen. Die Herausforderung ist gewaltig, zehn Milliarden Euro beträgt der jährliche Konsolidierungsbedarf ab 2011. Bisher hat Merkel nur die Tabus genannt: Bildung und Forschung. Wo sie die Sense ansetzt, darüber will die Regierung auf ihrer Sparklausur in einer Woche diskutieren. Protest ist programmiert. Das zeigt die Reaktion auf die Streichpläne im Wehretat Zum Ärger der Kanzlerin spekuliert mancher aus den eigenen Reihen schon über Steuererhöhungen oder höhere Abgaben . Fest steht: Zu gewinnen gibt es für Merkel in dieser Debatte wenig - weder in den eigenen Reihen noch beim Wähler.

Plage II: Die Finanzkrise. Einst wurde Merkel als "Miss Europe" gefeiert. Der Glanz ist verblasst, das Magazin "Newsweek" kürte sie jüngst zur "Zeitlupen-Kanzlerin". Die EU-Partner werfen der Kanzlerin vor, die Euro-Krise mit ihrer zögerlichen Haltung in der Frage der Griechenland-Hilfen verschärft zu haben. Auch im Rest der Welt finden Merkels Vorstösse zur Bewältigung der Finanzkrise derzeit wenig Anklang: Die USA sind über den deutschen Alleingang beim Verbot von Leerverkäufen irritiert, die Prioritätensetzung auf den Defizitabbau und Merkels plötzlicher Einsatz für eine weltweite Finanztransaktionssteuer sorgen für Kopfschütteln. Ein Erfolg des G-20-Gipfels Ende Juni in Kanada rückt in weite Ferne.

Plage III: Der Problempräsident. Erst schien Horst Köhler monatelang völlig abgetaucht. Dann knöpfte er sich im März ausgerechnet Merkels Regierung vor: "Das Volk erwartet jetzt tatkräftiges Regieren. Daran gemessen, waren die ersten Monate enttäuschend." Nun sorgte er nach einem Besuch in Afghanistan für Irritationen: Weil er in einem Interview deutsche Wirtschaftsinteressen mit Bundeswehr-Einsätzen verknüpfte, werfen ihm Kritiker gar "imperialen Zungenschlag" vor . SPD, Grüne und Linke zeigen sich empört; in Union und FDP ist man nicht amüsiert. Köhler sollte einst die schwarz-gelbe Symbolfigur sein, Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle hoben ihn 2004 auf den Schild. Nun vergleicht ihn Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin schon mit dem Pannenpräsidenten der sechziger Jahre, dem CDU-Mann Heinrich Lübke. Für Merkel ein großes Problem, könnte ein rhetorisch starker Bundespräsident in Krisenzeiten doch ein perfekter Polit-Partner einer pragmatischen Kanzlerin sein. Plage IV: Die NRW-Pleite. Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen wollte Schwarz-Gelb in Berlin nicht regieren, nach der Wahl können sie nicht mehr recht - die Bundesratsmehrheit ist futsch. Besonders traurig darüber, dass ihr Rivale Jürgen Rüttgers vom Wähler kleingemacht wurde, ist Merkel zwar nicht. Aber dass die CDU auch weiterhin den Ministerpräsidenten stellt, ist in ihrem Interesse. Doch die Gespräche über eine Große Koalition in Düsseldorf werden schwierig. Und vielleicht braucht Merkel in der engsten Parteiführung bald auch einen Ersatz für Rüttgers. Plage V: Die Koch-Lücke. Für den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch jedenfalls muss schnell Ersatz her, der Mann hat seinen Rückzug zum August angekündigt. Der rhetorisch brillante Koch mit dem Image des Konservativen und einem Ruf als Wirtschaftsexperte lag oft über Kreuz mit der Kanzlerin. Doch für die Stammwählerschaft ist er eine Marke gewesen. Koch war das politische Kontrastmodell zu Merkel. Es komme darauf an, "so schnell wie möglich der Wirtschaftskompetenz wieder ein Gesicht zu geben", mahnt der CDU-Wirtschaftsrat die Kanzlerin. Plage VI: Die Revanche des Andenpakts. Ist nach Kochs Rückzug aus der Politik die Runde mächtiger westdeutscher CDU-Männer wirklich am Ende? Tatsächlich war Roland Koch einer der wichtigsten Paktpartner. In Unionskreisen allerdings kursieren ganz andere Gerüchte: Dass der Andenpakt noch einmal angreifen, dass er im Ernstfall gar schon beim Bundesparteitag im November Merkel vom Parteivorsitz verdrängen könnte. Fakt ist: Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff ist jetzt der letzte starke Mann der Runde. Es gibt keine ebenbürtigen Rivalen mehr. Ausgerechnet am vergangenen Wochenende, kurz vor Kochs Rückzugsankündigung, traf man sich in Barcelona. Die Stimmung sei so gut wie selten gewesen, berichten Teilnehmer. Besonders selbstbewusst in Spanien: Christian Wulff . Der Mann hat auch allen Grund dazu. Daheim in Hannover hat er mit David McAllister bereits einen Nachfolger aufgebaut, bundespolitisch machte er gerade von sich reden, weil er erstmals eine Muslima ins Kabinett holte. Und den Koch-Rücktritt kommentierte er mit Merkel-kritischen Worten. Die Kanzlerin ist gewarnt. Sie weiß um das Schicksal ihres SPD-Vorgängers Gerhard Schröder; der gab erst den Parteivorsitz ab, bald darauf verlor er auch die Regierungsmacht.

Plage VII: Die Koalitionspartner. Es steht nicht gut um die FDP. Parteichef Westerwelle ist in Umfragen der unpopulärste Minister des Kabinetts, in der politischen Stimmung ermittelten die Meinungsforscher für die Liberalen zuletzt einen Splitterparteiwert von drei Prozent. Und wie bloß wollen die Freien Demokraten noch punkten? Ihr Lieblingsthema Steuersenkungen hat die Kanzlerin eiskalt abgeräumt, nachdem das schwarz-gelbe NRW-Wahldebakel die Bundesratsmehrheit weggefegt hat. Merkel muss nun in wichtigen Fragen auf die SPD zugehen, die FDP aber wird ihren Bedeutungsverlust nicht einfach so hinnehmen. Ärger droht der Kanzlerin auch von der Schwesterpartei: Nach Wochen der Ruhe hat CSU-Chef Horst Seehofer gerade eine klare Kampfansage gemacht: Die Zurückhaltung habe nichts gebracht. Nun sei mit ihm wieder zu rechnen.

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