Montag, 2. November 2009

Zur Medienschelte des Bundespräsidenten Merz

Ich zitiere einen Politologen im Blick:

Politologe Lukas Golder hat Verständnis für Merz – aber auch für die Kritik an ihm.

Merz beschwert sich, dass die Journalisten nur kritisierten, aber keine Vorschläge lieferten, wie die Geiseln heimzuholen wären. Wäre das denn Aufgabe der Medien?

Früher galt die Überwachung der Politik als zentrale Aufgabe der Presse, eigene Vorschläge wurden von ihr nicht erwartet. Doch in den letzten Jahren sind die Zeitungen eigenständiger und politischer geworden. Ein Beispiel: Samuel Schmid musste harsche Kritik für seine Politik im VBS einstecken – gleichzeitig haben aber auch viele Medien konstruktive Vorschläge gemacht, wie die Armee zu reformieren wäre. In der Libyen-Frage ist das schwieriger, weil die Regierung in der Aussenpolitik freie Hand haben sollte. Eine zentrale Anregung der Medien gilt aber nach wie vor: Merz sollte besser kommunizieren.

Merz ist stark in der Defensive, weil immer neue, für ihn unangenehme Details auftauchen. Hat er denn «nur» ein Kommunikationsproblem?

Die Rolle von Merz muss sicher kritisch diskutiert werden: Er inszenierte sich schnell als Weisser Ritter und Macher, steht nun aber nur als Ankündigungsminister da. Diplomatie wird heute immer stärker zu einem öffentlichen Prozess. Da kann es sinnvoll sein, die Medien einzuspannen – etwa um Druck auf den Verhandlungspartner zu erzeugen. Aber dafür muss man strategisch denken können und zum richtigen Zeitpunkt das Richtige kommunizieren. Merz hätte besser einige Tage mit seiner Medienoffensive zugewartet. Mit seinem Kniefall vor Gaddafi hat er zudem grosse Erwartungen geweckt, die er nie erfüllen konnte.

Bei einigen Politikern gelten die Medien als Sündenböcke: Nur wegen der aufgeregten Berichterstattung seien die Geiseln noch nicht frei. Müssen die Medien Selbstzensur üben?

Nicht in jedem Fall überwiegen das öffentliche Interesse und der Wunsch nach Transparenz. Gerade in der Aussenpolitik ist Diskretion oft zentral. Es geht zwischen Ländern ähnlich wie im Schweizer Bundesrat darum, Kompromisse in schwierigen Sachfragen zu finden ohne dass jemand öffentlich das Gesicht verliert. Ich hätte mir manchmal gewünscht, dass die Interessen der festgehaltenen Schweizer in den Medien wie im Fall der Veröffentlichung von Polizeifotos von Hannibal Gaddafi höher gewichtet werden. Und manchmal, dass durch die massive personalisierte Kritik an Hans-Rudolf Merz nicht noch der Bundespräsident indirekt zur dritten Geisel von Libyen wird.

Kommentar: Politologe Golder bestätigt erfreulicherweise unsere bisherigen Analysen:

Die Kommunikation lässt zu wünschen übrig.

Es lohnt sich, Medien als Partner zu behandeln

Bei der Aussenpolitik ist Diskretion zentral.

Was Bundesrat Merz nicht gelernt hat: Dann zu reden, wenn reden angesagt ist und dann zu schweigen, wenn schweigen angesagt ist.

Das unglückliche Komunikationsmangement hat dem Image des Bundesrates Merz gewaltig geschadet.

Was ist mit Merz los?

Die Journalisten würden davon leben, ihn fertigzumachen, beklagte sich Bundespräsident Hans-Rudolf Merz (FDP, 66) laut «Mittelland-Zeitung» gegenüber einem Journalisten des Blatts. Auf Fragen zur Libyen-Affäre habe Merz wütend zurückgegeben: «Das ist wie eine Inquisition.» Und vor allem: Merz zeigte sich einmal mehr uneinsichtig. Niemand habe ihm bisher in der Libyen-Affäre «einen Fehler nachweisen können». Keinen Fehler? Hat Merz nicht im Alleingang den Kniefall-Vertrag von Tripolis unterschrieben? Ist er nicht ohne die zwei Geiseln nach Hause geflogen? Sind sie nicht noch immer in der Gewalt von Gaddafi? Merz redet sich immer tiefer ins Elend. Und produzierte schon wieder einen Alleingang. Radio DRS brachte gestern aus (2.11.): Die Ankündigung von Merz im letzten SonntagsBlick,

dass die Verhandlungen für das Doppelbesteuerungsabkommen mit Italien sistiert würden, war ein weiterer Sololauf.

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Merz hat die Sistierung noch gar nicht dem Bundesrat vorgelegt! Sie ist nicht abgesprochen. Merz habe das am Wochenende im Interview zum ersten Mal gesagt, zitiert das Radio den Bundesratssprecher André Simonazzi. Nicht mal das eigene Departement war informiert. «Solche Sololäufe schwächen die ganze Regierung und insgesamt auch unser Land», sagte Ständerätin Simonetta Sommaruga. Was ist mit diesem Mann los? Das fragt sich längst auch seine Partei, die FDP. «Ich bin froh, wenn das Jahr zu Ende ist», sagt FDP-Ständerätin Christine Egerszegi. Will heissen, wenn das Präsidialjahr von Merz zu Ende ist. Er mache sich «langsam Sorgen», sagte FDP-Nationalrat Philippe Müller im Radio. Zu den Sololäufen müsse jetzt Merz selbst, aber auch der Gesamtbundesrat klar Stellung nehmen, fordert Müller. Merz zur Einsicht bringen könnte kraft seines Amtes am ehesten FDP-Präsident Fulvio Pelli. Aber der stellt sich noch immer demonstrativ hinter ihn. Pelli sagte gestern «Tagesanzeiger.ch»: «Herr Merz ist keine Belastung.» Doch wer stoppt Merz dann? Von links bis rechts gibt es kaum noch Politiker, die nicht hoffen, dass Merz bald zurücktritt. Im eigenen Interesse und in dem des Landes. «Er wird immer mehr zur tragischen Figur», sagt ein FDP-Mann.

(Quelle Blick-online)

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