Donnerstag, 1. Oktober 2009

Das Bundesratmotto: ALLE GEGEN ALLE

Calmy-Rey kritisiert öffentlich ihre Kollegin, die Justizministerin:

Bei der Festnahme des Filmemachers Roman Polanski haben die Verantwortlichen nach Ansicht von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Rechtlich habe die Schweiz aber keine andere Wahl gehabt, sagte Calmy-Rey. Da die USA ein Auslieferungsbegehren gestellt hätten, habe die Schweiz keinen Spielraum gehabt, sagte sie heute vor den Medien. Es gebe ein Abkommen mit den USA, und die Schweiz halte sich an Abkommen. Es sei aber ein «Mangel an Finesse», dass für die für die Festnahme Polanskis ausgerechnet eine Einladung zu einem Anlass in der Schweiz genutzt worden sei. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sei über die Festnahme nicht vorgängig informiert worden, sagte Calmy-Rey. Für die Modalitäten der Verhaftung sei das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) verantwortlich. (SDA)

Micheline Calmy-Rey vermisst das Schweizer Fingerspitzengefühl. (Reuters)

Blick spricht hernach vom Tanz der Vampire

Jeder beisst jeden:

Den «Tanz der Vampire», den der Bundesrat aufführt, hätte Roman Polanski nicht besser inszenieren können.

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf. (Reuters)

In Polanskis Kultfilm «Tanz der Vampire» will jeder jeden beissen. Genau das läuft auch als Realsatire im Bundesrat ab: Bei jeder neuen Krise fahren die Magistraten ihre Zähne aus. Jüngste Szene im Horrorstreifen Bundesrat: Sololauf der Justizministerin bei der Verhaftung Polanskis in Zürich. Formal-juristisch völlig korrekt lässt Eveline Widmer-Schlumpf den früheren Kinderschänder Polanski auf Gesuch der USA verhaften. Einsam und alleine beisst sie zu. Gestern gestand ihr Sprecher, das Bundesamt für Justiz habe am Freitagabend die Departementschefin informiert, «weil es erkannte, dass es sich um einen besonderen Fall handelt, der Reaktionen auf der politischen Ebene auslösen dürfte». Aber Widmer-Schlumpf entschied, ihre Kollegen nicht einzuweihen. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zeigte sich gestern an einem Medien-Treffen brüskiert. «Das EDA war nicht informiert», hielt sie fest. Und biss sogleich zurück: «Man kann die Frage stellen: Fehlte es an Fingerspitzengefühl?» Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Justizministerin, mit der sie vor einigen Monaten in Sachen UBS noch prima kooperierte. Aber alles schon wieder vorbei. Die einen wollen Polanski ehren, die anderen ihn verhaften Calmys Ärger ist nicht unberechtigt: Schliesslich hatte sie anderntags die stinksauren Kollegen aus Paris und Warschau am Apparat. Blitzableiter zu spielen gehört zwar zum Job der Aussenministerin. Aber keiner tut das gerne, wenn er nicht vor aufziehenden Unwettern gewarnt wird. Im Regen stehen gelassen hat Widmer-Schlumpf auch den Direktor des Bundesamtes für Kultur, Jean-Frédéric Jauslin. Sein Amt subventioniert nicht nur das Zürcher Filmfestival mit jährlich 50 000 Franken. Jauslin persönlich wollte auch die Laudatio auf Polanski halten. Womit dessen Ehrung einen quasi-offiziellen Charakter erhielt. Groteske Situation: Eine Behörde will Polanski ehren, die andere lässt ihn verhaften, die dritte darf die Scherben aufwischen. Mittendrin in der Kakofonie: Bundesratssprecher André Simonazzi. Verzweifelt versuchte er Montag und Dienstag, Ruhe ins Chaos zu bringen. Die Departementssprecher wurden aufs Stillhalten eingeschworen, nur das EJPD solle Auskunft erteilen. Doch Calmy-Rey konnten die Schweige-Appelle des Sprechers nichts anhaben. Heute wird die Polanski-Affäre laut BLICK-Informationen ein Nachspiel in der Bundesratssitzung haben. Der Tanz der Vampire geht weiter.

Einmal mehr: JEDER GEGEN JEDEN!!!!!!!!!

Nicht nur Aussenministerin gegen Justizministerin.

Auch der Innenminister kritisiert die Aussenministerin öffentlich

Zitat Blick:

Polanski-Verhaftung

Für Couchepin wäre Finesse fehl am Platz gewesen

Aktualisiert 30.09.2009

BERN – Der scheidende Bundesrat Pascal Couchepin ist uneins mit Kollegin Micheline Calmy-Rey. Seiner Meinung nach ist man bei der Verhaftung von Filmemacher Roman Polanski richtig vorgegangen.

Kommentar: Der neugewählte Bundesrat wünschte sich, dass künftig der Bundesrat mit einer Stimme sprechen sollte. Es gab in der Vergangenheit zu viele Pannen. Vorläufig bleibt dies ein frommer Wunsch. Denn: In Wirklichkeit schaut jeder Bundesrat nur für sich. Nach dem Sololauf des Bundespräsdidenten in der Geiselaffaire und dem Hickhack zwischen Calmy-Rey und Merz versagt nun der Bundesrat schon wieder im Fall Polanski. Wann endlich lernt unserer Landesregierung die notwendigen Auseinandersetzung intern auszufechten, um nachher geschlossen als Einheit aufzutreten?

Nachtrag zur Verhaftung Polanskis

Tagi:

Wie kommt es, dass die Meinungen derart auseinandergehen?

Gewiss, der ursprüngliche Gerichtsprozess weist Verfahrensfehler auf, über die man diskutieren kann. Ausserdem musste Polanski in seinem Leben schon unvorstellbares Leid erfahren. Ob diese Argumente die Straffreiheit des Regisseurs rechtfertigen, sei hier dahingestellt. Die Argumente aus der Kulturecke klingen ohnehin anders.

Seltsame Argumente

Nur wenige Stunden nach der Festnahme des Regisseurs hatte die Schauspielerin Whoopi Goldberg erklärt, Polanskis damals 13-jähriges Opfer sei gar nicht vergewaltigt worden: «Ich weiss, es war keine Vergewaltigung-Vergewaltigung», sagte sie. «Es war etwas anderes, aber keine richtige Vergewaltigung.»

Regisseur Volker Schlöndorff klagte derweil in der deutschen Presse, der Kollege werde nur deshalb nach über 30 Jahren noch so unbarmherzig verfolgt, «weil er prominent ist». Und Tarantino-Produzent Harvey Weinstein findet gar, dass Kritik an der Filmkaste generell unangebracht sei: Hollywood besitze nämlich den besten moralischen Kompass. Schliesslich sei es die Filmindustrie gewesen, die nach Katastrophen wie 9/11 oder dem Hurrikan Katrina Geld gesammelt habe.

Die Argumente sind so naiv wie peinlich. Immerhin lässt sich daraus die Einstellung vieler Stars destillieren: Hier der Künstler, frei von puritanischem Dünkel, dort der gesetzestreue Bürger: Es ist genau diese elitäre Haltung der Kunstschaffenden, die die Stimmung gegenüber Roman Polanski derzeit kippen lässt. Den Schaden hat jedoch nicht nur Polanski; die Künstler setzen mit der reflexartigen Solidaritätsbekundung ihre moralische Autorität – sofern sie diese überhaupt besassen - aufs Spiel. Nicht zuletzt zeigen die überhasteten Äusserungen, nach welch provinziellen Mustern selbst Hollywood funktioniert: Man verrät keinen aus den eigenen Reihen. Blut – in diesem Fall Sperma – ist dicker als Wasser.

Betriebsblindheit

Irritierend ist auch die Betriebsblindheit der Branche. Debra Winger, die Jury-Präsidentin des Zurich Film Festivals, sagte, «die Kunstwelt leidet und fühlt mit dem Menschen Roman Polanski». Die Unfähigkeit, zwischen Kunst und Künstler zu unterscheiden, ist frappant.

Dabei ist Polanski nicht der erste Fall, der uns vor Augen führt, dass ein grosser Künstler kein grosser Mensch sein muss. Man denke an Woody Allen, Miles Davis, Richard Wagner und natürlich Michael Jackson.

Die Doppelmoral in der Kunst hat übrigens bereits George Orwell beschäftigt. In einem seiner Essays heisst es: «Wenn Shakespeare zurückkehren würde und es sich herausstellte, dass seine Lieblingsbeschäftigung das Vergewaltigen von kleinen Mädchen wäre, würde keiner etwas sagen, weil der Meister sonst keinen neuen ‹King Lear› schreiben könnte.» Das ist freilich überspitzt. Oder nicht? Debra Winger jedenfalls schloss ihre Trotzrede mit den Worten: «Wir hoffen auf ein weiteres grosses Meisterwerk von Roman Polanski.» (Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

NAchtrag, der zu denken gibt

Quelle blick online:

«Er schien es als ‹normal› anzusehen, was mit dem Mädchen geschah»: Autor Martin Amis über Roman Polanski. (Reuters)

1977 geschah es in Los Angeles. Roman Polanski hatte Sex mit der damals 13-jährigen Samantha Geimer. Gab ihr erst Alkohol und Drogen. Und verging sich dann an dem Mächen. Polanski gestand den «ungesetzlichen Sex» und sass dafür zunächst 47 Tage im Gefängnis, floh aber vor der Urteilsverkündung nach Europa und kehrte nicht mehr in die USA zurück. Am Samstag vergangener Woche wurde Polanski in der Schweiz verhaftet. Und heute wurde sein Gesuch wegen Freilassung gegen Kaution abgelehnt. Grund: Die Fluchtgefahr sei erneut zu hoch. «Richter wollen mit jungen Mädchen Sex haben» In Fernseh-Interviews hatte sich Polanski zuvor bereits mehrmals zu der Tat geäussert. Suchte Ausreden. Entschuldigte sich beim Opfer und zahlte diesem angeblich über 500´000 Franken (Blick.ch berichtete). Doch von echter Reue kann in einem Gespräch mit dem englischen Schriftsteller Martin Amis im «Tatler» 1979 keine Rede sein. «Als ich vom Hotel zur Polizeistation gefahren wurde, sprachen sie im Autoradio schon darüber... Ich konnte es nicht glauben... Hätte ich jemanden umgebracht, wäre es für die Presse nicht so anziehend gewesen... Aber... Sex... und die jungen Mädchen. Richter wollen mit jungen Mädchen Sex haben. Geschworene wollen mit jungen Mädchen Sex haben. Alle wollen mit jungen Mädchen Sex haben», erzählte Polanski Martin Amis. Er fühlte sich nach seiner Flucht in Frankreich sicher. In Paris sei man «sehr erwachsen», sagte er. Er wolle auch wieder einmal zurück in die USA. Doch «bis etwas passiert», bleibe er in der Seine-Stadt, betonte Polanski damals. Geimer kritisierte noch 2005 Polanskis Denkweise Das Opfer, Samantha Geimer, hat ihm öffentlich verziehen. Sie will nicht mehr an die Tat erinnert werden. Das Vergeben der heute 43-Jährigen rückt aber eine Aussage von 2005 in ein ganz anderes Licht: «Polanski ist ein sehr arroganter, wichtigtuerischer, schauriger alter Mann», sagte Geimer noch im Jahr 2005. «Ich denke, er konnte sich gar nicht vorstellen, dass irgendjemand keinen Sex mit ihm haben wollte.» Dass Polanski alles andere als einsichtig war, betont auch Autor Martin Amis. «Polanski, so kommt es dir vor, hat nie auch nur versucht, das zu verstehen», schrieb er laut «Stern.de» nach seinem Interview mit dem polnischen Regisseur. (spj)

Samantha Geimer als 13-jähriges Mädchen und heute (45). (Dukas/AP)
Er führte ein Interview mit Polanski, dass dessen Kaltschnäuzigkeit zeigte: der Schriftsteller Martin Amis. (zvg)

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