Freitag, 27. März 2009

Mediengeilheit ist kaum heilbar

Ich zitiere die Bönnigheimer Zeitung:

BÖNNIGHEIM, 26. MÄRZ 2009

Hauptsache in den Schlagzeilen

Der Amoklauf von Winnenden treibt grausige Blüten in den Medien. Auch der Bönnigheimer Chorleiter Gotthilf Fischer schreckt nicht davor zurück, damit in die Schlagzeilen zu kommen.
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Liebt den Chorgesang und die Medienpräsenz: Gotthilf Fischer. Foto: Archiv
Liebt den Chorgesang und die Medienpräsenz: Gotthilf Fischer. Foto: Archiv
Der inzwischen 81-jährige Chorleiter Gotthilf Fischer, der seit 1962 auch die musikalische Geschicke des Gesangvereins Concordia Bönnigheim maßgeblich beeinflusst, hat zweifelsfrei große Verdienste um die Bewahrung des deutschen Liedgut. Er war mit 1000 Sängern beim Abschluss der Fußballweltmeisterschaft 1974, sang mit seinen Fischer-Chören in Rom sowie beim damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter - und arbeitet seit 1969 vielfach erfolgreich fürs Fernsehen. Eigentlich eine Vita, die es nicht nötig macht, durch geradezu peinliche Auftritte für noch mehr Medienpräsenz zu sorgen. "Mediengeilheit rächt sich", urteilte bereits 2001 der Schweizer Kommunikationsberater und Autor von Fachbüchern im Kommunikationsbereich, Marcus Knill, über die mitunter bizarren Auftritte von Gotthilf Fischer: Der Chorleiter ließ damals sein Gemächt in der Sat.1-Sendung "Banzai" vor laufenden Kameras wiegen. Mit Ausfallerscheinungen machte der seinerzeit 72-Jährige von sich reden, nachdem ihm ein Techno-Fan zu viel Exctasy im Bier bei der Berliner Love Parade 2000 verabreicht hatte.

Im Amoklauf von Winnenden sieht Fischer nun wieder eine Möglichkeit, seine Medienpräsenz zu steigern. Dass er als Bürger der 15 Kilometer entfernten Gemeinde Weinstadt ein Gedächtniskonzert für die Opfer von Winnenden veranstalten will, ist noch zu verstehen. Dass er aber unter der Überschrift "Gotthilf Fischer (81) war mittendrin!" und der Aussage "Ich sah nur noch Angst, Panik und Entsetzen" ein von ihm autorisiertes Interview von einem Journalisten-Büro in der Nähe von Bremen verschicken lässt, ist an Peinlichkeit fast nicht zu überbieten.

"Ich war in der Umgebung unterwegs und konnte beobachten, wie sich diese Atmosphäre der Angst über Weinstadt, Waiblingen und Stuttgart ausbreitete. Auch wenn man selber gar nicht unmittelbar betroffen war, so war man doch plötzlich mittendrin und mit dabei", erklärt Fischer. Er beruhigt den geneigten Leser aber auf die Frage, ob er nicht selber Angst gehabt habe, als er auf der Straße unterwegs sei, während ein Amokschütze um sich ballert: "Nein, wissen Sie, ich habe schon Unfälle, Flugzeugabstürze etc. überlebt; ich kenne keine Angst mehr, in keiner Weise." Und vermutlich auch keine Schamgrenze mehr.

Redaktion: JÜRGEN KUNZ

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