Donnerstag, 5. Februar 2009

Weshalb es für Politologe Claude Longchanp am nächsten Sonntag doch noch ein überraschendes NEIN geben könnte:

«Wer hätte einen Tag vor dem 60-Milliarden-Rettungspaket an die UBS so etwas für möglich gehalten?»: Claude Longchamp.

«Wer hätte einen Tag vor dem 60-Milliarden-Rettungspaket an die UBS so etwas für möglich gehalten?»: Claude Longchamp. Bild: Keystone

Für Claude Longchamp, Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern, zeigt die aktuelle Kampagne zur Personenfreizügigkeit, wie immer weniger die Vorlage im Mittelpunkt steht, sondern die Parteiinteressen. Dies zeige sich nicht zuletzt bei den Plakatsujets, sagt er im Interview mit der Schweizerischen Depeschenagentur.

49 Prozent der Bevölkerung haben bei der letzten Umfrage Ja zur Personenfreizügigkeit gesagt, nur 40 Prozent waren dagegen. Sie gehen zudem davon aus, dass die Einstellungen relativ stabil sind. Ist das Rennen gelaufen?

Claude Longchamp: Im Normalfall, ja. Doch wir haben spezielle Zeiten. Wer hätte einen Tag vor dem 60-Milliarden-Rettungspaket an die UBS so etwas für möglich gehalten? Wegen der angespannten Wirtschaftslage bin ich vorsichtig in der Interpretation. Ein aussergewöhnliches Ereignis könnte das Resultat durchaus noch kippen.

Zum Beispiel?

Wenn etwa eine Grossfirma Ende Monat Tausende von Mitarbeitern entlässt.

Aber würde dies automatisch das Nein-Lager stärken? Die Befürworter argumentieren ja, dass angesichts der Krise die Beziehungen zur EU umso wichtiger sind und darum ein Ja so wichtig sei. Unsere Analyse zeigt tatsächlich, dass wirtschaftliche Argumente für beide Lager wichtig sind. Trotzdem scheint mir bei einem grösseren Einbruch die Angst vor der Arbeitslosigkeit grösser zu sein als vor möglichen Schwierigkeiten mit der EU.

Hat die Wirtschaftsseite also ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Ja, denn die milliardenschwere Hilfe an die UBS, gepaart mit hohen Boni, hat das Volk nicht goutiert. Es ist denn auch kein Zufall, dass in der aktuellen Kampagne nicht Topmanager wie Marcel Ospel oder Daniel Vasella die Ja-Kampagne führen, sondern Patrons wie Johann Schneider-Ammann oder Otto Ineichen. Bei der Abstimmung zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Osteuropa im Jahr 2005 war das noch anders.

Sehen sie andere Unterschiede der Befürworter-Kampagne?

Nur wenige. Das Plakatsujet des Apfelbaums ist dasselbe, auch die Argumente sind ähnlich.

Der Apfelbaum stösst nicht überall auf Gegenliebe. Ineichen und Schneider-Ammann kritisierten das Plakat als zu emotionslos und abstrakt. Sie werben nun mit dem SVP-Raben, um deren Argumente zu kontern.

Diese Kritik verstehe ich nicht. Das Sujet des Apfelbaums hat eine klare Aussage und einen grossen Wiedererkennungseffekt. Die Kampagne war 2005 erfolgreich. Zudem ist es grundsätzlich falsch, den Gegner zu kopieren. Wer Erfolg will, muss sich vom Gegner abgrenzen. Für eine Erweiterung der Kampagne mag das gehen, doch grundsätzlich gilt: Es muss eine eigene Symbolik her.

Wie schätzen Sie die Raben-Kampagne der SVP ein?

Die Aussage ist missverständlich. SVP-Präsident Toni Brunner redete von einer diebischen Elster, doch wo ist der weisse Bereich auf dem Bauch? Die Verbindung zwischen Kriminalität und dem Tier funktioniert nicht. Die Junge SVP zeigt kommunikativ klarer, was sie sagen will. Sie zeigt einen ausländischen Einbrecher, der mit seiner Beute aus dem Haus steigt. Hier ist die Botschaft klar.

Die Raben-Kampagne hat immerhin für Wirbel gesorgt. Reicht dies nicht?

Nein, bei dieser Vorlage nicht. Für noch unbekannte Themen ist Aufmerksamkeit das A und das O. Als man zum Beispiel vor 15 Jahren auf AIDS aufmerksam machen wollte, war es erst mal wichtig, dass man darüber redet. Alles andere war sekundär. Bei der Personenfreizügigkeit ist das anders: Das Thema ist bekannt. Hier müssen sachliche Argumente ins Zentrum, wenn man die Abstimmung gewinnen will.

Wieso wirbt die SVP trotzdem mit dem Raben und dem Kriminalitätsargument?

Einerseits aus argumentativer Not, andererseits weil sie Imagewerbung betreibt. Sie will sich für rechte Kreise empfehlen. Mit der Imagewerbung ist sie nicht alleine. Werbung im Sinne der Partei anstatt zum Wohle der Vorlage nimmt in der Schweiz generell zu. Schauen sie sich zum Beispiel die FDP-Plakate an!

Die FDP wirbt mit einem Güterzug auf dem Weg in die EU, dessen Schiene allerdings von Christoph Blocher und Toni Brunner sabotiert wird.

Ein absolutes Novum in der Schweiz! Das erste Mal macht eine Partei in der Schweiz in einer offiziellen Kampagne Werbung mit einer anderen Partei. Es geht der FDP dabei weniger darum, der Vorlage zum Durchbruch zu verhelfen, sondern ihr Image zu verbessern. Sie will damit sagen: Die Politik der SVP ist nicht gut für die Schweiz. Die inhaltliche Aussage dieses Plakats ist schwach.

Auffällig ist im gegenwärtigen Abstimmungskampf die Vielzahl der Komitees und Plakate. Hängt dies ebenfalls mit der Eigenprofilierung zusammen?

Absolut. Jede Partei fährt immer mehr ihre eigene Schiene. Dies muss nicht zwingend schlecht sein. Sie hilft bei der Mobilisierung gegen innen. CVP-Sympathisanten lassen sich logischerweise am besten mit einer CVP-Kampagne ansprechen. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass man sich verzettelt und die Hauptkampagne in den Hintergrund rückt. Bei der aktuellen Vorlage ist man am Rand dazu. Früher hiess es: Getrennt marschieren, vereint schlagen. Heute dagegen zunehmend: Getrennt marschieren und getrennt schlagen.

Kommentar: Wenn es der SVP gelingen würde - als einzige Partei gegen alle anderen Parteiein, gegen den Bundesrat , das Parlament und alle Wirtschaftsverbände ( trotz der enormen JAkampagne) im Endspurt noch mehr als 40 Prozent NEIN Stimmen zu mobilisieren, so dürfte sie dies als grossen Erfolg buchen. Man rechnete zuerst mit einer deutlichen Befürwortung. Ich war an einer Veranstalung von Christoph Blocher, um seine Rhetorik zu analysieren. Dabei stellte ich unter den Anwesenden fest, dass eine seiner Trumpfkarte gestochen hat. Blocher konnte mit Zitaten aus dem Bundesrat konkret belegen, dass man dem Volk vor der letzten Abstimmung immer wieder versprochen hatte, man könnte bei jeder künftigen Aenderung künftig problemlos neu Stellung nehmen, ohne dass bei einer Ablehnung die bilateralen Abkommen gefährdet wären. In den Inseraten der Befürworter wurde jedoch ständig behauptet, man müsste jetzt unbedingt JA stimmen, um die Verträge mit der EU nicht zu gefährden. Wenn es am Sonntag überraschenderweise zu einem NEIN kommen würde, so wäre dies solchen paradoxen Argumenten zu verdanken. In erste Linie jedoch, weil das Parlament eine Vorlage, mit zwei verschiedenen Fragen in ein einziges Paket geschnürt hatte. Dies ist nach meinen Erkundigungen viele Bürgern sauer aufgestossen. Wir werden das Resultat am Sonntag erfahren. Ich persönlich rechne nicht mit einem Nein. Das wäre ein zu grosse Ueberraschung.

Kommt noch dazu (Ich zitiere Tagi-online):

Personenfreizügigkeit: Jeder Dritte begreift die Vorlage nicht

Rund 30 Prozent der Teilnehmer der Tagesanzeiger.ch/Newsnetz-Umfrage zur Abstimmung am 8. Februar glauben, dass nur über die Personenfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren abgestimmt wird. Damit liegen sie natürlich falsch.

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