Marcus Knill
Nachdem sich «10 vor 10» über dieses Unbehagen Gedanken gemacht hatte, setzt es seit drei Jahren auf den Ansatz des «Constructiv Journalism».
In einem Weiterbildungskurs der SRG über den konstruktiven Journalismus, veranschaulichten Politmoderatorin Susanne Wille zusammen mit Christian Dütschler, Sendeleiter von «10 vor 10», mit konkreten Beispielen, dass dieser Ansatz nicht heissen will, das Negative unter den Teppich zu kehren. Bei negativen Berichten muss der Journalist, der den konstruktiven Ansatz verfolgt, Probleme benennen. Er muss nach wie vor eine kritische Haltung haben, deckt Missstände auf, stellt Fragen. Dies, damit der Medienkonsument Sachverhalte besser einordnen kann und die grösseren Zusammenhänge erkennt.
Ich habe immer wieder gesehen, dass die Kritiker von negativen Botschaften den Journalisten gerne eine rosa Bille verpassen möchten, und erwarten, dass Medienschaffenden negativen Vorkommnissen bewusst ausklammern. Das heisst, es müssten vor allem gute Nachrichten publiziert werden. Bei der lebendigen Diskussion an der Weiterbildungsveranstaltung im Leutschenbach wurde erkannt, dass die Medien stets verpflichtet sind, sachgerecht zu informieren und unangenehme Fakten nicht ausgeklammert werden dürfen. Denn durch das Weglassen von negativen Sachverhalten würden die Medien auch ein verzerrtes Bild malen. Es gilt in erster Linie, dem Publikum zu helfen, die negativen Botschaften einzuordnen. Der Däne Ulrik Haagerup, er ist der Uebervater des konstruktiven Journalismus, sagte treffend: «Wir dürfen nicht nur über die Fliege in der Suppe erzählen, sondern dürfen die Suppe nicht vergessen.»
Es gibt somit bei negativen Geschichten kein «Entweder oder». Es gilt der Grundsatz «Sowohl als auch». Journalisten haben diese Balance zu finden. Susanne Wille und Christian Dürschler berichteten aus dem Alltag, wie die Redaktion «10 vor 10» diese Balance erreicht.
Ich stelle im Alltag bei Kritikgesprächen ebenfalls fest: Auch Kritik kann konstruktiv vorgebracht werden oder destruktiv. Viele Konsumenten sind sich ferner zu wenig bewusst, dass beispielsweise der Boulvardjournalismus vor allem von negativen Geschichten lebt. Bei der Regenbogenpresse wird belohnt, wer eine ungewöhnliche Story möglichst dick aufträgt, vor allem bei den Schwerpunkten Sex, Blut und Tränen. Im Grunde genommen hätte es der Leser in der Hand, dieses Angebot zu steuern. Würden negative Geschichten nicht mehr gelesen, würden sich die Journalisten bestimmt anpassen. Wenn mir gesagt wird, Medien sollten nur noch Positives berichten, entgegne ich jeweils: Wie ist es bei Ihnen im Beruf? Wenn jemand in der Kaffeepause eine Klatschgeschichte ganz leise zum Besten gibt, wird es in der Regel plötzlich still. Alle hören dem Erzähler aufmerksam zu. Vielleicht sind Menschen so programmiert, dass Negatives attraktiver ist als positive Geschichten.
Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik und Autor der virtuellen Navigationsplattform für Kommunikation und Medien rhetorik.ch.
Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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