Wenn die Schule Kinder nicht mehr gesondert schulen dürfen
(Es gibt keine Sonderklassen mehr), sind die Lernwilligen und die Schwachen die Leidtragenden.
Kooperativ,
aufgeweckt, interessiert - von solchen Schülern träumen Lehrer. Doch wer
zu gut erzogen ist, kann im rauen Schulalltag untergehen. Unser Autor
ist Lehrer und sagt: Schuld daran bin auch ich.
Lisa ist eine Schülerin, wie man sie sich als Lehrer wünscht: höflich, fleißig und mit anderen hundertprozentig verträglich. Das Kind hat gelernt zu teilen, lässt anderen auch mal den Vortritt, kann warten und schreit nicht: Die Eltern haben ganze Arbeit geleistet. Solche Kinder wollen wir an unserer Schule!
Ein halbes Jahr später hatte ich Vertretung in Lisas Klasse. Seitdem traue ich mich nicht mehr, der Mutter in die Augen zu schauen: Lisa ist in eine furchtbare Klasse geraten. Rechts sitzt so ein Junge, der sieht aus wie ein Erwachsener im Körper eines Kindes. Sobald ich einmal wegschaue, nimmt er seinen Nachbarn etwas weg, springt auf, läuft durch den Raum. Und noch während ich ihm eine Standpauke halte, sehe ich in seinen Augen, wie er den nächsten Coup plant. In seinem Blick spielt immer etwas Unruhiges, Abgelenktes und Suchendes. Als ich mich kurz wieder abwende, streckt er mir die Zunge heraus.
Wenn Lernen kaum möglich ist
Von der Sorte gibt es mindestens eine Handvoll Kinder. Dazu herrscht in der Klasse ein Höllenlärm. Nur unter Androhung massiver Strafen und durch Umsetzen von Schülern schaffe ich es, die Klasse leidlich im Zaum zu halten. Die armen Klassenlehrer, die armen Kinder, die arme Lisa. Höflichkeit, Empathie und gute Erziehung, damit kommt man hier nicht weiter. Frühenglisch, Instrumentalunterricht, Antolin-Lesewerkstatt - alles für die Katz, denn hier ist Lernen kaum möglich. (aus 20 Min)