Publizierte Version der Aargauer Zeitung:
«Die Teilnehmer schaukeln sich gegenseitig auf»
Einige Besucher der Podiumsdiskussion um die Selbstbestimmungsinitiative haben die Contenance verloren und Simonetta Sommaruga ausgelacht und beschimpft. Ein Kommunikationsexperte ordnet den Abend ein.
Der Experte für Kommunikation und Medienrhetorik Marcus Knill hat die Podiumsdiskussion um die Selbstbestimmungsinitiative mitverfolgt. Er erklärt, wie es zu solchen verbalen Entgleisungen kommen kann.
Herr Knill, bringt ein solcher Anlass überhaupt etwas zur Meinungsbildung? Es wurden vor allem parteipolitische Fragen diskutiert.
Wenn die Argumente verständlich, logisch und einleuchtend vorgetragen werden, kann es doch noch zu einer gewissen Meinungsbildung kommen. Der Anlass vermittelte immerhin ein Stimmungsbild und zeigte, wie emotionalisiert die Thematik geworden ist.
Wie wirkte die Stimmung im Saal auf Sie?
Die Stimmung war aufgeladen, zum Teil gereizt und es wurde mit harten Bandagen duelliert. Oft unter der Gürtellinie.
Die meisten Leute hatten ihre Meinung schon. Weshalb besuchen sie den Anlass trotzdem?
Die Zuschauer wissen, dass das Publikum einen grossen Einfluss haben kann auf die Wirkung nach aussen. Bei einer öffentlichen Versammlung, die in den Medien gross aufgemacht wird, gibt es vielfach einen organisierten Aufmarsch von Gleichgesinnten, um nach aussen zu demonstrieren, wie das Befinden der der Bevölkerung ist.
Weshalb sehen sich die Leute in einem grossen Saal ermutigt, eine Magistratin auszubuhen und ihr laut «Lügnerin» zuzurufen?
Bei einer aufgeheizten Stimmung schaukeln sich die Teilnehmer gegenseitig auf, wie Fans an einem Fussballmatch. Sommarugas Behauptung, das Volk habe schon heute das letzte Wort, war für die Befürworter der Initiative gleichsam ein «Lüge». Ihre Argumentationskette war für sie nicht nachvollziehbar, weil für die Befürworter Europa bei zu vielen Problemen nachweisbar das letzte Wort hat.
Haben die Moderatoren ihre Rolle erfüllt?
Für die verbalen Entgleisungen kann den Moderatoren kein Vorwurf gemacht werden. Sie mahnten als Schiedsrichter an das Nichteinhalten der Spielregeln. Bei hitzigen Situationen muss damit gerechnet werden, dass Akteure die Fassung verlieren.
Ist Simonetta Sommaruga glaubwürdig, wenn sie den Buh-Rufen lächelnd entgegnet «Wenn Diskussionen heftig sind, ist das gut.»
Ich kann mir vorstellen, dass sie gelernt hat, sich nicht auf Provokationen einzulassen. Aus rhetorischer Sicht nutzt sie das antizyklische Verhalten nach dem bewährten Prinzip «Taxifahrer fahr langsam, es eilt!» Konkret: Brüllt jemand, spreche ich bewusst leise. Ist jemand unfreundlich, bin ich bewusst freundlich. Das muss aber trainiert werden.
Philipp Müller sagte entnervt: ««Ich gehe heim. Dass ich mir diesen Mist anhören muss!»», wie ordnen sie das ein?
Wer die Nerven verliert, hat normalerweise verloren. Das darf einem erfahrenen Politiker nicht passieren. Besonders, wenn er in Diskussionen auch nicht zimperlich ist.
Diese Fragen beantwortete ich gestern der Journalistin Stefania Telesca wie folgt (ausführliche Version):
Fragen:- Der Anlass hätte ein Meinungsbildungsanlass sein sollen. Die meisten Leute hatten ihre Meinung aber schon. Weshalb besuchen sie den Anlass trotzdem?
Die Zuschauer wissen, dass das Publikum einen grossen Einfluss haben kann auf die Wirkung nach aussen. Es gibt immer Unentschlossene, die sich doch noch beeinflussen lassen.Wir kennen ein Phänomen bei der Beeinflussung von Massen, das wir an Landsgemeinden feststellen können:
In der Regel möchte man bei den Siegern sein. Wenn erkannt wird, dass viele die Hand erheben und sich abzeichnet, dass diese Gruppe siegen könnte, erheben plötzlich auch noch viele Unentschlossene die Hand. Sie wollen bei den Siegern sein. Bei einer öffentlichen Versammlung, die in den Medien gross aufgemacht wird, gibt es oft vielfach einen organisierten Aufmarsch von Gleichgesinnten, um nach aussen zu demonstrieren, wie das Befinden der der Bevölkerung ist. Der Einfluss des Publikums darf nicht unterschätzt werden. Bei Anne Will zeigt sich vielfach, dass das Publikum einseitig eingeladen wird. In der Arena hatte früher jede Partei eine Anrecht auf nur eine bestimmte Anzahl von Gästen. In Suhr stand die Teilnahme jedoch allen offen. Da kam es darauf an, wer besser mobilisieren konnte. Blicken wir zurück in die Theater und Opernwelt. Damals wurden Claqueure und Bisseuse bezahlt, um den Erfolg zu veranschaulichen. Das machte sich bezahlt. Die Manipulatoren wussten: Die gesteuerte positive Wirkung beeinflusst die Kommentare und Musikkritiker.Uebrigens kann das Phänomen aus der Massenpsychologie bei allen Gruppierungen festgestellt werden. Ich erinnere an Veranstaltungn, bei denen die missliebigen Referenten von linken Extremisten niedergeschieen wurden oder mit Trillerpfeifen am Reden gehindert worden sind. Um auf ihre Frage zurück zu kommen: Weshalb kommen die Leute, obschon die Meinung schon gemacht ist? Das Publikum kam bestimmt nicht nicht nur deshalb, um die Stimmung zu beeinflussn. Sie erwarteten einen bissigen Schlagabtausch, so wie Menschen einen Boxmatch besuchen. Aus Neugierde oder weil man sehen will, wie sich die Vertreter der eigenen Meinung schlagen.
- Bringt ein solcher Anlass überhaupt etwas zur Meinungsbildung? Es wurden vor allem Parteipolitische Fragen diskutiert.
Wenn die Argumente verständlich, logisch und einleuchtend vorgetragen werden, kann es doch noch zu einer gewissen Meinungsbildung kommen. Spannend wäre es zu erfahren, wer die eigene Meinung an der Veranstaltung gändert hat. Der Anlass vermittelte immerhin ein Stimmungsbild und zeigte, wie emotionalisiert die Thematik geworden ist. Parteipolitisch ist die Ausganglage für viele spannend. Es geht David gegen Goliath . Alle Parteien gegen eine Partei, Die Stimmung ist deshalb aufgeheizt, weil die Befürworter sehen, dass laut Meinungsumfragen sie derzeit verlieren würden und die Gegner heute erkennen, dass die Befürworten langsam aufholen.
- Wie wirkt die Stimmung im Saal auf Sie?
Die Stimmung war aufgeladen, zum Teil gereizt und es wurde mit harten Bandagen duelliert. Oft unter der Gürtellinie.
- Wie wirken die Podiumsteilnehmer auf Sie? Wer überzeugt? Wer überzeugt nicht?
Philipp Müllers Kapitalfehler: Er verlor die Nerven. Das darf einem erfahrenen Politiker nicht passieren. Besonders, wenn er in Diskussionen auch nicht zimperlich ist.
Bundesrätin Sommaruga wusste, dass Sie sich in Höhle des Löwen begab. sie war sicherlich sehr gut vorbereitet. Sie liess sich nie aus der Ruhe bringen und schoss nicht zurück.
Als sie jedoch die Buhrufe als Zustimmung für Ihre Aussagen interpretiert, wirkte dies für mich unglaubwürdig. Das nimmt man ihr nicht ab.
Hans - Ueli Vogt argumentierte verständlich und formulierte klar, durchdacht. Dennoch engagiert und versteckte die Emotionen nicht.
Magdalena Maratullo- Blocher sprach für mich noch zu laut. Doch überzeugte Sie angeblich das Publikum (Heimvorteil?) Sie müsste noch von Vater lernen,völlig frei zu reden.
- Ist Simonetta Sommaruga glaubwürdig, wenn sie den Buh-Rufen lächelnd entgegnet „Wenn Diskussionen heftig sind, ist das gut.“
Ich kann mir vorstellen, dass sie gelernt hat, sich nicht auf Provokationen einzulassen. Aus rhetorischer Sicht nutzt sie das antizyklische Verhalten nach dem bewhrten Prinzip „Taxifahrer fahr langsam, es eilt!“
Konkret: Brüllt jemand, spreche ich bewusst leise. Ist jemand unfreundlich, bin ich bewusst freundlich. Das muss aber trainiert werden. Ich habe das bei Polizisten gesehen, die in einem Coaching gelernt haben, nicht zurückzuschlagen, auch dann nicht, wenn sie bei 1. Mai Krawallen „Bullenschwein genannt worden und ins Gesicht gespuckt worden sind.
- Weshalb sehen sich die Leute in einem grossen Saal ermutigt, eine Magistratin auszubuhen und ihr laut „Lügnerin“ zuzurufen?
Bei einere aufgeheizten Stimmung schaukeln sich die Teilnehmer gegenseitig auf, wie Fans an einem Fussballmach. Sommarugas Behauptung These, das Volk habe schon heute das letzte Wort, war für die Befürworter gleichsam ein „Lüge“. Ihre Argumentationskette war für sie nicht nachvollziehbar, weil für die Befürworter Europa bei zu vielen Problemen nachweisbar das letzte Wort hat.
Für die verbalen Entgleisungen kann Moderatoren kein Vorwurf gemacht werden. Sie mahnten als Schiedrichter an das Nichteinhalten der Spielregeln. Wie bei einem Boxmatch muss bei hitzigen Situationen damit gerechnet werden, dass Akteure die Fassung verlieren. Da darf man nicht zu mimosenhaft sein.
- Philipp Müller sagte entnervt: „«Ich gehe heim. Dass ich mir diesen Mist anhören muss!»“, wie ordnen sie das ein?
Es gibt nur wenige Situationen, bei denen bei Dikussionen ohne Gesichtsverlust die Flinte ins Korn geworfen werden kann. Wer die Nerven verliert, hat normalerweise verloren.
SP Bodenmann hatte früher einmal, die ARENA bewusst verlassen und erreichte damit, dass ihn die Kameraleute beim Weggang verfolgten und er vor laufender Kamera der Oeffentlichkeit begründen konnte, weshalb er die ARENA verlassen hat.( Er ärgerte sich, dass angekündigten Kontrahenten fehlten). Beim Verlassen platzierte er sein Hauptargument, das er im Studio nicht verkünden konnte. Er wurde darauf nochmals eingeladen. Es gelang ihm nun ein weiteres Mal, seine Argumente in aller Ruhe zu platzieren.
LINK: Nina Hagens Ausraster (Dieser Ausraster wirkte nachhaltig)
Nina Hagen Ausraster! - YouTube
16.03.2009 - Hochgeladen von StrepsipteraTV
German Punk-Queen Nina Hagen getting angry on a TV-Show.