Zu vieles ist absurd- Ein Tatort zum vergessen
AUS BLICK-ONLINE:
Die Meinungen gingen im Vorfeld auseinander: «Bild» warnte vor dem «schlechtesten ‹Tatort› aller Zeiten». «Der
Spiegel»
schwärmte von «grossem Kino». Gestern endlich war das One-Take-Wunder
«Die Musik stirbt zuletzt» von Dani Levy zu sehen. Und tatsächlich ist
das formale Wagnis, einen Krimi ohne einen einzigen Schnitt zu erzählen,
sehenswert. Der Zuschauer wird sofort in die Handlung hineingerissen.
Die Geschichte hingegen ist zu ambitioniert. Form und Inhalt kommen
sich nicht entgegen – ein einfacherer Plot hätte das technische
Experiment besser zur Geltung gebracht. Walter Loving, ein Unternehmer
und Mäzen, engagierte sich im Zweiten Weltkrieg als Fluchthelfer von
Juden – und wurde reich dabei. Findige Köpfe beginnen zu rechnen: Wie
alt wäre dieser Loving heute und könnte er wirklich noch einen Galaabend
ausrichten? Es bleibt nicht die einzige Ungereimtheit. Weshalb genau
wird vor dem KKL demonstriert?
Anderes ist schlichtweg absurd: Zum Beispiel die Pianistin, die sich
ohne Gefühlsregung an den Flügel setzt, nachdem ihr Bruder vergiftet
worden ist. Oder der Arzt, der während des Reanimierens Zeit findet,
Leute mit den Worten aus dem Raum zu weisen, er müsse hier arbeiten.
Geradezu albern sind die Drohanruf-Sequenz mit dem Stimmenverzerrer und
die Kurznachrichten, die eingeblendet werden, weil sie nicht filmbar
sind. Auch die ungewöhnlichen Tenues der Kommissare (Liz Ritschard im
Ballkleid, Reto Flückiger als Fussballfan) sind kein Mehrgewinn. Doch
Levy hat etwas gewagt und TV-Geschichte geschrieben. Das bleibt.
René Hildbrand im Persönlich urteilt treffend:
Dani Levys riskantes Unterfangen ist gründlich misslungen. Wir sahen
oft Wackelbilder wie vor 25 Jahren beim Start der regionalen TV-Sender
und erlebten teils geradezu tollkühne Kameraschwenks. Verworren, zu
konstruiert oft unlogisch bis abstrus der schwer verdauliche Fall: Ein
Benefizkonzert im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) sollte den in
Konzentrationslagern umgekommenen Juden gedenken. Eingeladen zum Anlass
hat der steinreiche Mäzen Walter Loving (blendend gespielt vom
84-jährigen Österreicher Hans Hollmann). Der Patriarch soll vielen Juden
das Leben gerettet haben. Doch dahinter verbirgt sich ein dunkles
Geheimnis, das während dem Konzert aufbricht.
Es gab Beschuldigungen, Bedrohungen, einen Giftanschlag, eine
lächerliche Verfolgungsjagd, aber keine Leiche. Wie sagt der geständige
Walter Loving am Schluss: «Scheitern und Erfolg sind Geschwister.» Auch
auf diesen Schweizer Sonntagskrimi trifft das erste zu.
Auch wenn sie öffentlich nicht dazu stehen: Die Schweizer
«Tatort»-Häuptlinge wissen seit vielen Jahren, dass ihre Krimis auch in
Deutschland und Österreich mehr schlecht als recht ankommen. Darum ist
es noch unbegreiflicher, dass
mit einem hektischen One-Take-Streifen
voll auf Risiko gesetzt wurde. Oder war es pure Verzweiflung?
Ein Rennen gegen die Zeit: Flückiger (Stefan Gubser) und Ritschard
(Delia Mayer) ermitteln während eines laufenden Konzerts. (Bild: ARD
Degeto/SRF/Hugofilm)
FAZIT:
Dieser Tatort mag zwar in die Geschichte eingehen.
Doch müssten die negativen Echos von den Machern trotzdem ernst genommen werden.
Vor allem die unruhige Kameraführung.
Auch der über Strecken unbefriedigende Ton.
Die unglaubwürdigen Szenen mit dem absurden Erzähler
oder die Situation, dass Flückiger seinen Sohn an den Tatort mitnehmen durfte.
Fragwürdig ist auch der erfolgreiche Luftröhrenschnitt mit dem Sackmesser.