Ausschaffungen
Quelle: 20 Min«Das Volk wurde brandschwarz angelogen»
Eine erste Bilanz zur Ausschaffungsinitiative zeigt: In fast der Hälfte der Fälle sieht die Justiz von einem Landesverweis ab. Nun will die SVP die Härtefallklausel angreifen.
Die
Gegner der Durchsetzungsinitiative versprachen eine «pfefferscharfe
Unsetzung». Für Ex-SVP-Präsident Toni Brunner ist klar: Das Volk wurde
hinters Licht geführt.
Die
Statistik zeigt: Wer wegen Drogenhandels verurteilt wurde, wird zu 78
Prozent ausgeschafft, der bandenmässige Diebstahl wird zu 73 Prozent mit
einem Landesverweis bestraft. Im Bild: Das Flughafengefängnis in
Kloten.
Wer
hingegen Sozialhilfebetrug begeht, darf bleiben. Von 25 Fällen im
letzten Jahr wurde kein Einziger zum Verlassen des Landes verurteilt.
Die Täter können aufgrund der Härtefallklausel bleiben, die das Gesetz
zur Ausschaffungsinitiative vorsieht.
Die
Klausel besagt, dass ein Gericht «ausnahmsweise» von einem
Landesverweis absehen kann, wenn dieser für den Täter einen «schweren
persönlichen Härtefall» bedeuten würde und das private Interesse des
Betroffenen das öffentliche Interesse an einer Wegweisung überwiegt. Was
als Härtefall angesehen werden kann, daran scheiden sich die Geister.
Sogar
schwere Straftaten enden oft nicht mit einem Landesverweis. Täter, die
wegen sexueller Handlungen mit einem Kind verurteilt wurden, konnten in
13 von 16 Fällen bleiben.
Die SVP wollte die Härtefallklausel mit der Durchsetzungsinitiative (DSI) kippen – und verlor die Abstimmung im Februar 2016.
Auch
FDP-Ständerat Philipp Müller, der gegen die Durchsetzungsinitiative
kämpfte, übt Kritik an der Ausschaffungspraxis: Die Zahlen belegten,
dass der Wille des Gesetzgebers und des Schweizer Volks unterlaufen
werde.
Für
Sibel Arslan (Grüne) ist die Kritik der SVP Stimmungsmache: «Das Volk
hat die DSI abgelehnt. Nun versucht die SVP, die Richter unter Druck zu
setzen.»
Im vergangenen Jahr sprachen Staatsanwälte und
Gerichte 1210 Urteile gegen Ausländer aus, die unter den neuen
Ausschaffungsartikel fallen – sie haben eine Katalogtat wie Diebstahl,
Betrug oder schwere Körperverletzung begangen. In 46 Prozent der Fälle
entging der Täter aber einer Ausschaffung, wie eine Auswertung des
Bundesamts für Statistik zeigt.
Möglich macht das mitunter eine Notbremse im Gesetz. So kann «ausnahmsweise» von einer Ausschaffung abgesehen werden, wenn ein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt. Diesen Passus wollte die SVP mit der Durchsetzungsinitiative (DSI) kippen – und verlor die Abstimmung im Februar 2016.
«Härtefallklausel ist eine Täterschutzklausel»
SVP-Nationalrat Toni Brunner führte danach eine Strichliste zu den Ausschaffungen. Die offizielle Statistik bestätige nun seine Befürchtungen: «Das Volk wurde im Abstimmungskampf brandschwarz angelogen. Die Gegner der DSI – allen voran FDP-Ständerat Philipp Müller – versprachen eine ‹pfefferscharfe Umsetzung› und 4000 Ausschaffungen pro Jahr. Davon sind wir meilenweit entfernt.» Die Bevölkerung sei in der Debatte um die DSI unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Irre geführt worden.
Es passiere genau das, wovor man immer gewarnt habe: «Die Justiz macht, was sie will. Die Härtefallklausel ist eine Täterschutzklausel.» Als Beispiel führt er an, dass der Täter in 13 von 16 Urteilen wegen sexueller Handlungen mit Kindern im Land bleiben durfte. «Schwer kriminelle Ausländer werden in der Schweiz gehätschelt, statt dass man diese dorthin zurückschickt, wo sie hingehören.» Für Brunner ist klar, dass die SVP erneut aktiv werden muss, um die Härtefallklausel zu beseitigen. «Wir müssen Mittel und Wege finden, damit kriminelle Ausländer tatsächlich ausgeschafft werden.»
«Ausschaffungspraxis ist ein Affront»
Philipp Müller kann den Ärger der SVP verstehen: «Das habe ich mir auch anders vorgestellt. Wir waren gegen einen Automatismus, doch die Anwendung der Härtefallklausel mit einem Verzicht auf einen Landesverweis sollte die absolute Ausnahme sein.» Die Zahlen belegten, dass der Wille des Gesetzgebers und des Schweizer Volks unterlaufen werde.
Gedacht sei die Härtefallklausel etwa für den Fall eines 18-jährigen Jünglings, der «hier geboren ist und ein Velo von einem Vorplatz stiehlt, aber bestens integriert ist.» Dass nur zehn Prozent der ausländischen Straftäter mit Aufenthaltsbewilligung mit einem Landesverweis belegt würden, sei ein Missbrauch der Härtefallklausel.
Müller will nun die Lücke schliessen, die es Staatsanwälten erlaubt hat, die 2017 laut dem BFS über 400 Fälle mit Strafbefehlen zu erledigen und damit einen Landesverweis zu verunmöglichen, da nur ein Gericht einen Landesverweis anordnen kann. «Bei ausländischen Delinquenten, die eine Aufenthaltsbewilligung besitzen, soll darum künftig zwingend ein Gericht entscheiden.»
«Nicht Aufgabe der Politik, Richter zu beurteilen»
Gelassen reagiert man bei der Operation Libero, die an vorderster Front gegen die DSI kämpfte: «Wir leben in der Schweiz in einem Rechtsstaat, in dem das Prinzip der Gewaltentrennung gilt», sagt Co-Präsidentin Laura Zimmermann. Es sei nicht die Aufgabe der Politik, die Arbeit der Richter im Einzelfall zu beurteilen. Diese würden die geltende Rechtslage – insbesondere auch die Menschenrechte – gesamtheitlich berücksichtigen und stets den Einzelfall beurteilen. «Diesen Handlungsspielraum hat das Volk der Justiz gegeben.»
Auch für Sibel Arslan (Grüne) ist die Kritik der SVP Stimmungsmache: «Das Volk hat die DSI abgelehnt. Nun versucht die SVP, die Richter unter Druck zu setzen.» Man müsse aber die Verhältnismässigkeit wahren. «Wer hier aufgewachsen ist und straffällig wird, soll bestraft werden. Bei einem kleinen Delikt sei der Landesverweis aber eine doppelte Strafe und eines Rechtsstaats unwürdig.
«Die Zahlen sind überhaupt nicht verlässlich»
Beim Bundesamt für Justiz heisst es, dass die Datenbasis noch dünn sei. Aber: «Bei Tätern, die eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten erhalten haben, ist in 9 von 10 Fällen eine obligatorische Landesverweisung ausgesprochen worden», sagt Informationschef Folco Galli. Sollte sich zeigen, dass Staatsanwälte wegen effizienteren Verfahren den Härtefall anwenden, sei der Bundesrat bereit, eine Gesetzesrevision zu prüfen.
Die Staatsanwälte-Konferenz betont, dass die Zahlen überhaupt nicht verlässlich seien. Viele Fälle seien hängig, weshalb es zu früh für eine Bilanz sei. Ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft habe viele Vorteile wie geringere Kosten. Auch könne man nicht sagen, dass in Kantonen, in denen Staatsanwaltschaften die Härtefallklausel anwenden, die Ausschaffungsquote tiefer sei.
Möglich macht das mitunter eine Notbremse im Gesetz. So kann «ausnahmsweise» von einer Ausschaffung abgesehen werden, wenn ein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt. Diesen Passus wollte die SVP mit der Durchsetzungsinitiative (DSI) kippen – und verlor die Abstimmung im Februar 2016.
«Härtefallklausel ist eine Täterschutzklausel»
SVP-Nationalrat Toni Brunner führte danach eine Strichliste zu den Ausschaffungen. Die offizielle Statistik bestätige nun seine Befürchtungen: «Das Volk wurde im Abstimmungskampf brandschwarz angelogen. Die Gegner der DSI – allen voran FDP-Ständerat Philipp Müller – versprachen eine ‹pfefferscharfe Umsetzung› und 4000 Ausschaffungen pro Jahr. Davon sind wir meilenweit entfernt.» Die Bevölkerung sei in der Debatte um die DSI unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Irre geführt worden.
Es passiere genau das, wovor man immer gewarnt habe: «Die Justiz macht, was sie will. Die Härtefallklausel ist eine Täterschutzklausel.» Als Beispiel führt er an, dass der Täter in 13 von 16 Urteilen wegen sexueller Handlungen mit Kindern im Land bleiben durfte. «Schwer kriminelle Ausländer werden in der Schweiz gehätschelt, statt dass man diese dorthin zurückschickt, wo sie hingehören.» Für Brunner ist klar, dass die SVP erneut aktiv werden muss, um die Härtefallklausel zu beseitigen. «Wir müssen Mittel und Wege finden, damit kriminelle Ausländer tatsächlich ausgeschafft werden.»
«Ausschaffungspraxis ist ein Affront»
Philipp Müller kann den Ärger der SVP verstehen: «Das habe ich mir auch anders vorgestellt. Wir waren gegen einen Automatismus, doch die Anwendung der Härtefallklausel mit einem Verzicht auf einen Landesverweis sollte die absolute Ausnahme sein.» Die Zahlen belegten, dass der Wille des Gesetzgebers und des Schweizer Volks unterlaufen werde.
Gedacht sei die Härtefallklausel etwa für den Fall eines 18-jährigen Jünglings, der «hier geboren ist und ein Velo von einem Vorplatz stiehlt, aber bestens integriert ist.» Dass nur zehn Prozent der ausländischen Straftäter mit Aufenthaltsbewilligung mit einem Landesverweis belegt würden, sei ein Missbrauch der Härtefallklausel.
Müller will nun die Lücke schliessen, die es Staatsanwälten erlaubt hat, die 2017 laut dem BFS über 400 Fälle mit Strafbefehlen zu erledigen und damit einen Landesverweis zu verunmöglichen, da nur ein Gericht einen Landesverweis anordnen kann. «Bei ausländischen Delinquenten, die eine Aufenthaltsbewilligung besitzen, soll darum künftig zwingend ein Gericht entscheiden.»
«Nicht Aufgabe der Politik, Richter zu beurteilen»
Gelassen reagiert man bei der Operation Libero, die an vorderster Front gegen die DSI kämpfte: «Wir leben in der Schweiz in einem Rechtsstaat, in dem das Prinzip der Gewaltentrennung gilt», sagt Co-Präsidentin Laura Zimmermann. Es sei nicht die Aufgabe der Politik, die Arbeit der Richter im Einzelfall zu beurteilen. Diese würden die geltende Rechtslage – insbesondere auch die Menschenrechte – gesamtheitlich berücksichtigen und stets den Einzelfall beurteilen. «Diesen Handlungsspielraum hat das Volk der Justiz gegeben.»
Auch für Sibel Arslan (Grüne) ist die Kritik der SVP Stimmungsmache: «Das Volk hat die DSI abgelehnt. Nun versucht die SVP, die Richter unter Druck zu setzen.» Man müsse aber die Verhältnismässigkeit wahren. «Wer hier aufgewachsen ist und straffällig wird, soll bestraft werden. Bei einem kleinen Delikt sei der Landesverweis aber eine doppelte Strafe und eines Rechtsstaats unwürdig.
«Die Zahlen sind überhaupt nicht verlässlich»
Beim Bundesamt für Justiz heisst es, dass die Datenbasis noch dünn sei. Aber: «Bei Tätern, die eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten erhalten haben, ist in 9 von 10 Fällen eine obligatorische Landesverweisung ausgesprochen worden», sagt Informationschef Folco Galli. Sollte sich zeigen, dass Staatsanwälte wegen effizienteren Verfahren den Härtefall anwenden, sei der Bundesrat bereit, eine Gesetzesrevision zu prüfen.
Die Staatsanwälte-Konferenz betont, dass die Zahlen überhaupt nicht verlässlich seien. Viele Fälle seien hängig, weshalb es zu früh für eine Bilanz sei. Ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft habe viele Vorteile wie geringere Kosten. Auch könne man nicht sagen, dass in Kantonen, in denen Staatsanwaltschaften die Härtefallklausel anwenden, die Ausschaffungsquote tiefer sei.
(daw/the)
KOMMENTAR:
Wenn der Volkswille mit Füssen getreten wird, muss man sich nicht wundern, wenn die Stimmbürger sich frustriert zurückziehen.
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Wenn der Volkswille mit Füssen getreten wird, muss man sich nicht wundern, wenn die Stimmbürger sich frustriert zurückziehen.