Boulevard triumphiert, Bürger verliert
Der Rücktritt des grünen Nationalrats Jonas Fricker wirft ein schlechtes Licht auf die Boulevardpresse und die Grünen. Er fügt der politischen Kultur Schaden zu.
Nationalrat demontiert
– zweimal war Fricker auf der Titelseite abgebildet; am Sonntag wälzten
die Redaktoren die Berichterstattung über Frickers Vergleich von
Schweinetransporten mit den Massendeportationen von Juden gar auf fünf
Seiten aus. «Rücktritt! Nach drei langen Tagen gab Jonas Fricker auf.» So titelte
der «SonntagsBlick» am vergangenen Wochenende, und es klang wie
Triumphgeheul. Drei Tage lang hatten «Blick» und «SonntagsBlick» den
grünen Der Fall Fricker hätte ein Skandälchen
bleiben können. Eine verbale Entgleisung, eine darauffolgende
Entschuldigung, die Annahme der Entschuldigung vonseiten der
Betroffenen. Stattdessen ist Fricker am Samstag als Nationalrat
zurückgetreten. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack.
Eine Frage der Macht
Kaum besser steht Alt-Nationalrat Jo Lang da, der Fricker aus den eigenen Reihen vielleicht am schärfsten angegriffen hatte. Lang gab sich ob dessen Äusserung «erschüttert» und warf dem Aargauer unterschwellig vor, seine Verbindung von Juden und Schweinen trage antisemitische Züge. Kaum war Fricker zurückgetreten, lobt er ihn wie einen begriffsstutzigen Schüler als «lernwillig und lernfähig». Andere Parteimitglieder sprachen anlässlich des Rücktritts von einer «grossen Geste». Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Fricker ist als Hinterbänkler wohl auch ein Opfer der Umstände geworden. Die Bereitschaft innerhalb der Partei, für den Politneuling einzustehen, war gering. Bei einem politischen Schwergewicht hätte das vielleicht anders ausgesehen. Welche Konsequenzen ein Fehltritt hat, ist eben immer auch eine Frage der Macht.
Zudem legen nicht alle Parteien dieselben Massstäbe an. Gerade Politiker aus dem links-grünen Lager müssen höheren moralischen Ansprüchen genügen, argumentieren sie doch selber oft mit diesen. Dagegen politisiert der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor munter weiter. Und dies, obwohl er erstinstanzlich wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurde. Nach der Schiesserei in einer Moschee in St. Gallen, bei der ein Mann getötet wurde, hatte er 2014 getwittert: «Wir wollen mehr davon.»
Schliesslich wird Frickers Rücktritt auch Spuren in der Politik hinterlassen. Bis anhin gab es hierzulande keine Rücktrittskultur. Man kann das gut finden oder schlecht. Sicher ist aber: Ein Fehltritt wie jener von Fricker ist nicht der richtige Anlass, um damit zu beginnen.
So hat am Ende nicht nur Fricker selber Schaden genommen. Sondern auch die politische Kultur der Schweiz. (Tages-Anzeiger)
Da
ist die Berichterstattung aus dem Hause Ringier, die sonst vermutliche
Straftäter gerne zu «Bestien» herabwürdigt. Deren Blattmacher darin aber
offenbar keinen Widerspruch sehen, für sich eine moralische
Überlegenheit in Anspruch zu nehmen und einen Fehltritt zum Anlass zu
nehmen, einen Politiker in Grund und Boden zu schreiben. Da überrascht
es kaum noch, dass der «SonntagsBlick» Jonas Fricker in einem Kommentar
allen Ernstes zur «Grösse» gratuliert, die er mit seinem Rücktritt
zeige.Kein gutes Bild lassen aber auch jene Grüne zurück,
die keine Sekunde zögerten, selbst gegen Fricker zu schiessen. Ganz
nach dem Motto: Lieber soll er den Kopf hinhalten als wir alle. So sagte
der Präsident der Aargauer Grünen, Daniel Hölzle, in der «Aargauer
Zeitung», er habe Fricker den Rücktritt nahegelegt. Der Grund dafür?
«Der Druck nahm auch nach seiner Rechtfertigung und Entschuldigung nicht
ab.» Ein paar negative Artikel in den Medien genügten also, um den
Parteikollegen fallen zu lassen.
Kaum besser steht Alt-Nationalrat Jo Lang da, der Fricker aus den eigenen Reihen vielleicht am schärfsten angegriffen hatte. Lang gab sich ob dessen Äusserung «erschüttert» und warf dem Aargauer unterschwellig vor, seine Verbindung von Juden und Schweinen trage antisemitische Züge. Kaum war Fricker zurückgetreten, lobt er ihn wie einen begriffsstutzigen Schüler als «lernwillig und lernfähig». Andere Parteimitglieder sprachen anlässlich des Rücktritts von einer «grossen Geste». Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Fricker ist als Hinterbänkler wohl auch ein Opfer der Umstände geworden. Die Bereitschaft innerhalb der Partei, für den Politneuling einzustehen, war gering. Bei einem politischen Schwergewicht hätte das vielleicht anders ausgesehen. Welche Konsequenzen ein Fehltritt hat, ist eben immer auch eine Frage der Macht.
Zudem legen nicht alle Parteien dieselben Massstäbe an. Gerade Politiker aus dem links-grünen Lager müssen höheren moralischen Ansprüchen genügen, argumentieren sie doch selber oft mit diesen. Dagegen politisiert der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor munter weiter. Und dies, obwohl er erstinstanzlich wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurde. Nach der Schiesserei in einer Moschee in St. Gallen, bei der ein Mann getötet wurde, hatte er 2014 getwittert: «Wir wollen mehr davon.»
Wer sich gut verkaufen kann, überlebt solche Affären besser.
Bedauerlich
ist Frickers Rücktritt auch aus einem anderen Grund. Zwar hat er mit
seiner deplatzierten Aussage eine Unbedarftheit an den Tag gelegt, die
einem Politiker nicht unterlaufen darf. Von einem Nationalrat kann man
verlangen, dass er zuerst überlegt und dann spricht. Doch ist es
symptomatisch, dass die ehrlich scheinende Entschuldigung nicht
ausreichte, die Fricker nachlieferte. Wer sich dagegen gut verkaufen
kann, überlebt solche Affären besser.Schliesslich wird Frickers Rücktritt auch Spuren in der Politik hinterlassen. Bis anhin gab es hierzulande keine Rücktrittskultur. Man kann das gut finden oder schlecht. Sicher ist aber: Ein Fehltritt wie jener von Fricker ist nicht der richtige Anlass, um damit zu beginnen.
So hat am Ende nicht nur Fricker selber Schaden genommen. Sondern auch die politische Kultur der Schweiz. (Tages-Anzeiger)